In der Tat schien alles darauf hinzuweisen. Als eine große Dänenflotte Ende 878 in Ost-Anglia landete, konnte er sie davon abhalten, gegen Wessex zu ziehen. Die Wikinger-Armada zog ab und wandte sich den unglücklichen Städten des Frankenreichs und Frieslands zu. Sie gingen bald in Flammen auf.
Doch Guthrum alias »Aethelstan« war zu sehr Wikinger, um der Versuchung eines Raubzugs widerstehen zu können. Zusammen mit einem fränkischen Verbannten namens Isembart setzte er ebenfalls über den Ärmelkanal, um das westliche Frankenreich zu verheeren. Aber auch hier hatte Guthrum kein Glück. Die Franken bereiteten den Wikingern 881 eine empfindliche Niederlage bei Saucourt. Unverrichteter Dinge kehrte der geschlagene Wiking zurück.
Im selben Jahr flammten wieder vereinzelt Kämpfe zwischen Dänen und Angelsachsen auf, wobei es unklar ist, ob Guthrum damit etwas zu tun hatte. Diesmal war Alfred jedoch besser gewappnet als in den Zeiten von Chippenham. Er verfügte über eine Flotte. Als 882 ein kleines Raubgeschwader von vier Drachenschiffen die Küste seines Königreiches unsicher machte, segelte Alfred höchstpersönlich den Räubern entgegen und stellte sie zum Kampf. Nach hartem Gefecht enterten die Sachsen zwei der Wikingerschiffe und töteten deren Besatzung. Der Rest der Räuber ergab sich erst nach verzweifelter Gegenwehr. Der Sieg gab den Sachsen Mut. 50
Als der Rest der Wikingerhorden, die einst in die Seinemündung gesegelt waren, die Stadt Rochester in Kent belagerte, kam es erneut zum Krieg, dessen spektakulärste Kampfhandlungen zwei Seegefechte wurden.
Alfred, der nie eine Gelegenheit verstreichen ließ, die Offensive zu übernehmen, schickte seine Flotte die Küste entlang nach Kent. Dort überraschten sie an der Mündung des Stour 16 Langschiffe und vernichteten sie. Es war der erste größere Seesieg, den eine angelsächsische Flotte über die Wikinger erfocht.
Indes sollte die Freude bald getrübt werden. Als sich das sächsische Geschwader wenig später auf den Rückweg nach Wessex machte, segelte es vermutlich direkt in die Fänge einer Wikingerflotte, die von Frankreich nach England fuhr. Die Westsachsen erlitten eine vernichtende Niederlage. Es war der schmerzhafte Beweis dafür, dass Alfreds Flotte noch nicht in der Lage war, sich mit den Wikingern in ihrem ureigenen Element zu messen.
Der Verlust seiner Flotte nötigte den König von Wessex wieder dazu, die Wikinger zu Lande zu bekämpfen. Alfred ging in die Offensive und eroberte im folgenden Jahr London. Damit waren die Kampfhandlungen fürs Erste beendet.
Im folgenden Frieden wurde der bisherige Status quo zwischen dem dänisch besetzten Ost-Anglia und Wessex bestätigt und eine zukunftsweisende Entscheidung getroffen. Alfred und Guthrum einigten sich darauf, das einst selbständige Königreich Mercia entlang einer Nord-Süd-Achse in zwei Machthemisphären zu teilen, eine westliche unter den Angelsachsen und eine östliche unter den Dänen. Damit hatten beide Parteien ihren Machtanspruch durchgesetzt. Alfred hatte de facto die dänische Landnahme erneut bestätigt, Guthrum und die anderen Wikinger Alfreds Macht akzeptiert.
Diesmal hielt der Däne den Frieden. In den folgenden Jahren bis zu Guthrums Tod 890 vermelden die Quellen keine weiteren Kampfhandlungen.
Alfred nutzte die Zeit, um sein Reich gegen zukünftige Wikingerangriffe besser zu wappnen. Nach eigenen Vorstellungen schuf er ein neues Verteidigungssystem, das mit einer Heeresreform einherging. Überall im Land entstanden Burgen, die sogenannten »Burroughs« oder »Burghs«, denen ein örtlicher Heerbann zugeordnet war.
Diese Festungen finanzierte Alfred durch zusätzliche Steuern und bemannte sie mit Bauern, welche im Kriegsfall die Besatzung stellten.
Die Neuerung sicherte Alfred die Inlandsverteidigung. Zusammen mit dem schon bestehenden »Fyrd«, dem im Kriegsfall einberufenen Aufgebot, sollte sich diese Reform des englischen Heeres bald bewähren. Neu war auch, dass im Kriegsfall eine Hälfte des Aufgebots ständig unter Waffen blieb, während die andere Hälfte die Ländereien bewirtschaftete. Mithilfe dieser Rotation verhinderte Alfred, dass die Versorgung des Heeres und der Bevölkerung für die Dauer der Kriege zusammenbrach.
Alfreds Heeresreform rettete Wessex im Jahr 893. Zwei große Wikingerflotten fielen unter der Führung des legendären Wikingers Hasting in einer Gesamtstärke von 330 Schiffen und über 10 000 Mann über England her. 51Die Wikinger kamen aus dem Frankenreich, wo der fränkische Kaiser Arnulf von Kärnten ihnen 891 eine schwere Niederlage an der Dyle beigebracht hatte.
Die Kriegszüge Hastings wurden Alfred noch gefährlicher, als es die von Guthrum jemals gewesen waren. Mit blitzartigen Überfällen zogen die Wikinger durch Wessex und Mercia, wo sie feste Lager aufschlugen, von denen aus sie mordend in das Land ausschwärmten. Fast schien es, als würde Hasting gelingen, was Guthrum einst verwehrt geblieben war. Die Wikinger schienen überall, ihre Heere griffen teilweise gleichzeitig oder kurz hintereinander an. Fast schien es so, als würden die Westsachsen den Mut und somit den Krieg verlieren.
Aber Alfred gab nicht auf. Nach anfänglichen Schwierigkeiten bewährte sich letztendlich sein Verteidigungssystem, das den Gegner ständig mit neuen, frischen Aufgeboten konfrontierte.
Sieht man von seinem Sieg in der Schlacht von Farnham einmal ab, in der Hasting 893 von den Westsachsen schwer geschlagen wurde, verlegte sich Alfred darauf, seinen Feind auszumanövrieren. Waren die Wikinger zuerst strategisch im Vorteil, weil sie das Kampfgeschehen diktierten, verloren sie dank Alfreds hervorragend marschierender Armee und seinem Festungssystem langsam die Initiative.
Der Krieg, den Alfred gegen die Wikinger Hastings focht, hatte nichts mehr mit der Abwehr von Seeräubern zu tun. Er glich vielmehr einem regulären Krieg zwischen zwei Völkern, eine Auseinandersetzung wie zur Völkerwanderungszeit, da in den Reihen der Wikinger auch viele Frauen und Kinder waren. Der Krieg endete nach verlustreichen Kämpfen 896 mit dem Abzug Hastings.
Jetzt hatte es Alfred nur noch mit vereinzelten Piratengeschwadern aus Ost-Anglia zu tun, welche die Küsten von Wessex zu plündern begannen. Um den übermächtigen Langschiffen der Wikinger die Stirn bieten zu können, veranlasste Alfred den Bau einer Flotte nach seinen eigenen Vorstellungen. Sie bestand aus großen Kampfschiffen, von denen einige doppelt so lang waren wie die größten Drachenschiffe. Sie hatten 60 Riemen zu beiden Seiten, einen Mast mit Rahsegel und waren höherbordig als die Wikingerschiffe, was im Enterkampf entscheidende Vorteile hatte. Bemannt wurden die Schiffe Alfreds durch seeerfahrene Friesen.
Die Bewährungsprobe dieser Flotte, die Alfred auf eigene Kosten ausrüsten ließ, kam 897, als die Angelsachsen ein kleines Wikingergeschwader von sechs Schiffen bei der Isle of Wight angriffen. Es ist eine der seltenen Stellen der angelsächsischen Chronik, in der ein Kampf gegen Piraten ausführlich geschildert wird:
»Sechs normannische Schiffe waren nach der Insel Wight gefahren und machten Beute in der Umgegend bis nach Devonshire hinauf. Alfred befahl, dass man mit neun Schiffen ihnen entgegenfahre und sie einschließe. Drei Schiffe waren ans Land gezogen, weil die Mannschaft plünderte; drei fuhren auf die Sachsen los. Es kam zu einem Kampf; zwei nordmännische Schiffe wurden genommen, das dritte, auf dem alle Krieger bis auf fünf gefallen waren, entkam. Drei sächsische Fahrzeuge waren der Stelle zugefahren, an der die drei andern normannischen Schiffe lagen; drei waren an der entgegengesetzten Stelle der Bucht. Im Eifer bemerkten sie nicht, dass die Ebbe eintrat, das Wasser fiel schnell auf beiden Seiten und die Schiffe saßen fest, ohne dass die Mannschaft des einen Theils dem andern zu Hilfe kommen konnte. Die Dänen waren unterdessen zurückgekommen und griffen jetzt die sächsischen Schiffe an, die sich nicht bewegen konnten. Es entspann sich ein heftiger Kampf, in dem Graf Lucumon und 72 Sachsen und Friesen, welche auf der Flotte waren, erschlagen wurden. Von den Dänen fielen jedoch 120. Unterdessen kehrte die Flut wieder und die leichten dänischen Schiffe konnten sich bewegen, ehe die schweren sächsischen flott wurden. Sie entkamen, hatten aber so gelitten, dass sie nicht mehr um die südliche Küste herumkamen. Das Meer zwang sie zu landen, die Besatzung ward gefangen und vor den König nach Winston gebracht, der sie als Seeräuber augenblicklich hängen ließ. In demselben Jahre gingen zwanzig feindliche Schiffe an der Südküste zu Grund.« 52
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