»Das Institut für Wirtschaftsbeobachtung hat unter Ihrer Leitung in einem Zeitraum von 14 Tagen einen Bericht erstellt über die ostmärkische Verbrauchsgüterindustrie. Dieser Bericht ist von mir benötigt worden als Unterlage für eine Denkschrift, die dem Generalfeldmarschall vorgelegt wurde. Ich bestätige Ihnen, daß ich über die bei Erstellung des Lageberichts geleistete hervorragende Arbeit Ihres Instituts und die vorzüglichen Fähigkeiten Ihrer Mitarbeiter nur mein uneingeschränktes Lob aussprechen kann. Der Bericht ist trotz der Kürze der Zeit derart umfassend und qualitativ bestechend, daß ich tatsächlich über diese Leistung mehr als erstaunt bin. Wenn ich bei Erteilung des Auftrags der Auffassung war, daß Ihnen in der Kürze der Zeit diese Arbeit nicht voll gelingen wird, so bestätige ich Ihnen heute gerne, daß Sie mich in dieser Hinsicht in angenehmster Weise überrascht haben. Ich versichere Ihnen, daß ich auch in Zukunft gerne wieder an Ihr Institut herantreten werde.« 43
Mit diesem Gutachten beginnt eine mehrjährige Zusammenarbeit. Erhard und sein Institut hatten Bürckel allem Anschein nach mit einer Fülle substantieller Informationen zur wirtschaftlichen Entwicklung in Österreich nach dem »Anschluss« aus der Bredouille geholfen, nachdem Hermann Göring als Chef der Vierjahresplanbehörde eine solche Bestandsaufnahme sehr kurzfristig angefordert hatte. Bürckel war höchst überrascht und erfreut über die ökonomische Fachkompetenz und Leistungskraft im Nürnberger Institut.
DISPUT MIT HIMMLERS REICHSKOMMISSARIAT ZUR FESTIGUNG DES DEUTSCHEN VOLKSTUMS
Vermutlich war es auch nicht zuletzt Josef Bürckels Fürsprache zu verdanken, dass Ludwig Erhard – unterstützt von zwei Kollegen aus dem Nürnberger Institut, Dr. Gerhard Holthaus und Dr. Albert Kerschbaum, die auch schon an der »Ostmark-Blitz-Studie« mitgewirkt hatten – im Sommer 1940 von der NS-Haupttreuhandstelle Ost (HTO) als Wirtschaftsgutachter bestellt wird. Hermann Göring hatte im November 1939 diese Treuhandstelle zur Beschlagnahmung und Veräußerung von jüdischem wie polnischem Eigentum, von Sachwerten wie Finanzmitteln in den besetzten Ostgebieten eingerichtet. Max Winkler, der umtriebige Reichstreuhänder und Leiter der HTO, erteilte Erhard und damit dem Institut im Herbst 1940 den Auftrag, die Wirtschaftsabläufe in zwei polnischen Gebieten zu analysieren. Die beiden Gebiete hatten bis zum Versailler Vertrag noch zum Deutschen Reich gehört, waren anschließend – mit Ausnahme der Stadt Danzig – dem neu entstandenen polnischen Staat zugewiesen worden und sind mittlerweile, zusammen so groß wie Bayern und Schleswig-Holstein, wieder formal dem Reich angeschlossen, im neuen Gau Danzig-Westpreußen und dem sogenannten »Warthegau« um Posen.
Abermals geht es dabei, wie schon zuvor bei Bürckel, um eine Bestandsaufnahme der wirtschaftlichen Möglichkeiten und Produktionsstätten, um eine rasche Ankurbelung der industriellen, aber auch landwirtschaftlichen Produktivität zur Verbesserung der Versorgungslage, um Rohstoffbeschaffung und Kapitaleinsatz, Liquidität, Sortimente, Kosten und Preise bis hin zur technischen Ausstattung der Betriebe. Im Rückblick mutet es fast bizarr an, dass der Mann, der nach dem Krieg in seiner Heimatstadt Fürth, anschließend in Bayern, in der Bizone, in Trizonesien und dann noch in der jungen Bundesrepublik fortwährend mit der fundamentalen Frage konfrontiert werden sollte, wie man die ökonomischen Verhältnisse der Menschen rasch und nachhaltig verbessern könne, damit tatsächlich schon 1938/39 beschäftigt gewesen ist, wenn auch zunächst bis 1945 unter den Bedingungen einer brutalen Diktatur und einer immer dominanteren Staats- und Kriegswirtschaft.
Ludwig Erhard hat die besetzten polnischen Gebiete verschiedentlich bereist und mehrere dortige Betriebe besichtigt. Er hat auch im Frühjahr 1941 mit Blick auf problematische hygienische Verhältnisse seiner Unterbringung bei der Stiftungsaufsicht eine Ausweitung seiner Krankenversicherungszeit auf ein Jahr beantragt. Am 15. Mai schreibt er diesbezüglich: »Meine Tätigkeit führt mich heute vielfach in neue, besetzte Gebiete, in denen die Wohnungsund Unterkunftsverhältnisse derart gelagert sind, dass ein Schutz vor Infektionskrankheiten nicht gewährleistet erscheint. So musste ich z.B. in Polen in polnischen Quartieren schlafen oder im Wartesaal zwischen der polnischen Zivilbevölkerung …« Konzediert werden ihm allerdings nicht 52, sondern nur 26 Wochen. 1
Zwei Monate später, im Juni 1941, legte Erhard – er ist der federführend Verantwortliche – den 164 Seiten umfassenden »Vor- oder Zwischenbericht über die Markt- und Betriebsstruktur des neuen deutschen Ostraums sowie die sich daraus für den Aufbau ergebenden Schlussfolgerungen vom Institut für Wirtschaftsbeobachtung der Deutschen Fertigware, Stadt der Reichsparteitage Nürnberg« vor. Der Bericht selbst ist nicht erhalten geblieben. Aber es gibt im Bundesarchiv-Militärarchiv in Freiburg eine 15 eng beschriebene Seiten umfassende Zusammenfassung, die einen groben Eindruck vom Duktus der breit angelegten Argumentation vermittelt und die Christian Gerlach bereits 1997 publiziert hat. 2Bemerkenswert ist der sachliche Ton der Zitate, der sich von der nationalsozialistischen Blut- und Boden-Propaganda deutlich abhebt und insbesondere ein Polen-Bild transportiert, das überhaupt nicht der NS-Ideologie entsprach, auch wenn einige Konzessionen an NS-Rassenklischees im Text auftauchen. Zudem wussten die Nürnberger Wirtschaftsexperten, was das NS-Regime in den besetzten polnischen Gebieten bereits angerichtet hatte, auch wenn hier wie in allen überlieferten Auszügen aus den Ostgutachten das Wort »Juden« nicht auftaucht, und plädierten vorsichtig und unter Verweis auf wirtschaftliche Notwendigkeiten für eine zukünftig moderatere Polenpolitik. Aus einer längeren, dem Thema »Bevölkerung« gewidmeten Passage zu Beginn lässt sich all dies beispielhaft herauslesen. Dort heißt es:
»Das Miteinanderleben und Miteinanderarbeiten von Deutschen und Polen in den Betrieben wird als die wichtigste aller zu lösenden Aufgaben empfunden … Der polnische Arbeiter hat sich ja als willig und fleißig erwiesen, wenn auch seine Leistung nicht an reichsdeutschen Maßstäben zu messen ist. Dies ist Ausfluß mangelnder Erziehung und rassisch bedingter Eigenschaften … Nach der Evakuierung der sog. polnischen Intelligenz und der Ausschaltung der polnischen Betriebsführer aus dem wirtschaftlichen Leben können keine Bedenken mehr dagegen bestehen, die große Masse der in wirtschaftlicher Abhängigkeit tätigen polnischen Menschen einkommensmäßig so zu stellen, daß sie nicht nur als Erzeuger, sondern auch als Konsumenten in Frage kommen. Auf die Heranbildung polnischer Facharbeiter, die für eine führende Stellung im Betrieb geeignet wären, kann wahrscheinlich nicht verzichtet werden. Der Mangel an deutschen Arbeitskräften zwingt dazu, deshalb glaubt das Nürnberger Institut den Vertretern einer auf lange Sicht versöhnlich ausgerichteten Politik der Menschenführung recht geben zu können. Es kommt darauf an, ohne Preisgabe der Persönlichkeit und der Würde seines Volkes Vorbild zu sein und zugleich möglichst spannungsfrei mit der polnischen Bevölkerung zusammenzuarbeiten.« 3
Bei der HTO ist man so zufrieden über die Studie, dass man einen ungewöhnlich großen Verteiler für die Versendung der Kurzfassung wählte. Zu ihm gehörten 18 Reichsminister – mit Ausnahme von Dr. Hans Heinrich Lammers, dem Chef der Reichskanzlei –, Himmler, fünf Staatssekretäre, die Vierjahresplanbehörde, das Wehrwirtschafts- und Rüstungsamt, der Generalgouverneur in Polen, der Reichsrechnungshof sowie zahlreiche Dienststellen in den »eingegliederten Ostgebieten«. 4
Zeitgleich erhalten die Nürnberger eine positive Rückmeldung. Ludwig Erhard und seinem Team wird von der HTO mitgeteilt, sie hätten in ihrer Untersuchung »die ostdeutschen Wirtschaftsprobleme, die volks- wie betriebswirtschaftlichen Fragen richtig erkannt und aus diesen Erkenntnissen Ihre Folgerungen und Forderungen für den Aufbau der ostdeutschen Wirtschaft klar vorausschauend abgeleitet«. Weiter heißt es: »So gelangen Sie zu einer Fülle von Anregungen für den Kräfteeinsatz, für die Produktion und die Absatzwirtschaft ebenso wie für den Krediteinsatz, Abschreibungen und Investitionen usw. und damit zu Vorschlägen, die in hohem Maße geeignet sind, den Aufbau der ostdeutschen Wirtschaft zu steuern. Für Ihre erfolgreiche Arbeit spreche ich Ihnen meine ganz besondere Anerkennung und meinen Dank aus.«
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