Außerdem hatte ich mir so einen offiziellen Grund verschafft, sie zu besuchen. Und: Gravo – so der Name des Orts im lokalen Dialekt – war, als Ausgleich zu meiner wortreichen Tätigkeit, immer so etwas wie meine Küste des Schweigens. Doch nun frischte ich mein Italienisch auf, das in den Jahren meines glückvollen Russischlernens verwelkt war, und tat etwas, das meinen Gradoreisen einen bislang unbekannten Aspekt gab: Ich kam ins Gespräch. Und die Gradeser öffneten mir ihr Herz und ihre Insel. Spiaggia azzurra Es sind gnadenlos persönliche Aufzeichnungen. Als Schauspieler wie als Schriftsteller wie als Mensch sehe ich das Leben als ein buntes Spektakel – und Grado als unendlich vielfältiges, täglich neu sich abspielendes Insel- und Welttheater. Ein Fischer, erzählte mir Adriano, einer meiner Lieblingsdarsteller im Buch, entscheidet im allerletzten Moment, ob die Fahrt geschieht – und wo sie hingeht. Machen Sie es auch so! Halten Sie Ihre Nase in den Wind. Werden Sie eine Möwe! Die stets vielfachen Möglichkeiten, in Grado von hier nach dort zu kommen, haben eines gemeinsam: Sie sind immer schön. Eine Spezialität, die ich sonst nur von Grados „Tochter“, der weltbekannten Kurtisane namens Venedig kenne. Gute Reise! * Ich übernehme die Gepflogenheit des Italienischen, in dem Städtenamen stets weiblich sind. „ Grado ist schön!“ = „ Grado è bellA!“ Ich übernehme die Gepflogenheit des Italienischen, in dem Städtenamen stets weiblich sind. „
Grado ist schön!“ = „
Grado è bellA!“
Dann, da!, geht weit ein großes Auge des
Himmels auf, und du stehst mit offener Seele
und lächelst wie im Traum dem Zauber zu. * * „ Poi, ecco, si spalanca una grande occhio celeste, e tu rimani con l’anima aperta, e sorridi come in sogno all’incantesimo.“ (Biagio Marin, „L’isola d’oro“) * „Und wirklich, was war, ist ganz da – und dein Herz springt auf.“ ** Die römische Bernsteinstraße verlief ebenfalls hier, von Carnuntum an der Donau bis Aquileia, wo das aus dem Baltikum kommende Bernstein verarbeitet und weiter auf die Märkte Roms und anderer Städte des Reichs gebracht wurde. Aquileia verband so das Meer des Nordens mit dem des Südens. Die Bernsteinstraße war eine Art antike Autostrada del sole , auf der auch Gold, Silber, Felle, Tiere und Sklaven transportiert wurden. * Assoziationen zu „Grat“ (Berggrat, Einsamkeit, dünne Luft, klare Gedanken); „Grad“ (der Fieberkurve des Thermometers im Sinn von extremen Temperaturen nach unten und oben); sono in grado heißt „ich bin in der Lage“; sono a Grado: „ich bin in Grado“; a Grado sono in grado: „in Grado bin ich in der Lage“; andare per gradi: „schrittweise vorgehen“; al massimo grado : „im höchsten Grade“; der Wein misst sich im grado alcolico; und ein schöner poetischer Ausdruck für „gerne“ ist di buon grado. * „Làdove la terra s’affonda con infinita dolcezza.“ (Biagio Marin) * Damit ist aber keineswegs „öde“ im heutigen Sinn, also „langweilig“, zu verstehen. Thomas Mann schreibt im „Tod in Venedig“ von der „ungeheuren Scheibe des öden Meeres“. „Öde“ wurde also vor rund hundert Jahren im Sinne von „leer“ verwendet.
Die wahre Verzauberung einer Ankunft in Grado erfährt der Reisende, wenn in seinem eigenen Land noch Winter ist. Das mag es, dem Kalender nach, auch hier sein, doch wenn er sich durch Regen, Schnee und Eis der Alpenpässe gekämpft hat, vernimmt er schon nach den ersten Tälern des Friaul eine wundersame Transformation: Die Temperatur steigt – alle fünf Kilometer um 0,5 Grad. Und das Gebirge hört fast unvermittelt auf – diese Alpen kennen kein Vorland, die friulanische Ebene beginnt am Fuß des letzten Bergkamms und fällt sanft zum Meer hin ab. Anders als im übrigen Norditalien ist auch, dass es gleich „wie Italien aussieht“ – die Trockenheit der Winter gibt dem Friaul, trotz der Bora, mit Zypressen, Pinien, Maulbeer- und Olivenbäumen, Steineichen und Palmen ein mediterranes Aussehen (dafür fehlt ihm die Poesie der Morgennebel wie in der Poebene).
Weder San Daniele zwingt zum Halt noch sein berühmter Schinken. Dem übrigens zur Konservierung nur wenig Salz hinzugefügt werden muss – die Luft trägt es in sich. Das spürt der Reisende, wenn er das erste Mal sein Fenster öffnet, ein wenig schon an der Mautstelle der Abfahrt Palmanova, und gleich danach mit voller Wucht beim Ampelrot an der Kreuzung vor Cervignano – ein Sekundenrausch: oben im endlich blauen Himmel die weitausschwingende Möwe (viel zu groß für die schwalben-, höchstens taubengewöhnten Stadtaugen) als Abgesandte des Meeres, dessen wilder Duft zugleich in den Wagen einströmend, sein Salz-, Algen-, Fischaphrodisiakum, und die davon getränkten Eindrücke, Bilder, Erinnerungen aus 44 Jahren und mehr. „Tränen, fassungsloses Glück“, hat der Reisende einmal in sein Tagebuch notiert.
Der große Dichter Grados, Biagio Marin, der dieses Buch begleiten wird wie die Sonne, schrieb: „Ed ecco, il passato è tutto presente e il tuo cuore sobbalza.“ * * „Und wirklich, was war, ist ganz da – und dein Herz springt auf.“ ** Die römische Bernsteinstraße verlief ebenfalls hier, von Carnuntum an der Donau bis Aquileia, wo das aus dem Baltikum kommende Bernstein verarbeitet und weiter auf die Märkte Roms und anderer Städte des Reichs gebracht wurde. Aquileia verband so das Meer des Nordens mit dem des Südens. Die Bernsteinstraße war eine Art antike Autostrada del sole , auf der auch Gold, Silber, Felle, Tiere und Sklaven transportiert wurden. * Assoziationen zu „Grat“ (Berggrat, Einsamkeit, dünne Luft, klare Gedanken); „Grad“ (der Fieberkurve des Thermometers im Sinn von extremen Temperaturen nach unten und oben); sono in grado heißt „ich bin in der Lage“; sono a Grado: „ich bin in Grado“; a Grado sono in grado: „in Grado bin ich in der Lage“; andare per gradi: „schrittweise vorgehen“; al massimo grado : „im höchsten Grade“; der Wein misst sich im grado alcolico; und ein schöner poetischer Ausdruck für „gerne“ ist di buon grado. * „Làdove la terra s’affonda con infinita dolcezza.“ (Biagio Marin) * Damit ist aber keineswegs „öde“ im heutigen Sinn, also „langweilig“, zu verstehen. Thomas Mann schreibt im „Tod in Venedig“ von der „ungeheuren Scheibe des öden Meeres“. „Öde“ wurde also vor rund hundert Jahren im Sinne von „leer“ verwendet.
Öffnen wir uns der Natur, öffnen wir uns der Zeitlosigkeit. Je mehr Natur wir in uns haben, desto zeitloser sind wir. Und noch haben wir erst ein Wagenfenster offen.
Wir befahren die Strecke der alten Via Julia Augusta, die, vom Norden kommend, sich mit Straßen aus dem Westen und Osten traf und das Gebiet einst zum bedeutenden Handelszentrum machte ** ** Die römische Bernsteinstraße verlief ebenfalls hier, von Carnuntum an der Donau bis Aquileia, wo das aus dem Baltikum kommende Bernstein verarbeitet und weiter auf die Märkte Roms und anderer Städte des Reichs gebracht wurde. Aquileia verband so das Meer des Nordens mit dem des Südens. Die Bernsteinstraße war eine Art antike Autostrada del sole , auf der auch Gold, Silber, Felle, Tiere und Sklaven transportiert wurden. * Assoziationen zu „Grat“ (Berggrat, Einsamkeit, dünne Luft, klare Gedanken); „Grad“ (der Fieberkurve des Thermometers im Sinn von extremen Temperaturen nach unten und oben); sono in grado heißt „ich bin in der Lage“; sono a Grado: „ich bin in Grado“; a Grado sono in grado: „in Grado bin ich in der Lage“; andare per gradi: „schrittweise vorgehen“; al massimo grado : „im höchsten Grade“; der Wein misst sich im grado alcolico; und ein schöner poetischer Ausdruck für „gerne“ ist di buon grado. * „Làdove la terra s’affonda con infinita dolcezza.“ (Biagio Marin) * Damit ist aber keineswegs „öde“ im heutigen Sinn, also „langweilig“, zu verstehen. Thomas Mann schreibt im „Tod in Venedig“ von der „ungeheuren Scheibe des öden Meeres“. „Öde“ wurde also vor rund hundert Jahren im Sinne von „leer“ verwendet.
– alle Wege führten nach Aquileia, und alle haben auch Teil an der Geschichte Grados.
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