– Pech für sie! Verdammt, ich hau ab!, schrie Malgradi und raffte seine Kleidungsstücke zusammen.
Sabrina, plötzlich kalt wie eine Hyäne: – Sicher, es hat dich ja auch niemand heraufkommen sehen.
Das Hotel La Chiocciola, ein Boutiquenhotel. Abfackeln sollte ich es, samt euch beiden. Und dich, du Hure, sollte ich darin anbinden, mit einem dreifachen Knoten! Samt dieser verdammten Vicky und ihrem Clan, wir waren viel zu tolerant gegenüber den Ausländern, viel zu sehr, wir haben ihnen den kleinen Finger gegeben, und sie wollten gleich die ganze Hand, ich bin im Arsch, im Arsch …
Röchelnd erbrach die Arme einen kleinen Klumpen, dann war sie still.
– Sie ist tot!, flüsterte Sabrina.
Sie schloss ihrer Freundin die Augen und blickte Malgradi an, mit einer Mischung aus Verachtung, Ekel und Widerwillen.
Aber der Herr Abgeordnete war ganz woanders. Aus der Tiefe seiner Seele war eine Erinnerung an die ferne Kindheit in Kalabrien aufgetaucht, wie hatte doch Großvater Alcide gesagt, als sie in Le Castella zum Fischen hinausfuhren, bete, bete, damit ein Fisch geschwommen kommt, wenn du nicht mehr weiterweißt, musst du beten, und da fiel Malgradi auf die Knie, faltete die Hände und flehte den Lieben Gott an, lege deine gebenedeite Hand auf mein demütiges Haupt, ich gehe ins Kloster, ja ins Kloster, aber bewahre mich vor diesem Skandal, du, der du allmächtig bist, ich bitte dich, ich …
– Ja, bete nur. Gleich kommt der Schutzengel auf einem fliegenden Teppich.
Ach, die Hure riss das Maul auf. Und traute sich sogar, ihn zu beschimpfen. Was erlaubst du dir? Du schleppst diese Schwindsüchtige an, die vielleicht sogar krank war, und jetzt reißt du das Maul auf?
Der Abgeordnete Malgradi wurde plötzlich unsagbar wütend. Er stand auf, stürzte sich auf Sabrina und verpasste ihr einen harten Schlag, sie fiel zu Boden.
– Sehr gut, sagte sie, ohne die Fassung zu verlieren, und strich sich mit der Hand über die Wange. – Bringst du mich jetzt auch um? Damit du zwei Leichen entsorgen musst?
– Und was soll ich deiner Meinung nach tun, ha? Hast du vielleicht eine Idee, du dumme Kuh?
Sabrina nahm das Handy und rief jemanden an.
– Spadino? Ich brauche Hilfe.
Eine halbe Stunde später klopfte ein ungefähr zweiundzwanzigjähriger Mann in schwarzem T-Shirt und verwaschenen Jeans an die Tür der Suite. Er war klein, untersetzt, hässlich wie die Sünde.
Sabrina ließ ihn herein und zeigte auf das Bett.
Dem Jungen reichte ein Blick, er begriff sofort, dass er einen Volltreffer gelandet hatte. Die Leiche, Sabrina, traurig und angewidert, der verschwitzte Typ, der die Hände rang … Ja, das war eine Riesenchance. Mehr als er zu hoffen gewagt hatte, als Sabrina ihn angerufen hatte.
– Vielleicht können Sie uns helfen, uns aus dieser … peinlichen Situation zu befreien …
Das große Tier kam näher, lächelte wie auf einer Wahltribüne und zitterte wie kurz vor einer Panikattacke. Hoffentlich wimmerte er nicht wie ein Mädchen.
– Und?
– Nun … ja … Sabrina hat mir nur Gutes von Ihnen erzählt …
– Mir übrigens auch von dir, grinste Spadino.
Der Abgeordnete steckte eine Hand in die Tasche und zog eine dicke Brieftasche heraus.
– Wenn Sie mir helfen könnten …
Er wusste nicht weiter. Wie hätte er es formulieren sollen? Der Junge machte sich einen Spaß daraus, ihn ein wenig zappeln zu lassen, dann nickte er und zündete sich eine Zigarette an.
– Also, was nun genau? Ich soll die tote Hure wegbringen … okay.
Ein erleichtertes Lächeln breitete sich auf dem Gesicht des Abgeordneten aus.
– Genau!, sagte er und öffnete die Brieftasche. – Ich dachte, für die Unannehmlichkeiten …
– Wieviel hast du dir vorgestellt?
Der Abgeordnete reichte ihm ein Bündel Banknoten.
– Also …
– Wir zählen sie später, sagte der Junge wie zum Trost und steckte die Beute gierig ein.
Malgradi setzte ein Lächeln auf wie nach einem wichtigen Geschäftsgespräch, das zur allgemeinen Zufriedenheit ausgegangen war.
– Ich werde nicht vergessen, was Sie für mich getan haben, Herr …
– Nenn mich Spadino. Und was den Dank anbelangt … dafür ist später noch Zeit! Hau jetzt ab!
Malgradi zog sich im Rückwärtsgang zur Tür zurück, wobei er weitere Dankesworte von sich gab.
– Ich glaube, dein Freund ist wirklich ein Arschloch, sagte er, als dieser das Feld geräumt hatte.
– Ein Riesenarschloch, das kannst du mir glauben.
– Hilf mir, die arme Sau anzuziehen, Sabrì.
Seufzend machten sie sich an die Arbeit.
Sie hatten vor, sie an einem Ort abzulegen, den Spadino gut kannte. Einem sicheren Ort. Allerdings mussten sie sie zuerst aus dem Hotel hinausbringen, ohne dass der Portier der Chiocciola, die Zimmermädchen oder eventuelle Gäste, denen sie unterwegs begegneten, Verdacht schöpften. Doch selbst angezogen und parfümiert – es war ein heißer Abend, es roch schon unangenehm –, sah die Litauerin eindeutig wie eine Leiche aus. Also befahl Spadino Sabrina, sie zu schminken. Sabrina setzte ihr auch noch die verspiegelte Tom-Ford-Brille auf, die sie trug, wenn sie nach einer harten Nacht schnell einen Quickie absolvieren musste und die Augenringe verbergen wollte. Die Wirkung war nicht überwältigend, aber es ging. Sie mussten nur ein paar Meter zurücklegen, mit etwas Glück würde es gutgehen.
Sie zogen sie hoch, stützten sie, jeder auf einer Seite. Wie schwer sie war, Gott hab sie selig! Sie kamen nur mühsam voran, es war eindeutig, dass sie nicht ging, sondern dass sie sie zogen.
– Anders geht es nicht, sagte Spadino. Dem Portier sagen wir, sie sei betrunken. Im Notfall geben wir ihm hundert Euro, damit er begreift, dass er wegschauen soll.
Das leuchtete ihr ein.
Sie machten sich auf den Weg.
Der Gang im vierten Stockwerk war leer. Der Lift kam sofort. Schon waren sie in der Lobby. Spadino bat den Portier, die schwere Drehtür aufzuhalten, der Mann tat es, unterwürfig lächelnd. Sabrina steckte ihm ein paar Hunderter zu.
Als das merkwürdige Trio draußen war, ging der Portier zur Rezeption zurück, legte den „Corriere dello Sport“ weg, den er jeden Tag andächtig las, um sich als echter Römer und – je nach Bedarf – als Roma- oder Lazio-Fan zu fühlen, und dachte nach. Er hieß Kerion Kemani, war fünfunddreißig Jahre alt und kam aus Albanien. Ein Zweifel quälte ihn. Er verdankte dem Abgeordneten Malgradi viel: den Arbeitsplatz, bald würde er die Staatsbürgerschaft erhalten. Aber wo hörte die Dankbarkeit auf? Auch er war kurz auf der Straße gewesen, bevor er wieder auf den rechten Weg zurückgefunden hatte. Im Übrigen hatten ihm die Italiener auch keine andere Wahl gelassen. 1991 war er mit der ersten Migrationswelle in Bari an Land gegangen. Noch beinahe ein Kind, hatte er sich mit vielen anderen in einem Stadion wiedergefunden, das sich bald in einen Raubtierkäfig verwandelte. Um die Überfahrt zu bezahlen, hatte sein Vater alles verkauft, was er besessen hatte, das Haus, das Feld, die wenigen Tiere, die er seinerzeit vor dem Zugriff der Kommunisten hatte bewahren können. Die Alona-Mafia im Stadion hatte den Rest besorgt. Seine Schwester war auf den Strich gegangen und er hatte sich als Schuldeneintreiber verdingt. Er hatte Familienväter terrorisiert, hin und wieder jemandem die Knochen gebrochen, widerspenstige Huren bestraft. Sowas eben. Dann hatte sein Leben sich verändert, sicher, doch gewisse Erinnerungen konnte man nicht auslöschen. Auf der Straße hatte er zumindest gelernt, dass die Kleine mit der Sonnenbrille alles andere als betrunken war.
Sie war tot.
Was also sollte er tun? Fürs Erste dachte er nach.
Was auch immer in der Suite vorgefallen war, Malgradi hatte damit zu tun. Und welchen Vorteil konnte er, Kerion, dabei herausschlagen?
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