Maletta stellte fest, daß er nur erzählte, was der Offizier längst wußte. Spoonwood war intelligent, nicht ungefährlich, und er kannte offensichtlich viele Einzelheiten. Das war erstaunlich, denn der Fall Maletta war als ›Geheime Kommandosache‹ (Gekados) behandelt worden.
»Auf der Flucht vor dem eigenen Vater war übrigens damals auch Lisa Schöller zu uns gestoßen. Sie konnte ihn – auch aus persönlichen Gründen – nicht ausstehen und hatte mit ihm gebrochen.«
»Es gibt also bis jetzt mindestens zwei Überlebende des Zirkus Maletta –«
»Zwei, von denen ich weiß«, antwortete der Hauptakteur und brach ab. Seine Backenknochen spannten sich, seine Kiefer mahlten. Seine Augen wirkten einen Moment lang wie von Firnis überzogen. Er dachte an die muntere Dena, an Nadine, an Olga, an Sybille und Fiorella, vor allem aber dachte er an Bruno Plaschke, ohne den er seine Aktion nicht hätte starten können, an seine rechte Hand bei linken Touren. Einen Moment lang sah er das untersetzte Kraftpaket vor sich, einen Burschen, bei dem, von der Körperlänge abgesehen, alles zu groß war: die Füße, die Hände, die Ohren, die Klappe, der Mut.
Man hatte kurzen Prozeß mit Bruno gemacht, ihn in den Dirlewanger-Haufen gesteckt, in die Straf-Brigade der SS, und wenn er nicht im Partisanenkampf sinnlos verheizt worden war, mußte er von den Russen erschlagen, erstochen, erhängt oder bis zum Verhungern eingesperrt worden sein.
»Heute nehme ich an«, kam Maletta wieder in die Gegenwart zurück, »daß der kleine Bormann damals seine Tochter suchen und verfolgen ließ und daß wir diesem Umstand die Nachstellungen einer Kanaille namens Machoff verdankten.« Er sprach den zweisilbigen Namen aus wie einen doppelten Peitschenschlag. »Günter Machoff, Chef einer Abteilung zur besonderen Verwendung im Reichssicherheitshauptamt. Und diese ZbV-Aufträge bedeuteten immer eine entsprechende Gemeinheit.«
»Ich kenne den Ruf des Standartenführers Machoff«, überraschte der Captain den Besucher; er griff in die Schublade, holte ein bereitgelegtes Photo hervor und schob es über den Tisch.
Es zeigte einen Mann mit kurzen, glatten Haaren, kleinen, starren Augen, mit vom Zynismus deformierten Lippen, mit einer vorspringenden Nase, schmal und spitz wie ein feststehendes Messer. »Ist das Ihr Mann, Mr. Maletta?«
»Ja, das ist Machoff.« Der Vernommene sprach, als ließe er Dampf ab: »Ein ausgezeichnetes Photo, übrigens.«
»Es entstand, als der Mann vorübergehend als Bevollmächtigter des Reichsführers-SS dem General Werner von Umbach zugeteilt war.«
»Dem Heldenklau«, ergänzte Maletta.
»Richtig, den haben wir übrigens längst und halten ihn unter Verschluß.«
»Dann hängt ihn schleunigst auf.«
»Das geht nicht so ohne weiteres«, erwiderte der Investigator. »Nicht bei uns. Außerdem ist es eigentlich eine deutsche Angelegenheit. Kannten Sie den Heldenklau näher?«
»Gut genug«, versetzte Maletta. »Ich bin ihm einmal bei einem Alarmstart mit meiner JU52 fast über die Füße gefahren, um meinen Wander-Zirkus in Sicherheit zu bringen. Der Heldenklau war ein seniler Wichtigtuer, der Tausende von armen Hunden auf dem Gewissen hat.«
»Wenn er ein Gewissen hat«, korrigierte ihn der Captain.
Sie sahen sich einen Moment lang an.
»Sie sind also auch hinter Günter Machoff her, Captain Spoonwood?« fragte Maletta.
»Allerdings«, versetzte der Amerikaner. »Ich bin hinter vielen her – aber hinter ihm mit besonderem Eifer. Vielleicht sollten wir uns zusammentun.«
»Vielleicht«, entgegnete der Expilot gedehnt. »Vielleicht aber haben Sie ihn auch längst unter falschem Namen kassiert und wissen es nur noch nicht.«
»Nicht, wenn das Photo wirklich gut ist –«
»Es ist wirklich gut.«
»Wir suchen viele«, stellte der Captain fest, »aber – wie gesagt – an diesem Machoff liegt uns besonders. Ich habe dieses Photo vervielfältigen lassen. Es liegt in jedem unserer Anhaltelager vor. Jeder neu Eingelieferte wird automatisch nicht nur auf das eintätowierte SS-Blutgruppen-Zeichen, sondern auch auf dieses Gesicht überprüft. Sie könnten uns natürlich bei der Fahndung helfen-«
»Ich bin ein Einzelgänger«, erwiderte der Mann, der aus der Hölle kam. »Sie suchen Tausende, ich nur einen einzigen. Beim Military Government gibt es verschiedene, vielleicht divergierende Interessen. Ich«, die Stimme wurde hart und schneidend, »ich habe nur ein Interesse, ein einziges: Ich will den Mann hängen sehen, und zwar ganz schnell. Sagten Sie nicht, Captain, es sei eigentlich eine deutsche Angelegenheit?«
Die Eruption des Hasses war so mächtig, daß es den Clearing-Officer an diesem Hundstag einen Moment fröstelte: »Vielleicht kommen wir doch noch zusammen«, entgegnete er – bereits auf dem Rückzug. »Haben Sie denn eine Vorstellung, wo sich Machoff aufhalten könnte?«
»Aber Captain«, erwiderte Maletta und lächelte schräg – wie in seiner Filou-Zeit. »Nein«, wurde er wieder sachlich, »ich habe keine konkrete Vorstellung, nur die Vermutung, daß sein Untertauchen von langer Hand vorbereitet war.«
»Richtig«, versetzte Spoonwood. »Es gibt drei, eigentlich vier Möglichkeiten. Fangen wir mit der unwahrscheinlichsten an: Die Sowjets haben ihn geschnappt und verheimlichen es uns; sie hätten genügend Gründe, nach ihm zu fahnden, vielleicht könnten sie ihn auch gebrauchen. In den letzten Kriegstagen haben noch einige focke-wulf200 Deutschland mit unbekanntem Ziel Richtung Spanien verlassen. Außerdem gehen uns noch zwei deutsche U-Boote ab; sie sind bisher in keinem Hafen eingelaufen, aber irgendwann müssen sie ja einmal auftauchen. Machoff könnte sich auch mit neuer Identität in der englischen Besatzungszone aufhalten, auf die wir die Fahndung ausgedehnt haben –«
»– oder in der amerikanischen«, stellte Maletta fest.
»Dann werden wir ihn fassen«, behauptete der Geheimdienstmann. Spott zeigte sich in seinem Lippenspiel: »Entweder Sie – oder ich.«
»Egal wer«, erwiderte der Invalide des Hasses. »Hauptsache: Machoff hängt. Wenn Sie das besorgen, brauche ich mir die Hände nicht blutig zu machen. Ich denke, Captain, Sie nehmen nicht an, daß ich Günter Machoff suche, um ihn laufenzulassen.«
»Das nehme ich wirklich nicht an, Mr. Maletta«, bestätigte der Captain und griff wieder nach dem Fragebogen. »Soweit ist Ihr Lebenslauf ziemlich klar. Alle Fragen sind beantwortet, wenn auch nicht sehr ausführlich. Tja«, fuhr Spoonwood fort, »eigentlich wäre da nur noch ein Punkt. Die Frage Nummer 125. Warum sind Sie im April 1941 von Lima nach Deutschland zurückgekehrt?«
»Ich hatte einen Gestellungsbefehl der deutschen Wehrmacht erhalten.«
»Warum haben Sie ihn nicht in den Papierkorb geworfen?«
»So einfach war das nun wirklich nicht; ich war dem Druck der deutschen Botschaft in Peru ausgesetzt. Außerdem hatte ich Angehörige in Deutschland und mußte befürchten, daß man auf sie zurückgreift.«
»Sie sind also nicht unüberlegt nach Deutschland zurückgereist?«
»Nein. Ich war unschlüssig. Ich hatte in Lima ein Mädchen, Tiny, eine amerikanische Studentin, Tochter eines Öl-Direktors.« Nach einer kurzen Pause setzte Maletta hinzu: »Tiny Rodgers. Sie wollte mich festhalten, und ich wollte auch bei ihr bleiben.«
»Und warum sind Sie dann doch nicht in Lima geblieben?«
»Die lufthansahatte den Flugbetrieb nach Bolivien eingestellt.«
Spoonwood erhob sich und lief im Raum hin und her, um seine Erregung zu bändigen, sein Adamsapfel fuhr Lift.
Er blieb stehen: »Und Sie hatten damals auch einen amerikanischen Freund?«
»Mehrere«, antwortete Maletta. »Aber besonders einen: Mike Freetown, Marcs jüngeren Bruder.«
Der Captain nickte und setzte zum Tiefschlag an. »Und warum sagen Sie mir nicht«, versetzte der Investigator mit veränderter Stimme, »daß Ihnen Mike geraten hat, nach Deutschland zurückzufahren?«
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