IV. Die Verfahrensbeteiligten
Verfahrensbeteiligter ist, wer durch eigene Willenserklärungen gestaltend als Prozesssubjekt am Verfahren mitwirkt. 55Nicht zu den Verfahrensbeteiligten zählen daher Zeugen und Sachverständige. Auch das Gericht ist, wie bereits erklärt, nicht Verfahrensbeteiligter in diesem Sinne. Zu den hier interessierenden Verfahrensbeteiligten zählen die Staatsanwaltschaft, der Angeklagte und sein Verteidiger sowie der Nebenkläger, da der Polizeibeamte vor Gericht als Zeuge von diesen Beteiligten vernommen bzw. befragt wird. Die meisten Konflikte treten dabei zwischen dem polizeilichen Zeugen und dem Strafverteidiger auf. Diesem Themenkomplex ist ein eigenes Kapitel gewidmet, 56so dass hier zunächst nur die anderen genannten Verfahrensbeteiligten dargestellt werden.
1. Die Staatsanwaltschaft
In der Hauptverhandlung tritt mindestens ein Amtsanwalt oder Staatsanwalt als Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft auf (§§ 226 I, 227 StPO). Bei einer Hauptverhandlungen wegen Ordnungswidrigkeiten ist in der Regel kein Amts- oder Staatsanwalt anwesend, da eine Verpflichtung zur Teilnahme der Staatsanwaltschaft nicht besteht (§ 75 I OWiG). Den Amtsanwälten werden nur Strafsachen übertragen, in denen der Strafrichter zuständig ist, d. h. ein Privatklagedelikt verfolgt wird oder aber keine höhere Strafe als zwei Jahre zu erwarten ist (§ 25 GVG). Die Wahrnehmung der Aufgaben eines Amtsanwalts kann auch auf einen Rechtsreferendar übertragen werden (§ 142 III GVG). Treten mehrere Staatsanwälte als Sitzungsvertreter auf, so stehen sie dem Gericht als Einheit, nämlich als die Staatsanwaltschaft , gegenüber. Als selbständiges Organ der Rechtspflege 57vertritt der Staatsanwalt in der Hauptverhandlung die Anklage und übt dabei durch Fragen, Anträge und Erklärungen eine Kontrolle der Justizförmigkeit des gerichtlichen Verfahrens, d. h. der richtigen Handhabung der Prozessordnung, aus. Insbesondere zu nennen sind sein Fragerecht gegenüber Zeugen und Sachverständigen (§ 240 II StPO), das Recht zur Beanstandung von Anordnungen des Vorsitzenden (§ 238 II StPO) und von Fragen, das Beweisantragsrecht (§ 244 III–VI StPO) sowie das Recht zur Rechtsmitteleinlegung (§ 296 StPO). Hierbei ist der Staatsanwalt nicht einseitig Partei, sondern zur Objektivität verpflichtet und muss die Beweislage auch in der Hauptverhandlung unvoreingenommen würdigen. 58Er hat sowohl die den Angeklagten belastenden als auch die entlastenden Tatsachen zu berücksichtigen. Keinesfalls ist er an die Vorgaben der Anklageschrift gebunden, so dass er beispielsweise auch in seinem Plädoyer (§ 258 I StPO) einen Freispruch beantragen oder Rechtsmittel zugunsten des Angeklagten einlegen kann (§ 296 II StPO).
Dabei ist der Sitzungsvertreter jedoch selten der Sachbearbeiter, d. h. der Anklageverfasser. Insbesondere in Verfahren der Alltagskriminalität kennt der Sitzungsvertreter zumeist den Akteninhalt nicht und kann daher – anders als das Gericht – darauf auch nicht Bezug nehmen, etwa durch Vorhaltungen aus früheren polizeilichen Vernehmungen des Angeklagten oder Zeugen. Für die Sitzungsvertretung erhält er lediglich eine sog. Handakte, da die Akte selbst sich beim Gericht befindet. Die Handakte enthält die Anklageschrift, einen Zentralkarteiausdruck, der Auskunft über die gegen den Angeklagten bei dieser Staatsanwaltschaft geführten Verfahren gibt, sowie einen Bundeszentralregisterauszug. In größeren Verfahren ist jedoch oftmals der Sachbearbeiter auch der Sitzungsvertreter und kennt insoweit den Akteninhalt. Auch wird bei solchen Verfahren zumeist ein sog. Aktendoppel geführt, so dass der Sitzungsvertreter auch dann, wenn er nicht der Sachbearbeiter ist, Kenntnis vom Akteninhalt nehmen kann. Prozesspsychologische Erkenntnisse zeigen jedoch, dass die Kenntnis des zuvor gelesenen Akteninhalts negative Auswirkungen auf die Objektivität des Sitzungsvertreters haben kann. So werden oftmals die in der Hauptverhandlung auftretenden Bestätigungen der Anklage systematisch überschätzt und dagegensprechende neue Erkenntnisse systematisch unterschätzt. 59Insoweit scheint der nur die Handakte kennende Sitzungsvertreter bessere Voraussetzungen für eine möglichst objektive Beurteilung der Beweisaufnahme der Hauptverhandlung zu haben. Gleichwohl ist es aus Praktikabilitätserwägungen heraus oftmals notwendig, bei größeren Verfahren den Sachbearbeiter als Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft einzusetzen.
2. Der Beschuldigte als Angeklagter
Der Beschuldigte hat als Prozesssubjekt eine Fülle von selbständigen Verfahrensrechten, um auf den Gang und das Ergebnis des Strafprozesses Einfluss nehmen zu können. Dabei gelten die Verfahrensrechte des Angeklagten teilweise bereits im Ermittlungsverfahren. Hierzu zählen insbesondere das Aussageverweigerungsrecht, das Recht auf einen Verteidiger verbunden mit dem Antragsrecht auf eine Pflichtverteidigerbestellung und das Beweisantragsrecht, über die bekanntlich schon die Polizei vor der Beschuldigtenvernehmung belehren muss (§ 163a IV 2 i. V. m. § 136 I 2–5 StPO). Auch hat der Beschuldigte, der sich selbst verteidigt, einen Informationsanspruch. Ihm steht ein Akteneinsichtsrecht zu, soweit der Untersuchungszweck, auch in Bezug auf andere Strafverfahren, nicht gefährdet wird und nicht überwiegende schutzwürdige Interessen Dritter entgegenstehen (§ 147 IV 1 StPO). Gegenüber der früheren Rechtslage, hat der unverteidigte Beschuldigte damit einen umfassenden Anspruch auf Akteneinsicht. Hierbei können dem Beschuldigte anstelle der Einsichtnahme auch Kopien der Akte zur Verfügung gestellt werden (§ 147 IV 2 StPO). Darüber hinaus hat der Beschuldigte als Angeklagter 60in der Hauptverhandlung neben seinem Verteidiger ein eigenes Fragerecht gegenüber Zeugen und Sachverständigen (§ 240 I StPO), ein Recht zur Beanstandung von Anordnungen des Vorsitzenden (§ 238 II StPO) und von Fragen sowie ein Beweisantragsrecht (§ 244 III–VI StPO). Ebenso hat er das Recht auf Rechtsmitteleinlegung (§ 296 I StPO). Weiterhin ist er berechtigt, einen Ablehnungsantrag gegen das Gericht wegen Besorgnis der Befangenheit zu stellen (§ 24 III 1 StPO), wobei Befangenheitsanträge in der Praxis regelmäßig der Verteidiger für den Beschuldigten stellt.
Das wichtigste Verfahrensrecht des Angeklagten ist der Anspruch auf rechtliches Gehör vor Gericht (Art. 103 I GG). Das Gericht darf bei seiner Entscheidung nur die Tatsachen und Beweisergebnisse berücksichtigen, zu denen dem Betroffenen Gelegenheit gegeben wurde, Stellung zu nehmen. 61Hierzu können Anträge gestellt oder Ausführungen zur Sach- und Rechtslage gemacht werden, die das Gericht zur Kenntnis nehmen und in Erwägung ziehen muss. 62Über Art. 103 I GG hinaus wird dem Beschuldigten bereits im Ermittlungsverfahren das rechtliche Gehör eingeräumt. So muss die Staatsanwaltschaft ihm spätestens vor Abschluss der Ermittlungen Gelegenheit zur Stellungnahme geben (§ 163a I StPO).
Der Angeklagte muss und darf während der Hauptverhandlung anwesend sein (§§ 230 I, 231 StPO). Ist er „ausgeblieben“, d. h. trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht erschienen, so wird er vorgeführt. Ist er hingegen abwesend, d. h. sein Aufenthaltsort ist unbekannt oder er hält sich im Ausland auf und seine Gestellung vor das zuständige Gericht ist nicht möglich (§ 276 StPO), so darf keine Hauptverhandlung stattfinden, sondern allenfalls ein Beweissicherungsverfahren durchgeführt werden (§ 285 StPO). Von dieser Anwesenheitspflicht können in einigen Fällen Ausnahmen gemacht werden (§§ 231 II ff. StPO). Auch kann dem Angeklagten vorübergehend während einer Vernehmung auf Anordnung des Gerichts die Anwesenheit untersagt werden (§ 247 StPO). Beispielsweise muss der Angeklagte sich auf Anordnung des Gerichts aus dem Sitzungssaal entfernen, wenn durch seine Anwesenheit die konkrete Gefahr besteht, dass der Zeuge nicht die Wahrheit sagen wird oder bei der Vernehmung eines Kindes die konkrete Befürchtung eines erheblichen Nachteils für das körperliche und seelische Wohl des Zeugen besteht. 63
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