Er fuhr langsamer. Spadinos Smart stand mit ausgemachten Scheinwerfern auf der kleinen Lichtung, zweihundert Meter vom Rande des Pinienhains entfernt, auf der Höhe der Kurve, hinter der die Straße zum Meer führte. Er fuhr an den Straßenrand heran. Stieg aus und ging zu Fuß zu Spadino. Spadino saß am Steuer, bei herabgekurbeltem Fenster. Numero Otto lehnte sich mit ausgebreiteten Armen auf das Dach des Smart.
– He, Spadí, ich hab gehört, du versuchst es im großen Stil, fährst aber immer noch mit einer Scheißkarre rum.
– Ich hab keine Zeit zu verlieren. Vor allem nicht mit dir. Was willst du?
– Du weißt nicht, was ich will? Du bist doch intelligent, Spadí. Du weißt doch, wie das Gebot lautet. Du sollst nicht begehren …
– … deines Nächsten Weib. Aber du willst nicht über Weiber reden. Ich weiß, der Abgeordnete hat sich bei dir ausgeweint. Ich hab mit deinen Leuten gesprochen. Und jetzt wiederhole ich, was ich auch ihnen gesagt habe: Wir haben uns nichts zu sagen. Malgradi gehört jetzt mir. Und wenn du wissen willst warum, dann frag doch den Hosenscheißer, ich wette, er hat es dir nicht gesagt.
– Erklär du es mir.
– Eine Hure ist ihm abgekratzt. Und ich habe sauber gemacht. Reicht dir das als Rechtfertigung? Ich habe es verdient, verstanden? Jetzt gehört er mir.
Es dauerte nur ein paar Sekunden. Numero Otto hob die rechte Hand vom Dach des Smart, steckte sie ins Fenster und packte Spadino an den Haaren, auf der Höhe des Nackens. Er leistete nicht einmal Widerstand. Auf und ab. Auf und ab. Er schmetterte Spadinos Kopf gegen das Lenkrad, bis der Schädel brach. Dann zerrte er den Körper aus dem Auto.
– Eine schöne Melone haben wir da aufgebrochen.
Er schleppte ihn zu einer Pinie. Und dort begann er von Neuem. Auf und ab. Auf und ab. Er schleuderte den Kopf, der nur noch Brei war, gegen den Stamm.
Fünf Minuten waren vergangen, nicht mehr. Er betrachtete die Landebahn R1. Er atmete tief ein, die Luft roch nach Nacht und Kerosin. Er ging zum Hummer zurück und zog eine ordentliche Nase. Der Stoff stieg ihm zu Kopf. Erst jetzt öffnete er mit einem Knopfdruck auf den Schlüssel den Kofferraum und holte einen Fünf-Liter-Kanister heraus.
– Man muss auf alles gefasst sein. Nie ohne Reservekanister fahren.
Dann setzte er Spadinos Leiche wieder auf den Fahrersitz, leerte Benzin über das Auto und zündete es an. Er legte den Rückwärtsgang ein und fuhr rasch zurück, während der Smart und sein Fahrer in Flammen aufgingen.
– Gute Reise, Spadí. Du hattest recht. Wir hatten uns nichts zu sagen.
IV.
Marco Malatesta, der Oberstleutnant der Sondereinheit der Carabinieri, stand auf dem Gleis des Bahnhofs Tiburtina und machte mit der Sohle der grünen Turnschuhe die x-te Zigarette aus. Seit zwei Wochen leitete er nun die Abteilung zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität und seit zwei Wochen rauchte er nun wieder Camel light, obwohl er sich drei Jahre lang bemüht hatte, abstinent zu bleiben. Mit kleinen kreisförmigen Bewegungen massierte er langsam seine rechte Schläfe. Die alte Narbe pochte wie verrückt. Wie immer, wenn es etwas zu tun gab.
Marco steckte die Hände in die tiefen Taschen der Motorradjacke, die sich hervorragend dazu eignete, eine Beretta 92 Fs zu verstecken. Er nahm das Smartphone. Er drückte auf das Display, der Bildschirm wurde hell und das Fahndungsfoto tauchte auf.
Gennaro Sapone.
Ein x-beliebiges Gesicht, ein Angestelltengesicht. Einer von Scampias schlimmsten Killern. Mit einem einzigen Schlag in den Nacken hatte er einen armen Teufel ins Jenseits befördert, allerdings war es „ein Irrtum“ gewesen. Er hatte einen Hilfsarbeiter, der von der Arbeit nach Hause kam, mit einem Mafiaboss verwechselt. Seit diesem Tag war Sapone verschwunden. Die Leute aus dem Viertel suchten ihn. Der Staat suchte ihn. Also er, Marco. Doch wenn der Tipp stimmte, hatte die Suche jetzt, auf diesem Bahnsteig, ein Ende.
Seitdem Emanuele Thierry De Roche, der Kommandant der Sondereinheit, ihn ins Hauptquartier nach Rom, in die Heimat, zurückgerufen hatte, war das seine erste richtige Aktion. Davor war er elf Jahre lang als Beamter der Multinational Special Unit im Einsatz gewesen. Er und Thierry kannten sich schon seit einer Ewigkeit. Marco hatte Thierry viel, wenn nicht gar alles zu verdanken. Er verstand noch immer nicht, warum sie Freunde waren, obwohl sie doch so verschieden waren. Thierry, groß, schlank, förmlich, der letzte Nachfahre von Lucien Bonaparte, Principe di Canino, einem Großneffen von Napoleon dem Großen, und er, Marco, der sein ganzes Leben lang ein Junge aus Talenti bleiben würde. Doch in einem waren sie sich einig: Rom musste gerettet werden. Vor allem vor sich selbst.
Malatesta schaute auf die Uhr und auf die Ankunftstafel. Dreiundzwanzig Uhr. In fünf Minuten würde ihm der Regionalzug aus Neapel den flüchtigen Mörder liefern. Aus den Augenwinkeln überprüfte er noch einmal, ob seine Jungs am Bahnsteig gut postiert waren. Ein verkleideter Zugführer am oberen Ende des Gleises. Ein Müllmann am unteren. Ein verkleideter Getränkeverkäufer, der in seinem Getränkekorb kramte. Zum Glück war sonst niemand da, der die Sache hätte komplizieren können.
Die Scheinwerfer der einfahrenden Lokomotive durchbrachen die Dunkelheit, während eine Stimme aus dem Lautsprecher die Leute aufforderte, hinter der gelben Linie stehen zu bleiben. Malatesta steckte wieder die rechte Hand in die Jacke, entsicherte die Waffe, umklammerte fest den Schaft.
Der Zug kam pfeifend näher. Die Türen gingen auf. Es stank nach Bremsbelag. Eine bunte, erhitzte Menge stieg aus. Zu viele Menschen.
Wo war Sapone?
Malatesta kannte die Situation. Das Adrenalin stieg. Aber keine Spur vom Killer.
Zum Teufel, dachte er mit einem Anflug von Ärger, drehte den Waggons den Rücken zu und nahm das obere Ende der Rolltreppe ins Visier.
Jetzt stieg Sapone aus.
Marco hatte das begriffen, weil zwei Schüsse aus einer 38er abgefeuert worden waren, die der Neapolitaner in der rechten Hand hielt, gleich darauf begann eine junge Mutter zu schreien. Die Bestie hatte ihr das Kind aus der Hand gerissen.
Sapone hatte sie ausgetrickst.
Malatestas Jungs zogen sich hinter die Stützpfeiler des Bahnsteigdaches zurück, zielten mit ihren Dienstwaffen auf ihn und forderten ihn umsonst auf aufzugeben.
– Carabinieri! Carabinieri! Werfen Sie die Pistole weg!
Sapone richtete die Pistole auf den Kopf der kleinen Geisel.
– Kommt her, ihr Arschlöcher. Kommt her, wenn ihr euch traut.
Das Mädchen weinte. Die Mutter schrie. Die Passagiere liefen davon. Pattstellung.
– Ich will ein Auto!, schrie der Mafioso. Oder ich schieß dem Kind ein Loch in den Kopf!
Die Weisungen in solchen Fällen waren klar und eindeutig. Aufgeben. Auf alle Fälle keine Opfer in der Zivilbevölkerung.
Die Carabinieri senkten die Waffen.
Marco schüttelte den Kopf.
Manchmal ging es eben nicht anders.
Er ging langsam auf Sapone zu, nur noch fünfzig Schritte trennten ihn von ihm. Völlig im Gleichgewicht, die Pistole in der ausgestreckten Rechten zu Boden gerichtet. Er blickte dem Mörder ins Gesicht, er hatte nämlich gelernt, dass man am Grunde der Augen lesen konnte, ob jemand bereit war zu töten.
– Bleib stehen! Verdammt, bleib stehen! Ich bring dich um. Ich bring dich und die Kleine um … ich bring dich um!
Je näher Malatesta kam, desto mehr roch er, dass Sapone nach Schweiß und Angst stank.
– Ich bring dich um, du Scheißbulle … ich bring dich um! Ich bring die Kleine um!
– Colonello, passen Sie auf!, schrie einer seiner Männer hinter ihm.
Er gab keine Antwort.
In einer Entfernung von fünf Metern blieb er stehen und zwang sich, das Mädchen nicht anzusehen. Er wusste, er durfte keine Zeit verlieren. Die Worte sollten ihm nur einen winzigen Vorsprung verschaffen.
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