– Und das wäre?
– Wir erobern Rom.
– Ach ja? Red’ weiter.
– Wir haben Geld, frisches, sauberes Geld, und zwar jede Menge. Das heißt, für uns ist es sauber, für sie ist es schmutzig, wenn du weißt, was ich meine.
– Natürlich.
– Gut. Wir haben die Papiere. Die uns sagen, wo das viele Geld gelandet ist, das die braven Staatsdiener in den letzten Jahren geklaut haben. Wir haben sie so gut wie an den Eiern. Das macht uns unantastbar, und deshalb …
– Deshalb?
– Wenn du mitspielst, sind wir beide von nun an wie Julius Cäsar und Oktavian Augustus.
Botola lachte über den Witz, er erinnerte ihn an Libanese, den Gründer der Bande. Er hatte eine Leidenschaft für das antike Rom gehabt. Vielleicht nicht mal zu Unrecht.
– Also, was sagst du, Samurai? Machen wir’s?
Samurai nickte und lud die Pistole. Während er das Magazin in die Öffnung am Lauf einsetzte, hielt er dem fassungslosen Botola einen kurzen Vortrag.
– Das ist eine Mannlicher, sie wurde 1901 in Österreich produziert. Anders als die meisten halbautomatischen Pistolen funktioniert sie nicht aufgrund des Rückstoßes des Verschlusses, sondern sie hat einen sogenannten Geradezugverschluss. Wie du siehst, werden die Patronen von oben, nicht von unten eingelegt. Die Waffe wurde im Ersten Weltkrieg vom österreichischen Heer verwendet. In Europa kam sie dann nicht mehr zum Einsatz, dafür aber in Argentinien. Das sind auch tatsächlich Borghi-Patronen, sie wurden 1947 in Buenos Aires hergestellt. Im Augenblick des Schusses wird die abgeschossene Patronenhülse ausgeworfen und eine neue von hinten in das Patronenlager geladen, wobei das Schloss gespannt wird.
Samurai seufzte tief, hielt Botola die Mannlicher an die Stirn und drückte ab.
Für den Rest des Sommers ging Samurai auf Tauchstation.
Die Uniformierten waren sauer, weil der Meistercoup für ziemlich viel Aufsehen gesorgt hatte, und riefen in Rom die besten Ermittler zusammen. Ein Maulwurf wurde schnell ausfindig gemacht und sang bei den Carabinieri, die wollten sich Lothar, Mandrake und Botola vornehmen: einmal Verräter, immer Verräter. Samurai hatte damit gerechnet. Genau aus diesem Grund hatte er die drei braven Burschen – widerwillig – umgelegt. Um alle Spuren zu beseitigen. Mitte September, während sich die Polizisten umsonst das Hirn zermarterten, wer hinter dem Raub stecken könnte, schnappte er sich die Beute und tauchte pünktlich beim monatlichen Treffen im Bagatto auf.
Il Bagatto war offiziell ein „Freizeitzentrum“, insgeheim jedoch ein Treffpunkt der extremen Rechten in Rom. Organisation und Struktur waren den Linken abgeschaut, doch das Dekor war eindeutig faschistisch: Wimpel mit Liktorenbündeln, Wandmalereien mit Gandalf und Frodo, bis hin zu Aschenbechern mit Hakenkreuz und Knüppeln mit Metallkern, die an improvisierten Tischen unter der Hand verkauft wurden. Und Faschisten waren auch die jungen Burschen, die zuerst spärlich, dann immer zahlreicher herbeiströmten und sich auf den wackeligen Bänken im Keller das Lokals in Montesacro zusammendrängten und ungeduldig darauf warteten, dem Wort ihres geistigen Anführers zu lauschen.
An diesem Abend waren es mindestens vierzig und alle blutjung. Hooligans aus dem Stadio Olimpico, die zwar in verschiedenen Fankurven saßen, jedoch einen gemeinsamen Glauben hatten – oder zumindest versuchte Samurai ihnen das weiszumachen.
Die Hooligans. Roms Zukunft.
Samurai setzte große Hoffnungen in seine Jungs. Hungrige Burschen, die nichts zu verlieren hatten und darauf brannten, sich alles zu nehmen.
Er hatte sie mit Ideologie geködert, aber das Projekt war größer als eine veraltete Utopie. Es ging darum, ein engmaschiges Netz zu knüpfen. Sie sollten stark, entschlossen und furchtlos sein wie antike Krieger, aber auch schlau wie Füchse und, bei Bedarf, weich und ätzend wie Quallen. Alle sollten ihren Fähigkeiten entsprechend eingesetzt werden: Straßenköter genauso wie Akademiker im Doppelreiher. Und alle, alle, würden loyal sein.
Samurai begann zu sprechen. Seine Stimme war leise und angenehm, hin und wieder brach jedoch ein Elan hervor, der für Begeisterung sorgte und die Herzen erwärmte. Er sprach von der engen, unauflösbaren Verbindung zwischen der erträumten Revolution und dem Leben auf der Straße. Er erklärte, dass das, was in den Augen der Kleinbürger als Verbrechen galt, für den Krieger unter gewissen Umständen eine perfekte Geste war, die sich sowohl über das Gejammer der Schwächlinge als auch über Disziplinierungsversuche durch die feige Justiz hinwegsetzte. Denn die Geste ist ihre eigene moralische, ästhetische und religiöse Rechtfertigung, sie genügt sich selbst.
Er sprach unermüdlich, fügte Beispiele und Gleichnisse an, bis er sicher war, dass er sie – wie immer – in der Hand hatte. Und dann, als sie auf die endgültige Offenbarung warteten, schwieg er ganz plötzlich und entließ sie mit einem halben Lächeln.
– Geht jetzt. Denkt darüber nach, was ihr gerade gehört habt. In einem Monat sehen wir uns wieder.
Die Jungs strömten hinaus, gaben halblaute Kommentare von sich, um die Konzentration von Samurai nicht zu stören, der sich mit geschlossenen Augen die Schläfen massierte, als habe ihn die Rede sehr angestrengt.
– Meister? Darf ich was sagen?
Seufzend öffnete Samurai die Augen.
Der Lauf einer Halbautomatischen war in zehn Zentimeter Entfernung auf ihn gerichtet.
Der Junge vor ihm hatte ein offenes Gesicht, ehrliche Augen und eine gerunzelte Stirn. Er lächelte angespannt und die Hand, mit der er die Pistole hielt, zitterte stark, obwohl er sie mit der anderen festzuhalten versuchte.
Marco Malatesta. Achtzehn Jahre alt. Ein Bursche aus Talenti, mit viel Herz, Mut und vor allem Hirn. Einer seiner Favoriten. Ein möglicher Erbe.
– Marco, du hast es geschafft, mir einen Schreck einzujagen. Aber jetzt bitte …
– Du bist kein Meister. Du bist ein Dreckschwein!
– Gib Acht, Marco. Du redest wie ein Kleinbürger.
– Schieb dir die blöden Sprüche in den Arsch, Samurai. Das bist du!
Er kramte in seiner Jackentasche und schmiss ihm einen Haufen bunter Pillen ins Gesicht.
– Die sind einen Haufen Geld wert, sagte Samurai ungerührt. Du solltest sie lieber aufheben.
– Ach, du erkennst sie wieder, was? Natürlich! Du drehst den Fans Ecstasy an, du machst uns süchtig. Du bist ein Dealer, Samurai. Nein, nicht nur ein Dealer, der Oberdealer. Früher hast du uns losgeschickt, um den Dealern den Schädel einzuschlagen. Und es als „revolutionäre Tat“ bezeichnet. Und was ist das, ha? Freie Marktwirtschaft?
– Mein Junge, wenn du jemanden erschießen willst, musst du zuerst das Schießeisen entsichern.
Instinktiv blickte der Junge auf die Pistole.
Samurai lächelte, dann schnellte er los. Einen Augenblick später hatte er die Pistole in der Hand.
Marco stürzte sich mit blutunterlaufenen Augen auf ihn. Samurai machte einen kleinen Schritt zur Seite, wich dem Angriff aus und versetzte ihm mit dem Lauf einen harten Schlag in den Nacken. Der Junge fiel ächzend zu Boden. Samurai entsicherte. Dann beugte er sich über Marco, zwang ihn sich umzudrehen, setzte sich rittlings auf ihn, und richtete die Waffe mitten auf seine Stirn.
– Ich sollte es dir mit gleicher Münze heimzahlen, Marco Malatesta. Du brauchst nicht um Gnade zu flehen.
– Ein Arschloch flehe ich nicht um Gnade an! Ich habe an dich geglaubt, Samurai, ich habe an deine Worte geglaubt. Wir müssen die Stadt ändern, wir müssen die korrupte Welt ändern, eine neue Moral! Doch du kommst mit der korrupten Welt gut zurecht, du suhlst dich darin, du bist ein Verräter!
– Ich bin kein Verräter. Allenfalls ein schlechter Lehrmeister. Ich habe dir nichts beigebracht. Deshalb trage ich noch größere Schuld als du. Und meine Strafe besteht darin, dich am Leben zu lassen.
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