Er kam auch und fand seine Liebste mit roten Rosen auf den schmalen Wangen in ihrem weissen Bette ruhend ... Und wie sie dann beide allein, ganz allein waren, da sagte das Mädchen mit hastiger, zitternder Stimme und mit Augen, die nichts mehr verbargen, nichts mehr verbergen wollten, zu ihm:
„Nun hab’ ich nichts gehabt von dir! ... Ich sterbe, und ich weiss nicht, wie es ist, wenn man sich ganz lieb hat ...“
Dann war die Mutter, eine zage, ängstliche, nicht kluge Frau hereingetreten, und die Tochter hatte geschwiegen.
Aber diese Worte seiner blassen Liebsten, die wenige Wochen später hinausgetragen wurde auf den Friedhof, diese Worte waren dem Lehrer immer nachgegangen und hatten ihn beschützt, dass er sein Herz und sein Leben nicht verzettelte in törichten Liebeleien ... Ja, er war der Verstorbenen wohl zu treu gewesen, hätte sonst vielleicht mehr vom Leben und Lieben gekannt und wäre nicht so leicht an jenem Abend, da die verwitwete Frau Doktor Wegberger ihm ans Herz sank, sich und seinem stillen Ideal untreu geworden.
Das ging dem langsam Hinschreitenden alles durch den Sinn, wie eben jetzt neben ihm in den alten Bäumen des ehemaligen Gottesackers eine späte Nachtigall schlug. „Nun hab’ ich nichts gehabt von dir!“ klang es wieder .. Aber die es sprach, war nicht tot! ... Sie lebte, wenn sie auch das blonde Haar der längst Hingeschiedenen trug und mit denselben Augen wie die Jugendliebe in sein Leben blickte.
Da merkte Klaus Mathiessen, dass sein Herz nicht auf den Pfaden der Vergangenheit, dass es im köstlichen Rausch der Gegenwart wandelte und dass er auf dem Wege war, sie zu suchen, der nun sein ganzes Selbst gehörte ... Und als ihm das erst klar geworden war, da hemmte auch kein inneres Bedenken mehr seinen Fuss ... Er wusste den Weg, er ging ihn mit der heissen Hoffnung, sie, die er liebte, zu finden.
Noch ein paar Villen lagen rechts und links an der Strasse ... Aus einer klangen Gläser und frohe Menschenstimmen, und im leuchtenden Ausschnitt des Verandaeingangs erschienen bunte Gestalten und lachende Gesichter ... Dann schloss sich die Heckenwand wieder neben dem jetzt rascher ausschreitenden Lehrer; aber die Heiterkeit, die Lust der Gäste folgte ihm in der stillen Nacht und machte sein Herz noch zuversichtlicher ... Einmal sah er sich um: die Kleinstadt mit ihrer dunkeln Enge, ihren kleinlichen und widrigen Geschichten lag hinter ihm — vor ihm breitete sich jetzt das Land unter dem silbernen Glanz des Mondes ... Im Korn zirpten Heimchen. Ein Singen und geheimes Tönen war in der Luft, das, vielleicht nur dem Ohr des einen Mannes vernehmbar, sein Herz so froh erhob und ihn wie auf Flügeln gleiten liess.
Da vor ihm in der Nacht, die wie dunkelblau durchsichtiges Glas schimmerte, stieg es schwarz empor ... Es rauschte leise und flüsterte von dort, und langsam lösten sich Bäume, schwarzschattende Rüstern und Tränenweiden aus dem Düster, die ihr dunkles Haar bis auf den Spiegel eines bleifarbenen Gewässers herniederliessen.
Das war ein Ort, der am Tage nicht weniger melancholisch deuchte als in der Nacht, wo des Mondes irre Lichter über die stummen Fluten huschten ... Aber dies Wasser ging weiter im trägen Lauf am Garten des Kommerzienrats Hindorf vorüber.
Und im Kahn, der irgendwo im Gesträuch gelegen hatte, trieb nun ein schlanker Mann, der die Ruder so leise führte, als dürfe er mit ihrem Plätschern die Nacht nicht erwecken.
Am Steg, wo der Mond mit der zitternden Welle spielte, band der, dessen Herz nicht minder bebte, den Nachen fest ... Dann stieg er behutsam tastenden Fusses ans Land.
Ging die Gänge, wo Flieder und Salweide mit Rotdornbüschen wechselten, hinauf und erstieg die Terrassen. Da duftete es von den Rosenbeeten; wie Wolken süssbetäubenden Atems von tausend glühenden Lippen wogte es um den Mann, der trunken von Liebe und Sehnsucht die Nacht durchsuchte.
Nicht über die Kieswege, mitten durch das tauige Gras des grossen Rondells, zwischen den Bosketts japanischer Sträucher und silberner Tannen, trieb es ihn zu der Laube hin, einer Jasminlaube, die ganz in Blüte stand.
Er wusste, sie liebte diesen Duft ... Und wie die Liebenden keine Gesetze des Möglichen achten, vertraute er der Sturmflut seines seligen Herzens, dass sie die Geliebte herbeitragen würde zu ihm, in Nacht und Dunkelheit.
Er sass in der Laube. Er schickte seine suchende Seele aus, mit der wilden Weisung, nicht ohne ihr vergöttertes Selbst wiederzukehren ... Doch seine Seufzer blieben allein, unerwidert von einer grossen Liebe, die ihn ganz erlösen sollte.
Da schlich er der Villa näher ... Er sah Licht ... Er stieg die Steinstufen einer Veranda hinauf und sah sie, die Geliebte, die allein, über das Buch, das vor ihr lag, hinstarrend, im Sessel lehnte.
Er klopfte leise.
Aufschreckend hob sie sich im Sessel ... und erkannte, wie er sein Antlitz an die Scheiben presste.
Ihr Aug’ flog im Gemach ... sie kam ...
Und wortlos, wie zwei, die den Tod selber herausfordern um ihrer Leidenschaft willen, schlichen sie beide in den mondbeschienenen Garten.
Sie hielt seine Hand, die Hand, die sie nicht lassen wollte, an jenem Abend, wo sie ihm Herz und Seele entschleierte — sie hielt seine Hand glühend in der ihren!
Sie gingen schnell, von ein und demselben Gedanken beseelt, die Laube zu erreichen.
Der Mondschein erhellte den Garten — jeder hätte die beiden Menschen sehen können, die von ihrem Schicksal gejagt dahineilten ... Sie dachten nicht daran, oder sie konnten an nichts anderes mehr denken, als an sich selber ganz allein! ... Ihr Angesicht, vom Glanz des Mondes und von trunkener Begeisterung erhellt, hing wie bewusstlos an dem Manne, dem ebenso Gedanken und Ideen nur auf einen Punkt zusammenstrahlten — ihr nahe zu sein und sie zu besitzen.
So verschwanden sie in der Laube, die ihre Blätter und blühenden Ranken hinter ihnen dicht verschloss ... Das Geisterangesicht des Mondes schaute herab ... Die Nacht mit ihren tausend Ohren lauschte atemlos ... Es war, als seien die beiden hinabgeglitten durch die dunkellaubige Pforte ins Reich der Schatten ... Und die Zeit zerfloss im Duft der Blumen, in der silbernen Ruhe der Nacht und in der letzten Leidenschaft zweier Menschen, die mit der Welt sich selber vergassen.
Auf einmal kam irgendwoher ein misstönendes Geräusch ... ein Tuten ... und Blasen ... dann fing eine Glocke zu schreien und zu klagen an ... Und dort drüben, über dem düsteren Komplex der Häuser und Dächer, die im Mondlicht, im weisslichen Dunst verzitterten — dort drüben glomm und glostete es auf einmal im roten Schein.
Eine Gestalt tauchte auf vor der Laube, an die sich die zweite bald schmiegte.
Sie lauschten ... gingen ängstlich um die weiss überschneiten Jasminbüsche.
„Es brennt ... in der Stadt ...“, sagte er leise.
Sie küssten sich, wie in stiller Abwehr gegen alle Dinge, die von dort an sie heranwollten.
Da plötzlich durchzuckte es den Mann, der in die Richtung des Brandes starrte, dessen Feuerarm jetzt lodernd empordrohte ... Und der Lehrer stöhnte.
„Wo ist das? ... Am Markt? ... Wo? ... Um Gottes willen!“
Irgend etwas riss entzwei in Klaus Mathiessens Brust ... Er wand sich, als habe er im Flammenschein Schreckliches gesehen.
„Ich muss fort, Liebes!“
Sie hielt ihn.
„Du!“
Ein Schauer von Küssen ...
Dann ging er, eilte, verfolgt von ihren brennenden Blicken.
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