Damals erlebte die Zusammenarbeit zwischen dem Bundeskanzler und Ludwig Erhard überhaupt ihre erste heftige Belastungsprobe – wie der Bundeswirtschaftsminister in seinem Brief vom April 1956 andeutete. Der im Juni 1950 ausgebrochene Korea-Krieg löste eine für die Wirtschaft der Bundesrepublik zunächst bedrohliche Kettenreaktion aus. Die Rohstoffe wurden knapp, da die Rohstoffpreise rapide gestiegen waren und das Land damals nur über unzureichende Devisenreserven verfügte. Aber auch Nahrungsmittel wurden rasch teurer. 50Die Forderung nach einem Preisstopp, nach einer Rückkehr zur staatlichen Wirtschaftslenkung wurde in dieser Situation nicht nur von den Gewerkschaften und den Sozialdemokraten erhoben. Auch in der Union meldeten sich wieder besorgte, Erhard gegenüber kritische Stimmen. 51Meinungsumfragen erbrachten in der Zeit der Korea-Krise dementsprechend katastrophale Ergebnisse für den Wirtschaftsminister – während gerade einmal noch 14 Prozent seinen Kurs befürworteten, war über ein Viertel rundweg dagegen. »Von Erhard habe ich eine schlechte Meinung!«, bekannten sie. 52
Schließlich griffen sogar die Amerikaner massiv in die Auseinandersetzungen ein. Am 6. März 1951 forderte der Hohe Kommissar John McCloy in einem Schreiben den Bundeskanzler in kaum verhüllter ultimativer Form auf, zu direkten staatlichen Bewirtschaftungs- und Verteilungsmaßnahmen, zu Preis- und Devisenkontrollen, zu Prioritätsfestsetzungen und Planungsstäben zurückzukehren, also mit einem Wort: die staatliche Planwirtschaft wieder zu etablieren. Durch die Drohung, andernfalls würden die Vereinigten Staaten ihre subventionierten Rohstofflieferungen und Dollarhilfen für die Bundesrepublik massiv kürzen, verlieh der Hohe Kommissar diesem »Wunsch« der westlichen Hegemonialmacht besonderen Nachdruck. 53
Eine Annahme dieser weitgehenden amerikanischen Forderungen hätte tatsächlich eine Abkehr vom marktwirtschaftlichen System bedeutet. McCloy und mit ihm die Mehrzahl der Verantwortlichen in Washington glaubten aber an die Notwendigkeit einer solch radikalen Umkehr, zumal sich die USA selbst genötigt sahen, Preiskontrollen in Verbindung mit einer Zentralisierung ihrer Wirtschaftsplanung einzuführen. Der Hohe Kommissar suchte die amerikanische Anordnung daher auch Erhard sowie Finanzminister Schäffer in einer vielstündigen erregten Diskussion verständlich zu machen. 54Erhard musste denn auch eine Importdrosselung akzeptieren, musste eine schärfere Devisenkontrolle und ein Investitionshilfeprogramm für die Grundstoffindustrie in Höhe von 1,2 Milliarden D-Mark hinnehmen, kämpfte aber wie ein Löwe gegen alle weitergehenden Konzessionen. 55
Wie verhielt sich Adenauer? Von ihm würde der Ausgang des Tauziehens ganz entscheidend abhängen. Am 12. Februar 1951 hatte er vor dem Bundesausschuss der CDU erklärt, dass er kein prinzipieller Anhänger der Marktwirtschaft sei, sondern sie nur so lange befürworten könne, wie sie Erfolge aufzuweisen habe 56– eine weitere, für den Wirtschaftsminister nicht gerade beruhigende Äußerung. Im Verlauf der gesamten Korea-Krise vermochte sich der Kanzler nicht zu einem klaren innerparteilichen, geschweige denn öffentlichen Vertrauensvotum für Erhard durchzuringen. Immerhin beteiligte er ihn ebenso wie Finanzminister Schäffer an der Formulierung des Antwortschreibens an McCloy, übernahm dabei ihre zentralen Argumente, mit welchen das einschneidende amerikanische Gesuch mehr oder minder deutlich zurückgewiesen werden konnte. Dabei kam der Bundesregierung besonders zustatten, dass die Industrieverbände sich freiwillig bereit erklärt hatten, gewisse Lenkungsaufgaben zu übernehmen, was die geforderten staatlichen Eingriffe weitgehend überflüssig machte. 57
Auch wenn sich Adenauer hier letztlich doch hinter Erhard stellte, wurde ihre Zusammenarbeit in diesen Monaten immer schwieriger, reibungsvoller, war das einstige Vertrauensverhältnis bereits empfindlich gestört. Beiderseitiges Misstrauen diktierte die jeweiligen Handlungen, ja, es kam zwischen Kanzler und Wirtschaftsminister gelegentlich zur offenen Konfrontation. Gerd Bucerius, damals CDU-Bundestagsabgeordneter, erinnerte sich: »Einmal habe ich Adenauer vor Wut nach Luft schnappen sehen. Er war in der Korea-Krise Erhard stark angegangen: Wann denn nun ›de Preise nich mehr steijen würden‹. Erhard: ›Spätestens im Herbst.‹ Adenauer: ›Woher wissen Se dat?‹ Erhard: ›Das weiß ich mit nachtwandlerischer Sicherheit.‹« 58Genau diese »nachtwandlerische Sicherheit« leuchtete Adenauer überhaupt nicht ein. Ein Somnambuler hatte auf der Kommandobrücke des Wirtschaftsressorts nix verloren. Und auf die prophetischen Gaben eines Volkswirtschaftlers mochte er sich gleich gar nicht verlassen. Wie hatte er doch einmal nach einem längeren Vortrag von Erhard selbst erklärt: »Lassen Sie es mal gut sein, Herr Erhard, mit Ihrer Volkswirtschaft. Wissen Sie, meine Herren, über die Volkswirtschaft, da hat mir Herr Duisberg 59einmal jesagt: ›Volkswirtschaft ist pathologische Anatomie, da kann man nachträglich, wenn es schief jejangen ist, feststellen, warum es schief jejangen ist, vielleicht.‹ Sehen Sie, Herr Erhard, dat ist Ihre janze Volkswirtschaft.« 60
Musste man nicht damit rechnen, dass sich die Dinge in einer anderen als der von Erhard vorhergesagten Weise gestalteten? Da galt es, sich vorzusehen, ein »Schiefgehen« zu verhindern. Deshalb berief der Bundeskanzler im März 1951 einen kleinen Kreis von Wirtschaftsexperten in das Palais Schaumburg. Unter der Leitung des Berliner Bankiers Friedrich Ernst, wie Abs gleichfalls ein Teilhaber des Bankhauses Delbrück, Schickler & Co., nach dem Krieg dann Verwaltungsratsvorsitzender der Berliner Zentralbank, sollte diese Gruppe den Kanzler beraten, Gegenpositionen zu Erhards gelegentlich recht hochfliegenden Plänen entwickeln. Ja, Adenauer dachte sogar daran, Ernst zum Vorsitzenden eines gesonderten Wirtschaftskabinetts zu machen oder ihm ein Oberministerium für Wirtschaftsfragen anzuvertrauen, in welchem der Bundeswirtschaftsminister keine wichtige Rolle mehr würde spielen können. 61
Obwohl aus diesen personaltaktischen Plänen und Überlegungen wenig wurde, weil sich die volkswirtschaftliche Gesamtlage erstaunlich rasch in der von Erhard vorhergesagten Weise stabilisierte – fast überall in der westlichen Welt blockierten Rüstungsaufgaben vorhandene Produktionskapazitäten, stieg die Nachfrage nach nichtmilitärischen westdeutschen Ausfuhrgütern entsprechend an, was den berühmten Korea-Boom in der Bundesrepublik bewirkte 62–, sprach aus ihnen doch des Kanzlers geringes Vertrauen in die Fähigkeiten seines Wirtschaftsministers. Im Frühjahr 1951 konnte es jedenfalls kaum mehr einen Zweifel geben: Adenauer suchte eine Auffangposition, einen möglichen Nachfolger Erhards aufzubauen, um gewappnet zu sein, falls wachsende wirtschaftliche Schwierigkeiten eine Ablösung des Ministers erforderlich werden ließen.
Erhard stemmt sich erfolgreich gegen die Rückkehr zur Bewirtschaftung. Die Korea-Krise mündet, wie von ihm prognostiziert, rasch in den Korea-Boom .
Dieser für ihn bedrohlichen wie bedrückenden Entwicklung mochte Erhard nicht tatenlos zusehen. Mit der am 19. März 1951 gegen den ausdrücklichen Wunsch Adenauers erfolgten Berufung des Vorstandsvorsitzenden der Hamburger Phoenix Gummiwerke AG Otto A. Friedrich zum Rohstoffberater des Wirtschaftsministeriums wurde dem Kanzler der Kampf angesagt. Ihm und den Alliierten sollte demonstriert werden, dass das Wirtschaftsministerium selbst durchaus tatkräftig die schwierige Rohstofffrage in den Griff bekommen werde. 63Dass Erhard einen bekannten Kritiker seiner Politik wie Friedrich, der damals einen Arbeitskreis für privatwirtschaftliche Wirtschaftslenkung beim Bundesverband der Deutschen Industrie leitete, schließlich für sich gewinnen konnte, war in diesem März 1951, als für den Minister so vieles auf dem Spiel stand, sicher ein Erfolg. 64
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