Sein berühmter Gegner Geiserich überlebte ihn nur um ein Jahr. Er erfuhr noch vom Tod seines gefährlichsten Gegners, Ricimer, und erlebte den Zusammenbruch des Weströmischen Reiches, das er so geschickt mit seinen Seeräubern bekämpft hatte. Auch hinsichtlich weiterer Beziehungen mit Ostrom wurde 476 zum Schicksalsjahr der Vandalen. Angesichts der Tatsache, dass Ostrom die Machtmittel fehlten, das Vandalenreich zu zerschlagen, schloss es einen ewigen Frieden mit Geiserich ab. Von nun an hörten die Kampfhandlungen und Seeräuberzüge auf.
Als der Vandalenkönig 477 im Alter von 80 Jahren starb, konnte er hoffen, dass sein Volk in eine gesicherte Zukunft ging. Mit seinen Piratengeschwadern hatte der Seekönig die Weltmacht Rom nicht nur in Schach gehalten, sondern besiegt und entscheidend zu deren wirtschaftlichem Niedergang beigetragen. Dabei hatte die Seeräuberei Geiserichs einen entscheidenden Einfluss auf den Fortbestand seines Reiches. Ohne sie wäre das Vandalenreich kaum in der Lage gewesen, wirtschaftlich zu überleben und die vielen Kriege gegen Rom zu finanzieren.
Der Ewige Friede dauerte nur 50 Jahre und endete 534. In diesem Jahr griffen die Römer unter dem Feldherrn Belisar die Vandalen an und überrannten das Vandalenreich. Als die Römer Karthago einnahmen, fielen ihnen die einst von Geiserich geraubten Schätze Roms wieder in die Hände. In den folgenden Gotenkriegen stellte Kaiser Justinian die einstige Reichseinheit zumindest in administrativer Hinsicht noch einmal her. Fast scheint es, als ob die Vision eines Mare Nostrum wieder Wirklichkeit werden sollte.
Doch die Vorherrschaft Byzanz‘ im Mittelmeer fand ihr Ende durch die arabische Invasion, die ab dem 7. Jahrhundert die Machtverhältnisse in Südeuropa erschütterte.
Der bleiche Tod der Sarazenen
» Ich bin überzeugt, dass niemandem von euch die rohe und tierische Gesinnung der Sklavensöhne unbekannt ist, die durch Einfälle und Menschenraub die Rhomäer grausam misshandelten – und dies tun sie auf einer Insel, die sie selbst unterworfen haben, wenngleich sie nur durch ein missgünstiges Schicksal in ihren Besitz gelangt sind. – Sind nicht bereits alle Küstenstriche infolge ihrer Plünderungen unbewohnt? Liegen nicht die meisten Inseln infolge ihrer Streifzüge einsam und verlassen da? « 33
Nikephoros II. Phokas, Feldherr und Kaiser
von Byzanz, über die Sarazenen von Kreta
Die Geschichte des sarazenischen Piratenemirats auf Kreta begann nicht, wie man vermuten würde, in Nordafrika, sondern hatte ihren Ursprung in Spanien.
Dort kam es 818 in Córdoba zu schweren Aufständen der Bevölkerung gegen die Herrschaft von Emir al-Hakam I. Nur mit Mühe gelang es dem Herrscher, die Rebellion zu unterdrücken. Dabei traf sein Zorn das Zentrum des Aufstands, die Vorstadt Córdobas. Sie wurde dem Erdboden gleichgemacht und Tausende ihrer Bewohner wurden vertrieben. Nach dieser Niederlage flohen viele Andalusier nach Marokko, andere nach Alexandria.
Diejenigen, die Ägypten erreichten, blieben nicht lange Zeit Fremde im Land, sondern übernahmen kurz nach ihrer Ankunft die Herrschaft. In der Folgezeit beherrschten sie Alexandria 9 Jahre, bis der energische abbasidische Gouverneur Abdallah Ben Tahir sie im Dezember 827 zum Abzug zwang. 34
Die Andalusier gingen nicht, ohne ein neues Ziel vor Augen zu haben. Noch während ihrer Vorherrschaft in Alexandrien hatten sie mehrmals das zu Byzanz gehörende Kreta überfallen und reiche Beute gemacht. Diesen Erfolg wollten sie wiederholen. Mit 40 Galeeren brachen die Andalusier unter Leitung ihres Anführers Abu Hafs von Alexandria auf, um die Insel 14 Tage lang auszurauben. Anschließend sollte der Raubzug an weiteren Gestaden fortgesetzt werden.
Aber es kam anders, als es sich die Andalusier erhofft hatten. Durch eine Revolte in Byzanz war Kreta fast gänzlich von Militär entblößt, sodass die Insel kaum verteidigt wurde. Entgegen aller Erwartung wurde aus dem Raubzug eine Eroberung, der mit der Besetzung Kretas endete.
»Die Andalusier zogen furchtlos und unbesiegt durch das Land; als sich aber mit ihrer Beute zur Küste zurückkamen, standen ihre Schiffe in Flammen, und ihr Anführer Abu Hafs bekannte sich als Anstifter des Unheils. Er war des Wahnsinns oder Verrates beschuldigt.
›Worüber klagt ihr?‹, sprach er, ›ich habe euch in ein Land gebracht, wo Milch und Honig fließen. Hier ist euer wahres Vaterland (...)‹
›Und unsere Frauen und Kinder?‹
›Eure schönen Gefangenen werden die Stelle eurer Frauen vertreten und ihr werdet bald Väter anderer Kinder werden.‹« 35
Dass Abu Hafs seine mühselig ausgerüsteten Galeeren dem Feuer überantwortete, mutet auf den ersten Blick unwahrscheinlich an. Die Episode ist jedoch durch das hervorragend bebilderte Manuskript des Johannes Skylitzes bestätigt, das auch die byzantinischen Gegenschläge im Stil einer Graphic Novel abbildet.
Den Raub einer derart strategisch wichtigen Insel konnten die Byzantiner nicht ungestraft hinnehmen. Die Eroberung Kretas durch die Sarazenen stellte eine große Gefahr für die Griechen dar und bedeutete eine schwere Erschütterung des Machtgefüges im östlichen Mittelmeer.
Aus diesem Grund unternahmen die Byzantiner in zeitlich kurzen Abständen zwei Rückeroberungsversuche. Der erste Gegenangriff des anatolischen Flottengeschwaders scheiterte 828 in einer Schlacht vor der neuen Festung Kandia, die zum Hauptquartier der Piraten geworden war. Ein zweiter Angriff der Griechen im selben Jahr endete nach anfänglichem Schlachtensieg mit der völligen Vernichtung des Landungskorps und dem Tod seines Oberbefehlshabers Krateros, den die Sarazenen hinrichteten.
Von diesen Erfolgen bestärkt, gingen die neuen Herren Kretas in die Offensive und fielen über die unverteidigten Orte und Inseln der Kykladen her. Doch war der byzantinische Widerstand noch nicht erloschen. Als die Seeräuber in die Ägäis vorstießen und einige Inseln besetzten, schlug der byzantinische Flottenkommandant Ooryphas der Ältere sie zurück. Ooryphas’ Erfolg wurde bald getrübt. Als die Byzantiner erneut in die Offensive gingen, wurde ihre Flotte 829 vor Thasos vernichtet.
Dies hatte erneut Auswirkungen für die Inselwelt der Ägäis. Kurz darauf wurde die Insel Ägina das Opfer eines sarazenischen Raubüberfalls, die Inselbevölkerung und das Vieh wurden verschleppt, die Orte verbrannt. Das Eiland blieb jahrelang öd und menschenleer. Dass dies möglich war, lag nicht nur an der Kühnheit und Kampfkraft der kretischen Sarazenen, sondern war auch der Lage auf Sizilien geschuldet.
Zeitgleich mit der andalusischen Eroberung Kretas waren nordafrikanische Sarazenen in Sizilien eingefallen und nach harten Kämpfen ins Inselinnere vorgedrungen.
Im Gegensatz zu Kreta sollte es noch Jahrzehnte dauern, bis im Jahr 878 die letzte byzantinische Festung fiel und Sizilien von den Muslimen erobert wurde. Doch einen Vorteil hatte der sarazenische Eroberungsversuch von 827. Er lenkte die Byzantiner davon ab, sich auf Kreta zu konzentrieren, und zwang sie zur Zersplitterung ihrer Kräfte.
Nachdem 843 ein letzter Rückeroberungsversuch Kretas gescheitert war, blieb die byzantinische Marine in der Ägäis ein ganzes Jahrzehnt lang in der Defensive. Von da an wurde das Piratenemirat von Kreta zum Schrecken der Meere. Nun war kein christliches Schiff, keine christliche Ortschaft vor ihm sicher.
Die Siege machten die kretischen Sarazenen kühner. Immer tiefer stießen ihre Raubflotillen in die Ägäis vor, sodass sich ganze Landstriche entvölkerten. Unentwegt wurden die Landschaft um Phokaia, das Küstengebiet von Hellas, Ätolien, die ionischen Küsten Griechenlands, Lesbos-Mytilene und die Kykladen zum Opfer sarazenischer Razzien. Samos, Chios, Ephesos und Milet wurden überfallen, die lykische Küste im Lauf des 9. Jahrhunderts völlig verheert. Manchmal, wie im Fall von Naxos, kamen die Überfallenen mit Tributzahlungen davon. Handelte es sich um Klöster, gaben die Sarazenen keinen Pardon. 862 und 866 äscherten sie die Klosterbezirke des Heiligen Berges Athos im Norden des Ägäischen Meeres ein und nahmen die geflohenen Mönche gefangen. Angesichts einer derartigen Seeräuberplage wurde der Fracht- und Reiseverkehr des östlichen Mittelmeers stark eingeschränkt. Trotzdem brach der byzantinische Seeverkehr nicht zusammen.
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