Auch diesen letzten Betonblock pickert die Polizei nun auf und sichert die restlichen Leichenteile. Alle Partien des Körpers, die jetzt gefunden sind, werden in die Hamburger Rechtsmedizin gebracht und hier einer Sektion unterzogen. Die forensischen Experten stellen fest, dass kein Körperteil mehr fehlt. Alle Abtrennungsstellen lassen sich passgenau zusammenfügen, wie bei einem Puzzle.
Die Untersuchung ergibt, dass einzelne Gliedmaßen mit unterschiedlichen Werkzeugen abgetrennt wurden. Der Täter hat Messer, Beil und Säge für sein mörderisches Handwerk verwendet. Das Geschlechtsteil ist separat glatt abgetrennt worden. Das führt zu der Frage, ob sich daraus ein Hinweis auf die Motivlage ablesen lässt. Doch eine sexuelle Motivation wird später vom mutmaßlichen Täter bestritten. Er behauptet, der Penis sei zufällig isoliert und nebenbei abgeschnitten worden.
Schon während der Obduktion ergeben sich eindeutige Hinweise, dass es sich bei dem Leichnam tatsächlich um den als vermisst gemeldeten 41-Jährigen vom Reiterhof handelt. Den Ausschlag geben sehr spezielle Tätowierungen, die an dem Körper gefunden werden, unter anderem ein Clownsgesicht. Außerdem stimmt der Zahnstatus mit den Daten überein, die von Miroslav P.s Gebiss vorliegen. Ferner kann durch die Sektionstechnik und durch Bildgebungsmaßnahmen mittels Computertomografie an den einzelnen Leichenteilen klar nachgewiesen werden, in welcher Weise die Leiche zerstückelt wurde.
Als Todesursache stellen die Rechtsmediziner zwei Kopfschüsse fest; einer davon traf das Opfer in den Hinterkopf, der andere rechts am Scheitel. Die deformierten Projektile stecken noch im Schädelinneren. Auch die Reihenfolge der Schüsse — zuerst der in den Hinterkopf — können die Experten eindeutig festlegen. Dabei hilft die sogenannte Puppe’sche Regel: Der Schädel wird durch die Deformationswirkung des ersten Projektils sternförmig aufgesprengt. Der zweite Schuss ruft weitere Schädelbruchlinien hervor, die an den zuvor entstandenen Bruchlinien enden.
Solche Erkenntnisse sind wichtig für die Rekonstruktion der Tat. Hier ist davon auszugehen, dass das Opfer aufrecht saß oder stand, als die erste Kugel aus nahezu horizontaler Position von hinten auf den Mann abgefeuert wurde. Das würde für ein heimtückisch begangenes Verbrechen sprechen: Mord. Beim zweiten Schuss, der den 41-Jährigen in die hintere Scheitelregion traf, war er bereits halb zu Boden gesunken. Das Sektionsergebnis belegt, dass jeder der beiden Schüsse für sich genommen tödlich war.
Ein Kapitalverbrechen also, für das die Täter zur Rechenschaft gezogen werden müssen. Wie hätte sich der Fall aber wohl entwickelt, wenn die Tochter des Opfers sich nicht ihrem Freund offenbart hätte? Wenn dieser nicht später zur Polizei gegangen wäre? Nur routinemäßig durchgeführte, relativ oberflächliche Ermittlungen der Polizei hätten keinen Fingerzeig für einen Mord gegeben. Die Legende, dass der Mann einfach vermisst und spurlos verschwunden sei, wahrscheinlich zurück in sein Heimatland, hätte wohl funktioniert. Die Wahrheit wäre geschickt vertuscht worden.
So aber, mit den Indizien aus dem Bekenntnis der Tochter, der Aussage ihres Freundes sowie aus den weiteren Ermittlungen kann im August 2019 vor dem Landgericht Itzehoe der Mordprozess gegen das verdächtige Paar beginnen. Die Staatsanwaltschaft wirft Yasar S. und seiner Freundin Jessica M. vor, den früheren Lebensgefährten der Frau heimtückisch getötet zu haben. Laut Anklage lockte die 37-Jährige ihren damaligen Partner in ein Kinderzimmer des Reiterhofs. Dort soll Yasar S. das Opfer aus einem Hinterhalt heraus niedergeschossen haben. Um das Verbrechen zu verschleiern, haben die Täter den Toten zerstückelt und die Leichenteile einbetoniert, heißt es in den Vorwürfen weiter.
Der Angeklagte Yasar S. ist ein Mann, der sich sein ganzes Erwachsenenleben über mit Gelegenheitsjobs durchgeschlagen hat. Er ist vorbestraft, unter anderem wegen Drogendelikten und gefährlicher Körperverletzung. Neben dem eher fülligen Mann auf der Anklagebank wirkt seine mutmaßliche Komplizin zierlich. Das Haar trägt die Frau schulterlang, ihr Gesicht ist blass. Ebenso wie der männliche Angeklagte schweigt sie zum Prozessauftakt zu den Vorwürfen. Wie mag die 37-Jährige sich fühlen gegenüber ihren beiden Töchtern, die auch die Kinder des Opfers sind? Beide, die mittlerweile 16-Jährige und ihre acht Jahre alte Schwester, sind Nebenklägerinnen in dem Verfahren.
Am zweiten Verhandlungstag sagt jener Schüler als Zeuge aus, dessen Gang zur Polizei zum Initialzünder für die Ermittlungen geworden war. Der Zeuge, so heißt es, habe so lange geschwiegen, um sich und seine Familie nicht zu gefährden — und um seine damalige Freundin nicht zu belasten. Denn auch sie scheint in das Verbrechen verwickelt zu sein. Der junge Mann wird unter Ausschluss der Öffentlichkeit gehört. Doch so viel wird hinterher von seiner Aussage berichtet: Seine frühere Freundin habe ihm von dem Verbrechen erzählt. Sie habe geschildert, dass sie zusammen mit der Mutter den Vater in den Raum gelockt habe, wo er dann von Yasar S. erschossen wurde.
Auch weitere Zeugen belasten die beiden Angeklagten zum Teil erheblich. Vor allem für Yasar S. wird es im Laufe der Beweisaufnahme eng. Da ist beispielsweise ein Mann, der mit dem 46-Jährigen gemeinsam in Untersuchungshaft saß und der jetzt als Zeuge schildert, der Angeklagte habe ihm gegenüber den Mord an seinem Nebenbuhler gestanden. Demnach hat Yasar S. zwei Mal aus nächster Nähe auf Miroslav P. geschossen und ihn so getötet. Er habe den Lebensgefährten der 37-Jährigen umgebracht, weil der gewalttätig gegenüber der Frau gewesen sei. Jessica M. habe sich vorher nicht von dem Vater ihrer Töchter trennen wollen. Weder die Mitangeklagte noch die Tochter hätten etwas mit dem Verbrechen zu tun, soll Yasar S. beteuert haben.
Die Leiche habe er vergraben, dann schließlich wieder ausgebuddelt, zerteilt und „stückweise“ einbetoniert. Zu diesem Schritt habe Yasar S. sich entschlossen, weil der Verwesungsgeruch aus der ersten, vorläufigen Grube zu penetrant gewesen sei.
Vielleicht ist es diese belastende Aussage, die den Angeklagten Yasar S. zum Ende des Prozesses im Januar 2020 dazu bringt, nach langem Schweigen doch noch selber das Wort zu ergreifen. Es ist der 19. Verhandlungstag, als er die tödlichen Schüsse auf seinen Nebenbuhler vor Gericht einräumt. Es sei aber kein Mord gewesen, insistiert der Angeklagte. Er will es eher als Notwehrhandlung verstanden wissen. Demnach habe er gemeinsam mit Miroslav P. Drogen konsumiert — es wäre eine seltene und erstaunliche Eintracht der beiden Kontrahenten gewesen. Plötzlich habe die Tochter des Hausherrn sie bei ihrem illegalen Tun überrascht, erzählt der Angeklagte weiter. Nun sei ihr Vater durchgedreht. Miroslav P. soll erst die Tochter, dann auch Yasar S. körperlich angegriffen und zudem eine Pistole gezogen haben. Daraufhin, so der Angeklagte, habe er den 41-Jährigen erschossen.
Mit einer Schubkarre habe er den Toten noch in derselben Nacht in die Reithalle geschafft und den Leichnam zunächst nur notdürftig vergraben. Später habe er den Körper wieder ausgebuddelt, weil „ein unangenehmer Geruch“ aufgestiegen sei. Dass er beim anschließenden Zerteilen des Toten auch dessen Geschlechtsteil abtrennte, sei „versehentlich“ passiert. Seine Freundin, beteuert der frühere Bordellaufpasser, sei insgesamt an der Tat nicht beteiligt. Sie soll noch nicht einmal auf dem Gelände gewesen sein, als der Vater ihrer Kinder starb.
Überzeugend wirkt diese Version jedenfalls nicht auf die Staatsanwaltschaft. Sie beantragt lebenslange Freiheitsstrafen wegen Mordes — für beide Angeklagten. Für Yasar S. solle das Gericht darüber hinaus die besondere Schwere der Schuld feststellen, fordert der Ankläger. Das würde eine vorzeitige Entlassung nach fünfzehn Jahren, die bei einem Urteil „lebenslänglich“ unter günstigen Umständen möglich wäre, praktisch ausschließen. Die Verteidigung von Yasar S. plädiert dagegen auf Totschlag für ihren Mandanten, auch weil der mittlerweile 47-Jährige zur Tatzeit unter Drogeneinfluss gestanden habe und deshalb vermindert schuldfähig gewesen sei. Die Anwältin der Frau fordert für ihre Mandantin Freispruch. Eine Mitschuld an der Tötung ihres Lebensgefährten sei der Angeklagten nicht nachzuweisen, argumentiert die Verteidigerin.
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