Sätze, die man dieser Studie als Leitmotiv voranstellen könnte. Die komplizierte, nur ganz am Anfang reibungslose Zusammenarbeit zwischen den beiden führenden Repräsentanten der Union, die über lange Jahre trotz persönlicher Abneigung, vor denselben Wagen gespannt, im Geschirr aushielten; ihre internen Konflikte und Auseinandersetzungen, schließlich der schwierige, für alle Beteiligten peinvoll-peinliche Streit um die Nachfolge bis hin zum ersten Kanzlerwechsel – all das bleibt für die Union eine cause celebre , bleibt als Themenkomplex durchaus heikel. Adenauer und Erhard hieß es nach außen hin so lange, während hinter den Kulissen Adenauer mit einer Erbitterung sondergleichen gegen Erhard stritt und der langjährige Erbfolgekrieg beide Kontrahenten, aber auch die Union beschädigte. Derlei Bedenken waren bei den ersten Recherchen oft zu hören, waren bisweilen sogar unüberwindlich. Als unüberwindlich, undurchdringlich erwiesen sich damals die Mauern der CDU-Parteiarchive, der Stiftungen, die den Namen Adenauers in ihrem Titel tragen, die seinen Nachlass und die zentralen Dokumente, Protokolle, Akten der Unionsgeschichte verwalten, sie hüten wie den Hort der Nibelungen. Diese Schätze vor dem »Blick der Profanen« zu schützen galt dort als höchstes Ziel. Kein Zureden, keine Fürsprache half. Satzungen, Statuten, Präzedenzfall – Einwände, Ausflüchte gab es viele. Der Riegel hielt.
Woher stammen nun aber die Quellen für dieses Buch, wer hat es überhaupt erst ermöglicht? Zuvorderst ist dem Vorsitzenden der Ludwig-Erhard-Stiftung in Bonn, Karl Hohmann, zu danken. Ohne seinen Entschluss im Jahr 1982/83, einen fast vollständigen Einblick in die Archivalien seines Hauses, vor allem in den Nachlass Ludwig Erhards, zu gestatten, einer sorgfältigen, gründlichen Auswertung zuzustimmen, hätte das Buch nicht geschrieben werden können. Die zentralen Passagen der vorliegenden Studie stützen sich auf die Korrespondenz zwischen Ludwig Erhard und Konrad Adenauer. In Adenauers Kanzlerdemokratie, in jener längst versunkenen Zeit also, als es noch keine SMS oder E-Mail gab, war der Brief tatsächlich noch ein zentrales Herrschaftsinstrument – und das gilt ganz besonders für den umfangreichen Briefwechsel zwischen diesem Bundeskanzler und seinem Wirtschaftsminister und Nachfolger, der hier erstmals als entscheidender Quellenbestand herangezogen und so zum Ausgangspunkt für eine zeitgeschichtliche Studie werden konnte. In der sorgfältigen Edition von Holger Löttel kann man seit 2019 weite Teile dieser umfänglichen Korrespondenz auf 1211 Seiten nachlesen. 8Dennoch wird unser Buch damit nicht überflüssig. In ihm werden um die Schlüsselquellen herum eine Vielzahl anderer Dokumente und Materialien angeordnet, die sie ausleuchten, erhellen und manches bisweilen erst verständlich werden lassen. Der Nachlass Heinrich von Brentanos im Bundesarchiv, der Nachlass von Theodor Heuss und viele Dokumente aus dem Archiv der Freien Demokratischen Partei kommen als weitere wichtige Quellenbestände hinzu.
Um diese Materialien aus Stiftungen, Archiven, Institutionen gruppieren sich zwei weitere wichtige Informationsstränge. Eine ganze Reihe von Zeitzeugen und Beteiligten, die heute alle längst nicht mehr leben, haben sich in den Achtzigerjahren zu ausführlichen, bis zu acht Stunden dauernden Gesprächen zur Verfügung gestellt und außerdem eigene private Unterlagen, Briefe, Tagebuchnotizen, Gedächtnisprotokolle wichtiger Sitzungen und anderes mehr dem Verfasser überlassen. Hier muss in erster Linie Gerd Bucerius, Helmut Gollwitzer, Hans Herbert Götz, Walter Henkels, Antonius John, Konrad Kraske, Wolfram Langer, Ernst Müller-Hermann, Georg Schröder, Kurt Steves, Robert Strobel, Wolfgang Wagner und Hans-Henning Zencke gedankt werden. Der besonders aussagekräftige Briefwechsel Bucerius/Erhard verdient an dieser Stelle herausgehoben zu werden zusammen mit den mehrere Aktenbände umfassenden Aufzeichnungen von Wolfram Langer.
Hinzu treten die umfangreichen, viele Leitzordner füllenden persönlichen Materialien, Notizen, Aufzeichnungen, teilweise auch Tagebucheintragungen ehemaliger Bonner Korrespondenten wie Hans Herbert Götz, Georg Schröder, Wolfgang Wagner und Hans-Henning Zencke. Dadurch kann in dieser Studie das Wechselspiel zwischen den Haupt- und Staatsaktionen im Regierungslager und den Vertretern der Vierten Gewalt stärker aufscheinen, wobei die Differenz zwischen publizierter Nachricht oder veröffentlichtem Kommentar und vertraulicher Hintergrundinformation vielfach klar zutage tritt.
In die Darstellung eingeflossen sind außerdem an vielen Stellen die Hinweise von Monsignore Paul Adenauer, von Gerhard Kluth, dem Neffen Ludwig Erhards – vor allem, was die Charakterisierung der Persönlichkeit der beiden Hauptpersonen in dieser Studie anbelangt. Zu langen, teilweise mehrfachen, hinterher in Gedächtnisprotokollen festgehaltenen Besprechungen Zeit genommen haben sich auch Rüdiger Altmann, Erik Blumenfeld, Eugen Gerstenmaier, Klaus Gotto, Hermann Höcherl, Georg Kotowski, Heinrich Krone, Ernst Majonica, Erich Mende, Ulrich Meyer-Cording, Horst Osterheld, Alfred Rapp, Josef Rösing, Otto Schlecht, David Schoenbaum und Ludger Westrick. All ihre Hinweise führten zurück in die mittlerweile längst entrückte Nachkriegs- und Anfangszeit der Bundesrepublik und lieferten wertvolle Puzzleteile zu deren Verständnis.
Die Gesprächsbereitschaft dieses Reigens von Zeitzeugen wurde vermutlich damals vielfach befördert durch die Tatsache, dass die meisten Hintergrundgespräche 1982/83 in Bonn in einer anderen, gleichfalls aufwühlenden Zeit des Übergangs – diesmal von der sozialliberalen Ära zur Kanzlerschaft Helmut Kohls – geführt wurden. Das Treffen mit Ludwig Erhards langjährigem Staatssekretär und Kanzleramtschef Ludger Westrick war beispielsweise von langer Hand für den 1. Oktober 1982 verabredet, was sich Wochen später als Tag des konstruktiven Misstrauensvotums entpuppte, mit dem Helmut Schmidt gestürzt und Helmut Kohl zum neuen Kanzler gewählt werden sollte. Auf die Anfrage, ob wir das Gespräch deshalb verschieben sollten, antwortete Ludger Westrick: »Keineswegs, ganz im Gegenteil, Sie müssen unbedingt kommen …« Am Ende verbrachten wir den ganzen historischen Tag gemeinsam. Ludger Westrick fühlte sich zweifellos stark an den brutalen Kanzlersturz von Ludwig Erhard sechzehn Jahre zuvor erinnert und sprach entsprechend offen und freimütig über die bittere Endphase jener Kanzlerschaft.
Nach Abschluss der Recherchen standen dem Verfasser in der Zeit der Niederschrift zudem vor allem zwei sachkundige Gesprächspartner unermüdlich zur Seite: Volkhard Laitenberger, der Leiter des Bonner Archivs der Ludwig-Erhard-Stiftung, und Wolfram Langer, der langjährige Bonner Chefkorrespondent des Handelsblatts , Erhard-Vertraute und 1956/57 Mitverfasser von Wohlstand für alle , von 1958 bis 1963 Leiter der Abteilung I im Bundeswirtschaftsministerium und anschließend bis 1968 dessen Staatssekretär, der überdies das gesamte, umfangreiche Manuskript auf sachliche Fehler durchgesehen und eigene Nachforschungen nicht gescheut hat, um für größere Genauigkeit zu sorgen.
Weshalb wird nun dieser Band nicht einfach wieder neu aufgelegt, versehen mit der einen oder anderen kleineren Korrektur? Das hängt mit dem neu entstandenen Ludwig Erhard Zentrum (LEZ) in Fürth zusammen – und mit dem unermüdlich beharrlichen Wirken von Evi Kurz, der entscheidenden Kraft hinter allem. Sie ist mittlerweile für Ludwig Erhard das geworden, was Anneliese Poppinga für Konrad Adenauer war. Mit ihrem Fürther Initiativkreis zusammen hat sie erreicht, dass das Geburtshaus von Ludwig Erhard, die »Wiege der Sozialen Marktwirtschaft«, wie sie scherzhaft zu sagen pflegt, erworben und mit Mitteln des Bundes, des Freistaats Bayern und privater Spender zu einem Erhard und seiner Konzeption gewidmeten Zentrum mit eindrucksvoller Doppelausstellung im Geburtshaus und modernen Museumsneubau direkt am Rathaus von Fürth ausgestaltet werden konnte. Bei der Entwicklung des Drehbuchs für die 2018 eröffnete Dauerausstellung war der »alte« Kampf ums Kanzleramt ein nicht ganz unwichtiger Baustein. Zugleich wurden aber auch seine Lücken deutlich. Wesentliche Teile aus der frühen Biografie Ludwig Erhards waren blinde Stellen geblieben und brauchbare biografische Studien zu ihm, anders als zu Adenauer, weiterhin Mangelware. Deshalb wurde von unserem Team eine intensive Recherchearbeit in Gang gesetzt, wobei die zwei hervorragenden »Kundschafter« Christoph Schoelzel und Philipp Rauh mit ihren akribischen Archivrecherchen besonders hervorgehoben zu werden verdienen. Sie haben nicht nur die verschollene umfangreiche Militärakte Ludwig Erhards aus dem Ersten Weltkrieg im Kriegsarchiv des Bayerischen Hauptstaatsarchivs aufgespürt, sondern auch viele der rund 2000 Seiten mit zentralen Quellenfunden aus der Zeit des Dritten Reichs zusammengetragen, die hier nun erstmals ausgewertet und eingearbeitet werden konnten und zu klären versuchen, was Ludwig Erhard vor dem Frühjahr 1945 erlebt und welchen Weg er eingeschlagen hat.
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