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Michael Müller
Politisches Storytelling .
Wie Politik aus Geschichten gemacht wird
Schriften zur Rettung des öffentlichen Diskurses, 2
Köln: Halem, 2020
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© Copyright Herbert von Halem Verlag 2020
Print: |
ISBN 978-3-86962-499-0 |
E-Book (PDF): |
ISBN 978-3-86962-500-3 |
E-Book (EPUb): |
ISBN 978-3-86962-501-0 |
ISSN 2699-5832
UMSCHLAGGESTALTUNG: Claudia Ott, Düsseldorf
UMSCHLAGFOTO: picture alliance / Reuters / Tobias Schwarz
LEKTORAT: Rüdiger Steiner
SATZ: Herbert von Halem Verlag
DRUCK: FINIDR, S.R.O., Tschechische Republik
Copyright Lexicon © 1992 by The Enschedé Font Foundery.
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Schriften zur Rettung des öffentlichen Diskurses
Michael Müller
Wie Politik aus Geschichten gemacht wird
Die Reihe Schriften zur Rettung des öffentlichen Diskurses
Warum ist der Lager übergreifende öffentlich-demokratische Diskurs gefährdet, ja geradezu ›kaputt‹? Weshalb ist der öffentliche Wettbewerb auf dem Marktplatz der Ideen ins Stocken geraten? Und welche Rolle spielen dabei Digitalisierung und Algorithmen, aber auch Bildung und Erziehung sowie eskalierende Shitstorms und – auf der Gegenseite – Schweigespiralen bis hin zu Sprech- und Denkverboten?
Die Reihe Schriften zur Rettung des öffentlichen Diskurses stellt diese Fragen, denn wir brauchen Beiträge und Theorien des gelingenden oder misslingenden Diskurses, die auch in Form von ›Pro & Contra‹ als konkurrierende Theoriealternativen präsentiert werden können. Zugleich gilt es, an der Kommunikationspraxis zu feilen – und an konkreten empirischen Beispielen zu belegen, dass und weshalb durch gezielte Desinformation ein ›Realitätsvakuum‹ und statt eines zielführenden Diskurses eine von Fake News und Emotionen getragene ›Diskurssimulation‹ entstehen kann. Ferner gilt es, Erklärungen dafür zu finden, warum es heute auch unter Bedingungen von Presse- und Meinungsfreiheit möglich ist, dass täglich regierungsoffiziell desinformiert wird und sich letztlich in der politischen Arena kaum noch ein faktenbasierter und ›rationaler‹ Interessensausgleich herbeiführen lässt. Auf solche Fragen Antworten zu suchen, ist Ziel unserer Buchreihe.
Diese Reihe wird herausgegeben von Stephan Russ-Mohl, emeritierter Professor für Journalistik und Medienmanagement an der Università della Svizzera italiana in Lugano/Schweiz und Gründer des European Journalism Observatory .
»In einer narrativen Gesellschaft, so meine Hoffnung, ließen sich quantitative Kriterien weniger leicht als qualitative verkaufen.«
Jonas Lüscher,
Ins Erzählen flüchten , 2020: 63
EINLEITUNG: GESCHICHTEN? WELCHE GESCHICHTEN?
Warum man über Storys sprechen muss, wenn man über Politik spricht
Geschichten, Erzählungen, Narrative: Eine kurze Klärung der Begriffe
KAPITEL 1 DIE WELT IST ALLES, WAS ERZÄHLT WIRD: WIE DER SINN IN DIE GESELLSCHAFT KOMMT
Die großen und die kleinen Erzählungen
Erzählt wird, was Sinn macht
Narrative Gebiete von Gesellschaften
Geschichten und Zeit: Geschichten machen Geschichte
Die Gegenwart und ihre Vergangenheit
Die Gegenwart und ihre Zukunft
Wenn Zukunfts-Narrative fehlen …
Varianten der Pro- und Contra-Geschichten
KAPITEL 2 IM MASCHINENRAUM: DIE MECHANIK DES POLITISCHEN STORYTELLING
Geschichten und Frames
Stellschrauben des politischen Storytelling
Wer erzählt wie wovon?
KAPITEL 3 WURZELWERKE: DER NARRATIVE HUMUS DES POLITISCHEN STORYTELLING
Die großen Erzählungen: Gesellschaftliche Meta-Narrative
Beispiele gesellschaftlicher Meta-Narrative
Beispiele für aktuelle Meta-Narrative
Der Resonanzraum politischer Geschichten
KAPITEL 4 FAKE STORYS UND WAHRE GESCHICHTEN: DIE VERANTWORTUNG DES POLITISCHEN STORYTELLING
Fakten und Geschichten
Fakes und Facts: Was sind wahre Geschichten?
Zehn Postulate für ein verantwortungsvolles politisches Storytelling
KAPITEL 5 NARRATIVE KOMPETENZ UND POLITISCHES HANDELN
Narrative Intelligenz und narrative Dummheit
Kleiner Werkzeugkoffer für narrative politische Arbeit
ANMERKUNGEN
LITERATUR
EINLEITUNG:
GESCHICHTEN? WELCHE GESCHICHTEN?
Warum man über Storys sprechen muss,
wenn man über Politik spricht
Geschichten, Erzählungen, Storys und Narrative sind in gesellschaftlichen oder politischen Diskursen, Diskussionen und Prozessen allgegenwärtig, ob auf der Oberfläche sichtbar oder auf den ersten Blick unsichtbar in den Strukturen. Wenn man sich, so meine These, mit Politik und gesellschaftlicher Meinungsbildung beschäftigen will, dann muss man sich auch mit Storytelling beschäftigen – sonst kann man einen wesentlichen Teil der Diskurse und Prozesse nicht verstehen.
Ich weiß: Viele Menschen haben eine emotional-wertende Haltung zu diesen Begriffen, seit Wörter wie ›Storytelling‹ oder ›Narrativ‹ Modebegriffe (›Buzzwords‹) geworden sind – eine Haltung mit positiver oder negativer Ausprägung, je nach den Bedeutungsinhalten, die man mit ihnen verbindet. Der Begriff ›Storytelling‹ hat vor allem im Unternehmens- und Marketing-Kontext Karriere gemacht, der des ›Narrativs‹ im Feuilleton und in den Geistes- und Gesellschaftswissenschaften. Die Ablehnung dieser Begriffe bezieht sich allein auf die Häufigkeit, mit der man diesen Begriffen begegnet; nicht selten hört man in den entsprechenden Kontexten den Seufzer »Ich kann’s nicht mehr hören! Alles ist heute Storytelling / alles sind auf einmal Narrative!« Der sich darin ausdrückende Überdruss ist natürlich auch einem inflationären und häufig nicht sehr reflektierten Gebrauch dieser Begriffe geschuldet.
Gerade im Unternehmenskontext, in dem ich unter anderem als Berater unterwegs bin, höre ich oft die abenteuerlichsten ›Definitionen‹ von ›Storytelling‹: Da sind dann emotionale Kommunikation, der Gebrauch von Metaphern oder ein Interview schon Storytelling. Man benutzt den schicken Begriff, um die eigene Kommunikation aufzuhübschen. Eine wirkliche Geschichte, die aus einem Anfang, einer Mitte, in der eine Veränderung geschieht und einem Ende besteht (wie schon Aristoteles wusste), ist da häufig nicht zu finden. Ähnlich im Feuilleton: Wenn zum Beispiel vom »Narrativ der Abstimmung« auf einem Parteitag geschrieben wird, dann ist beim besten Willen nicht zu sehen, wo da der aristotelische Dreiklang verborgen sein soll.
Aber: Auch scheinbar noch so berechtigter Überdruss sollte uns nicht davon abhalten, uns mit Geschichten und Narrativen zu beschäftigen. Der Grund ist einfach: Sie sind »immer und überall«, wie man frei nach dem bekannten Songtext der »Ersten Allgemeinen Verunsicherung« sagen könnte.
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