Impulsiv, ohne Rücksichten auf Formen, wie er sich immer gab, beantwortete er Maria Stilkes Brief, ohne zu bedenken, dass dieses Schreiben eher in die Hände der Oberin als in die des jungen Mädchens gelangen würde.
Mein Fräulein!
Wenn es mir gelungen ist, durch meine Lehrtätigkeit wirklich Gutes zu stiften, so steht das, was ich Ihnen geben konnte, in keinem Verhältnis zu dem unschätzbaren Dienst, den Sie mir erwiesen, zu dem Geschenk, das Sie mir dargebracht. Sie haben mir durch Ihre Zeilen nicht nur eine Freude gemacht, die ich kaum in Worte zu fassen vermöchte; Sie haben mir die Zuversicht, den Glauben und die Treue gegen mich selbst und gegen die sittliche Idee, die ich vertrete, wieder verliehen. Es ist also nur gerecht, dass ich Ihnen dafür nicht nur meine Dankbarkeit, sondern auch meine Bewunderung ausspreche, denn Sie haben einen schönen Mut bewiesen, Fräulein Stilke, dessen Vorbild mich stets im Leben zu den grössten Anstrengungen anfeuern wird. Lassen Sie mich hoffen, dass mit diesem Briefwechsel die Beziehungen, die für uns beide so segensreich begonnen, nicht zu Ende sind. Ich begebe mich sofort nach Abschluss des gegen mich schwebenden Verfahrens nach München, um dort eine neue Tätigkeit aufzunehmen, die mir Unabhängigkeit und ein unbeschränktes Feld der Arbeit verspricht. Mit dem Ausdruck steter Ergebenheit und grösster Hochschätzung verbleibe ich
Ihr Thomas Förster.
Der Brief gelangte zuerst in die Hände der Präfektin. Diese übergab ihn in grösster Bestürzung der Frau Oberin. — Maria Stilkes Sünde war gewiss nicht gross, als sie ihre reinen Empfindungen einem Manne mitteilte, der einen so grossen Einfluss auf ihre Jugend ausgeübt. Nach den strengen Vorschriften des Klosters aber, die allein für die Anschauungen der Oberin massgebend sein konnten, hatte sie sich eines Vergehens schuldig gemacht, das die grösste Disziplinwidrigkeit darstellte. Die Oeberin vernahm sämtliche Schwestern über die seelische Beschaffenheit des jungen Mädchens; es war ein Glück, dass Schwester Benedikta mit aller Entschiedenheit für ihre Freundin eintrat und alle Schuld auf den Einfluss des Seminarlehrers abwälzte. Der Superior sah sein Urteil über Thomas Förster und die sittliche Gefahr, die dieser Lehrer für die Klosterschule bedeutet hatte, bestätigt. So erschien Maria Stilkes Vergehen entschuldbarer. Immerhin wurde sie sowohl von der Oberin als von dem Geistlichen Rat aufs Strengste vorgenommen; sie unterwarf sich in dem Bewusstsein, nicht nur diese, sondern auch alle Schwestern des Klosters unverdient gekränkt zu haben. Sie bereute dies aufrichtig, und die Tränen, die sie darüber fand, nahm die Oberin als einen Beweis der Reue über das Glaubensbekenntnis, das sie in ihrem Briefe abgelegt. In Wahrheit war es dem Geistlichen Rat nicht gelungen, Maria Stilke von ihrer Anhänglichkeit zu Thomas Förster abzubringen. Die Vorwürfe vielmehr, die der Superior sowohl wie die Oberin gegen ihn erhoben, festigten in ihr die fast zärtliche Fürsorge, die sie für ihn empfand; alle Ermahnungen, die man deshalb an sie richtete, prallten an dem Wahlspruch ab, den der verehrte Lehrer ihr seiner Zeit mit ins Kloster gegeben und den sie unauslöschlich in ihr Herz geschrieben: „Treue ist der wahre Adel im Leben, denn sie birgt alle Tugenden.“
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Treue gegen ihn schien ihr sittliche Pflicht. —
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