Noch waren ihre Frauen in Übersee und durften nur mit Sondergenehmigung in das US-Besatzungsgebiet einreisen. Natürlich liefen sie längst gegen die Trennung Sturm; es war nur noch eine Frage der Zeit, bis sie sich durchgesetzt hätten. Aus dieser Schonfrist, die sie noch hatten, wollten die Uniformierten – nicht alle, aber viele – etwas machen.
Dafür war Stubbys Residenz in einer früheren Offiziers-Siedlung, militärisch bewacht und von Zivilisten geräumt, ein bewährter Schauplatz. Der frischernannte Colonel war beliebt, denn er war auch splendid, er konnte es sein, ohne sich zu übernehmen, denn schon in der Bibel steht: »Dem Ochsen, der da drischt, sollst du das Maul nicht verbinden.«
Für einen Ochsen hielten den Gastgeber übrigens die wenigsten. Sie trauten ihm zu – in Washington wohnte er im Hause seines Schwiegervaters, des bekannten Politikers –, daß er wußte, in welche Richtung der Potomac floß und woher der Wind wehte.
Gerade noch rechtzeitig für seine Celebration waren auch die auf dem Weg nach Italien verschwundenen beiden Waggons nach hektischer Fahndung unversehrt wieder aufgetaucht; im Gegensatz zu den Frachtpapieren hatten sie das Alabama-Depot gar nicht verlassen. Captain Miller, der Transport-Offizier, stand nunmehr wieder bei seinem Chef in großer Gunst und durfte bei dem Gartenfest in der Rolle des Majordomus glänzen.
»This is the way to kill yourself«, sagte Doc MacKinley, der Armee-Arzt im Rang eines Captains, zum Hausherrn und griff sich selbst einen zweistöckigen Scotch. »Sauf nur so weiter, Stubby, dann wirst du nicht einmal so alt wie du aussiehst.«
»Chickenshit«, erwiderte Williams. Ganz Stubby im Glück setzte er hinzu: »In spätestens zwei Jahren bin ich Brigadegeneral, darauf kannst du mit mir wetten, Doc.«
»Eine lange Zeit«, spottete MacKinley. »Bei deinem Whisky-, Zigaretten- und Weiber-Konsum.« Er sah dem Alabama-Chef ins dampfende, schwitzende, durchglühte Gesicht: »Und zu fett bist du auch noch, du mußt ja einen säuischen Blutdruck haben.«
»Bleib’ gefälligst bei deiner Tripperspritze«, erwiderte Stubby, nun doch leicht pikiert.
Doc MacKinley war ein Zyniker, der vor keinem haltmachte, und das konnte sich der 26jährige auch leisten, denn er behandelte – soweit nötig – seine Offiziers-Kameraden heimlich und ohne Eintrag in das Krankenbuch, wenn sie sich einen ›Kavaliersschnupfen‹ geholt hatten. Es kam nicht so oft vor, wie in den Warnungen der Army-Tagesbefehle behauptet wurde, aber doch immer wieder. Niemand hielt sich an das Fraternisierungs-Verbot, am wenigsten die Gonokokken.
Der junge Arzt legte während seiner Militärzeit den Grundstock zu einem raschen Vermögen: Für die Behandlung der Gonorrhöe-Infektion nahm er 50 Dollar, bei Rückfällen 100, alles steuerfrei. Die geschröpften Liebhaber murrten und zahlten, er ersparte ihnen allerlei Peinlichkeiten und Rückfragen, denn der tüchtige Mediziner, der sich nach seiner Rückkehr in die Staaten in Cleveland, Ohio, eine erstklassige Privat-Praxis zulegen wollte, hielt sich streng an die ärztliche Schweigepflicht. Nur die Namen und Adressen der ›Infektionsherde‹ gab der im beschlagnahmten Schwabinger Krankenhaus arbeitende Armee-Arzt unter der Hand an die deutschen Gesundheitsbehörden weiter.
Stubby war schon wieder auf den flinken Beinen, um neue Gäste zu begrüßen. Captain Wallner kam, begleitet von Gesine, der Gauleiterstochter, seiner neuen Dauerfreundin; er trug ein kleines Köfferchen mit Requisiten für Gesines Auftritt, der die einen schon langweilte und andere doch immer wieder zu Gelächter hinriß. Mit seiner Nummer zog der Intelligence-Officer von Party zu Party, heimste den Applaus ein und verschwand dann mit seiner Begleiterin in seinem Quartier, um auch noch den Nutzen zu haben.
Wallner ging der nicht von seiner Seite weichenden Gesine immer einen Schritt voraus; er blieb stehen, sah sich um. Er kannte nicht alle Anwesenden, aber es war auch nicht notwendig, denn gleich würde sie der Alkohol miteinander bekannt machen. Er sah an einem der vielen Gartentische die First-Lieutenants King und Sears und schritt auf die Trouble-Brothers zu, die sich eine hübsche, stupsnasige Dolmetscherin aus der Tegernseer Landstraße mitgebracht hatten. Sie umwarben die Deutsche stumm, jeder für sich, voller Feindseligkeit dem anderen gegenüber.
Iris hatte es aufgegeben, darüber zu lächeln; sie lächelte überhaupt selten, und sie wußte, daß jeder der beiden Oberleutnants übergesprächig würde, so sie mit ihm allein wäre.
Die Musik wurde jetzt lauter; der Verstärker spuckte Melodien aus, wie »You belong to my heart«, oder »Tiger Rag«, oder »Candy« oder »Tea for two«, und immer wieder »You are my sunshine«. Die Sonne ging jedenfalls nicht unter, weder im Garten noch in der Wohnhalle. Der Barbecue wurde in Betrieb genommen. Duftende Wolken zogen bis zu den Wohnvierteln der Deutschen, die am offenen Fenster standen und trocken schluckten.
Die ersten bunten Tupfer mischten sich jetzt in das Olivgrün wie Krokusse auf einer Frühlingswiese; Mädchen, alle jung, keine häßlich, tauchten im Trubel auf; sie sprachen nicht das gewöhnliche Pillow-Englisch, die Kopfkissensprache, und alles, was sie zeigten, vom Nagellack bis zum Lippenstift und den Schuhen, stammte aus dem PX, vor allem die Nylonstrümpfe, die es damals in Europa noch nicht einmal in den Sieger ländern gab: Wer Nylons trug, zeigte an, daß er nach oben strebte.
Seit Millionen von Amerikanern in umgekehrter Kolumbus-Richtung in die Alte Welt zurückgekommen waren, hatten sie zuerst auf der britischen Insel, dann noch weit zwingender in Frankreich und am überzeugendsten in Deutschland eine Entdekkung gemacht: die europäische Frau.
»Like Tahiti«, pflegte First-Lieutenant Pepper, ein junger, windiger Bursche, mit schnalzender Zunge und verdrehten Augen zu bemerken. Zwar war er noch nie auf Tahiti gewesen und würde vermutlich in seinem Leben auch nie dorthin gelangen, aber Träume von der Südsee ließen sich auch auf den sieben oder acht Liegen des Blauen Salons verwirklichen.
Der First-Lieutenant von› Information Control‹ hatte eine miserable dienstliche Beurteilung und war doch unersetzlich als Akquisiteur, als Beschaffer weiblicher Geselligkeit. Er bewies es in diesem Augenblick wieder, als er in einem überladenen Straßenkreuzer Sissy, Betsy, Lilly, Daisy und weitere lächelnde, teils bekannte, teils unbekannte Mädchen apportierte, unter ihnen die weizenblonde Ostpreußin, die ihrer Spezialität wegen in Kennerkreisen nur ›Sandwich‹ genannt wurde, weil sie es immer mit zwei Männern gleichzeitig trieb und dabei gewissermaßen den Belag in der Mitte darstellte. Wenn Stubby an Sandwich dachte, wurde ihm nicht nur der Mund wäßrig.
Wenn er an Alice, die Senatoren-Tochter, seine schmalüppige und scharfzüngige Frau dachte, die den Liebesakt grundsätzlich nur im Dunkeln über sich ergehen ließ und sich danach immer beschmutzt vorkam, wußte Stubby, daß ihm nicht lange Zeit bleiben würde, die Wonnen in Deutschland auszuschöpfen.
Längst waren Gerüchte nach Amerika gedrungen, daß die unverdorbenen Boys aus dem puritanischen und matriarchalischen Land in Germany einer Art Sodom und Gomorrha ausgesetzt wären. Unter diesen Umständen würde Alice Williams alles dransetzen, ihren Gatten bald wieder in das abgestandene, licht- und lustlose Schlafzimmer zurückzubeordern, in dem er – weiß der Teufel wie – drei Töchter gezeugt hatte, die jetzt schon ihrer Mutter ähnelten.
Man mußte die Feste feiern, wie sie fielen, und eine entsprechende Konstitution mitbringen. Stubby nahm sicherheitshalber noch einmal einen großen Schluck Whisky und überprüfte zum vierten Mal die Lautsprecher-Anlage. Lazy rhythm, sanfte Weisen, der Ton macht die Schlafzimmermusik. Mochten die US-Besatzungs-Offiziere aus der Denazification einen Flop machen, sollte die Demontage der deutschen Industrie scheitern und die Umerziehung der Besetzten nicht so gelingen, wie es sich Washington wünschte; etwas würden sie in jedem Fall erhalten: Sexuelle Reparationen.
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