1 ...7 8 9 11 12 13 ...17 Walter Laqueur beschrieb eine andere Beobachtung, die er „Lone Terrorist“ nannte. Er ging von Einzeltätern oder maximal kleinen Gruppen aus, die ohne jegliche Kontrollinstanz auch nicht vor grausamen Anschlägen zurückschrecken würden. Neben einer höheren Gewaltbereitschaft sollten sich diese durch ungewöhnliche Ideologien auszeichnen. 63Kai Hirschmann sah die Zukunft des Terrorismus im „Privatterroristen“, der den Terror mit dem Geschäft vermischt. Dem Privatterroristen stünden hohe finanzielle Ressourcen zur Verfügung, die er teilweise auch aus legalen Geschäften erhält, wobei er jedoch trotz seiner extremen politischen und religiösen Ansichten nicht direkt an den Aktionen beteiligt werden möchte. Als Beispiel sah er Osama bin Laden, der einen Großteil seines Vermögens in die direkte und indirekte Finanzierung des Terrors steckte. Des Weiteren brachte Kai Hirschmann den Begriff „Single Issue-Terrorism“ mit in die Diskussion um den Neuen Terrorismus ein. Er bezog sich dabei auf einen Text von G. Davidson Smith aus dem Jahr 1998. 64Dieser beschrieb den Single Issue-Terrorismus als einen Terrorismus, der sich gegen einen Missstand stellt, der aus politischem Handeln bzw. Nicht-Handeln resultiert. Dabei handelt es sich um Einzelthemen, wie Abtreibung, Tierschutz und Umweltschutz. Die Mitglieder kommen aus allen sozialen Schichten und Berufsgruppen und finden sich nicht in den Organisationen zusammen, um eine gesamte gemeinsam geteilte Ideologie zu verteidigen, sondern um eine Schnittpunkthema ihrer Ideologien mit terroristischen Mitteln durchzusetzen. Die Anschläge finden lokal statt, jedoch existiert das Phänomen weltweit. Die Kommunikation untereinander findet damals schon hauptsächlich durch das Internet statt. 65Keine dieser drei Arten hat sich jedoch weiter als ein Typus des Neuen Terrorismus in der Diskussion verfestigt. Meist wurden Abtreibungsgegner zu rechts-konservativen oder religiösen terroristischen Organisationen mit dazu gezählt und die Ökoterroristen zu links-sozialrevolutionären terroristischen Organisationen. Im Laufe der Zeit hat sich zumindest der Ökoterrorismus als eigenständige Terrorismusform in der wissenschaftlichen Diskussion etabliert, jedoch abseits des Neuen Terrorismus. 66
2.2 Alter und Neuer Terrorismus in der Literatur nach dem 11. September 2001
Nach den Anschlägen des 11. September 2001 erscheint die Einteilung in Alten und Neuen Terrorismus in der Diskussion eindeutiger und einheitlicher. Die unterscheidende Line verläuft nicht mehr hauptsächlich zwischen alten und neuen Anschlägen, sondern auch zwischen alten und neuen terroristischen Organisationen. Al Qaeda hat sich mit dem Anschlag auf das World Trade Center, das Pentagon und das Weiße Haus zum Prototyp des Neuen Terrorismus qualifiziert, an dem sich die Eigenschaften im Diskurs messen lassen müssen. Organisationen wie die ETA, IRA, PLO, RAF stehen nun als typische alte terroristische Organisationen Al Qaeda als typischer neuer terroristischer Organisation gegenüber. 67
Eine neue Unterscheidung zwischen alten und neuen terroristischen Organisationen erkennen Autoren wie Steven Simon, Paul Wilkinson, Wolfgang Kraushaar oder Lord Anthony Giddens in der Struktur der terroristischen Organisationen. Alleine Bruce Hoffman hatte bereits 1998 und 1999 auf diese Unterschiede hingewiesen. 68Während alte terroristische Organisationen meist kleine, hierarchisch angeordnete Organisationen mit einer strikten Befehls-, Kontroll- und Kommunikationsstruktur sind, 69stellen sich die neuen terroristischen Organisationen als große, diffuse und amorphe Gebilde dar. Die neuen terroristischen Organisationen bestehen nur noch aus autonomen, lose miteinander verbundenen Zellen, ohne eine hierarchische, teilweise sogar ganz ohne eine klar erkennbare Organisations- und Mitgliederstruktur. 70Meist ist die Führung nur noch spirituell und nicht mehr strategisch. Der Zusammenhalt der Organisationen bleibt trotz der fehlenden strategischen Führungsperson bestehen. Ein gemeinsamer Glaube und eine spirituelle Inspiration ersetzen diese. 71
Es gibt jedoch auch einige Autoren, die die Entwicklung zu komplett autonomen, dezentralisierten Gebilden mit Einschränkungen sehen. Peter Neumann beschreibt die neuen terroristischen Organisationen nach wie vor als kleine Organisationen, deren Strukturen nur diffuser geworden sind. 72An dieser Stelle spiegelt sich das unterschiedliche Verständnis von „Organisation“ und „Netzwerk“ wieder. Die Unsicherheit, wann eine Organisation schon ein Netzwerk ist und in wie viele Ebenen es sich aufteilen lässt, zeigt sich besonders bei Al Qaeda. Während einige Autoren Al Qaeda als eine terroristische Organisation beschreiben, 73die sich in netzwerkartig miteinander verbundene Zellen teilt, ist sie für andere: „… eine Organisationsstruktur, die ähnlich wie ein globales Unternehmensnetzwerk aufgebaut ist und aus Terrorgruppen in über 40 Ländern besteht.“ 74Brian Michael Jenkins und Paul Wilkinson sehen bei Al Qaeda noch eine hierarchische Kommunikations- und Führungsstruktur als vorhanden an, während Martha Crenshaw dagegen Al Qaeda nach 2001 als ein vollkommen dezentralisiertes Netzwerk beschreibt. Dies bleibt jedoch für sie das einzige Beispiel einer dezentralisierten religiösen terroristischen Organisation. 75Renate Mayntz, die sich ausführlich mit Organisationsformen von terroristischen Organisationen beschäftigt hat, sieht die Grenze allerdings fließend und spricht von Hybriden-Organisationen: „… the boundary between a decentralized organization and a well-connected network may appear fluid …“ 76Al Qaeda habe sich im Laufe der Zeit in seiner Struktur gewandelt und sei weniger hierarchisch, dafür mehr netzwerkartig geworden. Jedoch gilt für Al Qaeda, laut Renate Mayntz, wie für alle anderen neuen terroristischen Organisationen, dass sie neben ihrer netzwerkartigen Struktur auch Charakteristiken einer hierarchischen Struktur aufweisen. Dies gelte im Umkehrschluss auch für die alten terroristischen Organisationen. 77In diesem Sinne hält auch Peter Neumann die Zellenstruktur nicht für ein neues Phänomen: „cells are as old as terrorism, and they are not what is meant when referring to the diffusion of terrorist group structures.“ 78Für ihn ist die Zellenstruktur nur flexibler geworden, die Hierarchie bleibt durch den Anführer der einzelnen Zelle bestehen, auch wenn dies nach außen hin nicht mehr sichtbar ist. Dadurch ist die Zelle nur soweit autonom, wie es die Führungspersonen zulassen. 79
Neben Veränderungen in der Führungs- und Kommunikationsstruktur ist der Grad der Internationalisierung ein weiteres strukturelles Merkmal, das in der Diskussion um eine steigende Netzwerkartigkeit aufgegriffen wird. Während Bruce Hoffman für die neunziger Jahre einen Rückgang internationaler Anschläge aus US-amerikanischer Sicht anmerkt, und Rueven Paz nur für den islamistischen Terrorismus eine globale Ausbreitung sieht, ändert sich dies nach dem 11. September 2001. 80Während die alten terroristischen Organisationen lokal begrenzt aktiv werden in Bezug auf Planung, Rekrutierung und Ausführung der Anschläge, 81wird den neuen terroristischen Organisationen ein globaler Charakter zugesprochen. Die neue terroristische Organisation erscheint als globales Unternehmen mit geo-politischen Zielen, dessen Mitglieder sich multinational zusammensetzen und das weltweit rekrutiert und Finanzquellen erschließt. Der wichtige Unterschied zu den alten terroristischen Organisationen liegt jedoch in einer Veränderung bis hin zur Transnationalität, der jeder lokale Bezugspunkt fehlt. 82Die Entwicklung zu internationalen Verbindungen wird auch den alten terroristischen Organisationen in den letzten 30 Jahren zugesprochen, diesen blieb jedoch meist ein geographischer Bezugspunkt. 83Die neuen terroristischen Organisationen scheinen einen Schritt weiter beim Grad der Internationalisierung zu gehen. Sie bewegen sich in transnationalen Räumen ohne festes Basisland und bilden in diesem Räumen ihre Netzwerke in alle Richtungen aus. 84Den Grund für diese Ausbreitung sieht Peter Neumann vor allem in der technischen Entwicklung. Niedrige internationale Reisekosten und moderne Kommunikationstechnologien ermöglichen die Transnationalisierung. Aber auch die Identitätskrise vieler Migranten, denen die Verbundenheit zu einem nationalen Bezugspunkt fehlt, gehört für ihn zu den Hauptgründen. 85Brian Michael Jenkins erkennt in Al Qaeda eine der ersten terroristischen Organisationen, die sich das Modell eines globalen Unternehmens angeeignet haben. 86Die meisten Autoren teilen die Ansicht, dass es sich bei Al Qaeda eindeutig um eine internationale Organisation handelt. 87Thomas R. Mockaitis weist dagegen darauf hin, dass sich zumindest die Anschläge selbst bei diesem vermeintlichen Prototyp einer transnationalen terroristischen Organisation, neben den zwei Anschlägen 1993 und 2001 in den USA, auf Afghanistan und den Irak beschränken. Er bezweifelt aber auch insgesamt die geographische Ausbreitung der Ziele. 88
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