•Ermittlung des letzten Standorts der vermissten Person, insbesondere auch im Hinblick auf technische Daten (Handyortung, Telekommunikationsüberwachung, Verbindungsdaten, Funkzellendaten und Ähnliches)
•Aufsuchen der Wohnung der vermissten Person, hierbei Sicherstellung von Proben zur DNA-Untersuchung, Geruchsproben für den Einsatz von Spürhunden; Überprüfen bevorzugter Aufenthaltsorte, Garagen, Lauben, direktes Wohnumfeld
•Gegebenenfalls Öffentlichkeitsfahndung (Printmedien, Radio, Internet), insbesondere wenn Gefahr für Leib und Leben der vermissten Person zu begründen ist
•Überprüfung der finanziellen Situation; Kontoübersicht, Berücksichtigung von EC-Karten, Kreditkarten
•Je nach Ausgangssituation Einsatz eines Hubschraubers, von Tauchern, einer Hundertschaft zum Absuchen größerer, eventuell unübersichtlicher Areale
•Anfragen bei Krankenhäusern, Ärzten eventuell Hotels, Flugplätzen, Taxiunternehmen
•Durchsicht persönlicher Sachen: Aufzeichnungen, Computer, Telefon, PC; Auswertung des Routers
•Sicherung von Fingerabdrücken
•Recherchen in sozialen Netzwerken wie Facebook, Twitter, Instagram; gegebenenfalls Überprüfung von Dienstleistern wie Ebay, PayPal
•Möglicherweise Einschaltung weiterer Polizeidienststellen, der Staatsanwaltschaft und von Gerichten.
Endet die Suche nach einem vermissten Menschen damit, dass er nur noch tot aufgefunden werden kann, so ist die definitive Identifizierung durch Polizei oder Rechtsmedizin jedes Mal als ein absolut erschütternder Moment zu bezeichnen. In einem einzigen Augenblick überlagert sich die Erleichterung darüber, dass die Ungewissheit ein Ende hat, mit dem Schmerz, dass man jede Hoffnung aufgeben muss.
Man kann, was in diesem Augenblick geschieht, nur hilflos umschreiben. Immer wieder fallen Worte und Sätze wie „lähmendes Entsetzen“, „das Schlimmste, was Eltern passieren kann“, „der Schmerz hört nie auf“. Solche Äußerungen lassen den Abgrund an Gefühlen erahnen.
Jeder Betroffene verarbeitet die Situation anders: die Mutter, der Vater, der Ehepartner, die Geschwister, die Familie, die Freunde, das soziale Umfeld. Gleiches gilt für die ermittelnden Polizeibeamten, die Rechtsmediziner, die Journalisten, die über solche Fälle berichten, und für alle auf andere Weise Involvierten.
Für die Polizei bedeutet das Verschwinden eines Menschen Dauerstress. Vieles muss jetzt ganz schnell und gleichzeitig organisiert werden, Spurensuche, Ermittlungen, Suchtrupps, Spürhunde. Am Anfang scheint es ein Wettlauf mit der Zeit zu sein. Später fragt man sich, ob die Zeit Abstand schafft?
Nicht selten werden die betroffenen Angehörigen selbst psychisch krank. Das ist immer wieder zu beobachten. Nahe Angehörige, die in psychiatrischen Kliniken behandelt werden müssen. Die Tochter, die mehr als 3000 Gedichte über ihre verschwundene Mutter schreibt. Angehörige, die sich auf lange Reisen begeben, eventuell auch in andere Länder, wenn sie meinen, es gebe eine neue Spur …
Besonders schlimm: Gar nicht so selten gibt es auch Trittbrettfahrer, die merkwürdige Tipps geben, falsche Versprechungen machen, sich Fantasiegeschichten ausdenken. Auf krankhafte Weise suchen sie die Nähe zum Leid der Angehörigen und unternehmen einiges, um es zu vergrößern.
Eine andere zweifelhafte Personengruppe sind Menschen, die Geld verdienen wollen, indem sie das Leid der anderen ausnutzen: Detektive, Hellseher, Wahrsager, zwielichtige Gestalten, falsche Freunde.
Es kursieren Zahlen, die aufrütteln. Laut Bundeskriminalamt wurden im Jahr 2019 bundesweit 15 395 Kinder als vermisst registriert. 98 Prozent der Fälle konnten geklärt werden. Allein in einer Stadt wie Hamburg werden jährlich etwa 5500 Vermisstenvorgänge bearbeitet, darunter 70 Prozent Jugendliche, 10 Prozent Kinder und 20 Prozent Erwachsene. Meist brechen Jugendliche aus, um vor familiären Problemen zu fliehen. Sie wollen damit ein Zeichen setzen, ein Warnsignal. Manchmal steckt eine Gewalterfahrung außerhalb der Familie dahinter. Auch gibt es einen relativ hohen Anteil mehrfach vermisster Minderjähriger, sogenannte „Streuner“.
Die absolute Zahl spurlos verschwundener Kinder seit 1951 erscheint hoch: 1869 Kinder wurden vermisst gemeldet und sind nie wieder gefunden worden.
Andere Alters- und Gesundheitskonstellationen erfordern eine ähnlich dringliche Aufarbeitung. So gibt es zum Beispiel immer wieder Alte und Kranke, Desorientierte, Demente, die den Weg nach Hause nicht mehr finden und dadurch möglicherweise in Gefahr geraten.
Wir möchten an dieser Stelle in aller Kürze einige Fälle skizzieren, die das breite Spektrum der Vermisstensachen aus Sicht der kriminalistischen und rechtsmedizinischen Praxis deutlich machen.
Ein junger Mann aus Schottland will zusammen mit seinem Bruder dessen Abschied vom Junggesellendasein feiern. Man unternimmt eine Kneipentour in Hamburg, auf der der Mann plötzlich spurlos verschwindet. Mit großem Einsatz wird nach ihm gesucht, mehrfach kommt auch der Bruder erneut nach Hamburg. Die gesamte Familie und die Freunde versuchen, den Verschwundenen zu finden. Erst nach Wochen wird er entdeckt — als Wasserleiche. Es stellt sich heraus: Auf dem Rückweg von der Kneipe ins Hotel war der junge Mann in die Elbe gestürzt und ertrunken.
Besonders dramatisch ist der Fall der verschwundenen Hilal, bis heute. Die Zehnjährige wird am 27. Januar 1999 in Hamburg zuletzt gesehen, als sie sich wegen eines guten Schulzeugnisses Süßigkeiten kaufen darf. Die Polizei leitet bereits wenige Stunden nach dem mysteriösen Verschwinden eine Suche ein. Immer wieder gehen Hinweise ein, unter anderem nachdem die ZDF-Sendung „Aktenzeichen XY … ungelöst“ über den Fall berichtet hat. Zuletzt suchen Beamte der Ermittlungsgruppe „Cold Cases“ nach Spuren in der Vermisstensache, die bis heute ungeklärt ist.
Im Fall einer Familientragödie aus Wedel bei Hamburg hat die Polizei mehrere Tage nach der Mutter zweier kleiner Kinder gesucht. Der zwei Jahre alte Junge und seine fünfjährige Schwester sind zuvor von den Großeltern tot in ihrem Zuhause aufgefunden worden. Jemand hat sie ertränkt. Kurze Zeit später wird bekannt, dass der Vater sich von einem siebenstöckigen Haus gestürzt hat. Es stellt sich heraus, dass er der Mörder seiner Kinder ist. Drei Tote in einer Familie — ein furchtbares Drama. Aber was ist mit der Mutter der ermordeten Geschwister? Man hofft, dass zumindest die gebürtige Bolivianerin überlebt hat, dass sie einfach verreist ist. Aber würde sie dann über Tage ihr Mobiltelefon ausschalten? Der Verdacht, der mit jedem Tag ohne Lebenszeichen immer wahrscheinlicher wird: Auch die 37-Jährige ist tot. Drei Tage später wird der Leichnam der Vermissten nur wenige Meter vom Haus der Familie entfernt gefunden. Leichenspürhunde haben die Ermittler zu einem schmalen, zugewucherten Streifen neben dem Grundstück der Familie geführt, wo der übel zugerichtete Körper verscharrt war.
Persönlich besonders belastend waren die Versäumnisse von Rechtsmedizin und Polizei im Fall eines jungen Mannes, der nach einem St. Pauli-Besuch nicht mehr nach Hause kam. Die Mutter hat mehr als sieben Jahre nach ihrem Sohn gesucht, überall in Deutschland. Sie hat jede einzelne in den Medien gemeldete Vermisstensache und das Auffinden eines unbekannten Leichnams irgendwo in Deutschland gezielt überprüft, in banger Sorge, ob es sich um ihren Sohn handeln könnte.
Das schwer Bedrückende aus Sicht von Rechtsmedizin und Polizei, ein kaum verzeihlicher Fehler: Bereits sechs Wochen nach dem Verschwinden des jungen Mannes war ein fortgeschritten fäulnisveränderter Leichnam im Institut zu untersuchen. Beim Messen der Körperlänge wurde ein Übertragungsfehler gemacht, sodass die Polizei von einer falschen Körpergröße ausging und einen Zusammenhang mit dem Vermissten zunächst ausschloss. Erst Jahre später wird durch spezielle DNA-Untersuchungen und einen Abgleich in der Kartei des Bundeskriminalamts die wahre Identität des unbekannten Leichnams festgestellt. Man hätte der Mutter Jahre vergeblichen Suchens und Wartens ersparen können.
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