Carlo Fehn
Grenzgold
Die Geburtstagsparty des Welitscher Bauunternehmers Joseph Ferdinand Kaiser wird jäh beendet. Ein Unbekannter, der zu allem bereit zu sein scheint, fordert ihn zu einem Duell auf Leben und Tod.
Nachdem der zwielichtige Geschäftsmann anschließend den Mord an seinem Vater aus unmittelbarer Nähe miterleben muss, beginnen für Hauptkommissar Pytlik und sein Team die Ermittlungen in einem gefährlichen Spiel.
Erst ein Hinweis auf die Anfänge des Familienbetriebes und eine Verstrickung des Seniorchefs in einen mysteriösen Todesfall in der Vergangenheit bringen nach und nach Licht in das Dunkel.
Als die Lösung des Rätsels greifbar nahe ist, sieht Pytlik plötzlich nicht nur sein eigenes Leben in Gefahr.
Grenzgold - Hauptkommissar Pytliks 14. Fall
Carlo Fehn
published by: epubli GmbH, Berlin
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Copyright: © 2021 Verlag Carlo Fehn
ISBN 978-3-754928-88-2
Freitag, 22. November 2013
Pytlik kochte vor Wut. Es war bereits fünf vor zwölf. Er hatte Franziska versprochen, pünktlich zur verabredeten Uhrzeit in Welitsch zu sein. Dass ihn sein Chef ausgerechnet an diesem Freitagmittag wegen einer Lappalie aufgehalten hatte, verdoppelte seinen Ärger. Er parkte seinen Dienstwagen einige Grundstücke entfernt vom Gasthaus »Roter Hirsch«. Die Anzahl der Autos, deren Windschutzscheiben vom andauernden Schneefall schon wieder leicht gezuckert waren, ließ ihn erahnen, dass es sich um eine große Geburtstagsgesellschaft handelte.
Es war sozusagen seine offizielle Einführung: Die Vorstellung des Hauptkommissars aus Kronach in den Kreisen seiner neuen Lebensgefährtin. Seit über einem Jahr waren die beiden nun ein Paar, nachdem sie sich im Sommer des letzten Jahres bei einer Floßfahrt auf der Wilden Rodach kennengelernt hatten. Pytlik hatte in der Vergangenheit mit Frauen nicht viel Glück gehabt, weswegen er es mit seiner neuen Liebe zunächst etwas langsamer hatte angehen wollen.
Der eisige Wind peitschte den Schneestaub von den am Straßenrand aufgetürmten weißen Massen. Die Kaltfront hatte in den letzten Tagen ihrem Namen alle Ehre gemacht und den Landkreis in eine ungemütliche Winterlandschaft verwandelt.
Dem Hauptkommissar gingen tausend Dinge durch den Kopf; ihm war mulmig! Wenn er Glück hatte, aßen sie bereits. Dann wäre es vermeintlich ein Leichtes, kurz zu gratulieren, seinen Diener zu machen und sich zu Franziska zu gesellen. Er wusste, dass sie ihm nicht böse sein würde.
Es kam anders, und Pytlik hatte es geahnt!
Nachdem er sich auf dem Treppenabsatz noch schnell die Schuhe abgeklopft, sie vom Schnee befreit hatte und durch die Eingangstür im Vorraum angekommen war, vernahm er die Stille der Zuhörer im Inneren. Ihm kam feuchte Luft entgegen, die mit den feinsten Gerüchen oberfränkischer Wirtshausküchen angereichert war. Der Duft würde wohl frühestens beim Abriss des historischen Gebäudes irgendwann in ferner Zukunft verblassen. Durch die Tür zum Speisesaal hörte er gedämpft eine unaufgeregt erzählende Stimme. Am liebsten hätte er genau jetzt den Rückzug angetreten.
»Aber es muss ein Wink des Schicksals…«
Pytlik hatte sich zusammengerauft. Kurz nachdem er die Tür vorsichtig geöffnet, der schlecht geölte Faulenzer sein Eintreten aber mit einem langgezogenen Quietschen verraten hatte, blickte er auch schon in erwartungsfrohe Gesichter mit offenen Mündern und fragenden Augen. Es mussten gut und gerne 80 bis 100 Leute sein!
Er lächelte mehr verlegen als souverän, bedeutete dem weißhaarigen Redner, dessen Miene sich mehr und mehr verfinsterte und der am anderen Ende des Raums in der Mitte der langen Tafel stand und innehielt, dass er sich entschuldigte. Dann sah er zum Glück Franziska gleich an einem der ersten Tische in seiner Nähe sitzen. Neben ihr war noch ein Stuhl frei.
»Ein Wink des Schicksals muss es also gewesen sein…«, fuhr der Mann fort, von dem Pytlik wusste, dass er Wilhelm Kaiser war. Der Grandseigneur und selbsternannte Vorzeigeunternehmer. Die Geschichte vom kaum erwachsenen Maurerlehrling, der ein Bauunternehmen aus dem Boden gestampft und zum größten der Region gemacht hatte und das heute sein Sohn Joseph Ferdinand leitete.
»…dass ein großer Mann der Weltpolitik, einer, der Visionen hatte, den die Menschen liebten, zu dem sie aufschauten und in den sie viele Hoffnungen setzten, just an meinem 35. Geburtstag durch einen brutalen Mord aus dem Leben gerissen wurde. Und als an diesem Tag, an dem mein Vorbild, John F. Kennedy, erschossen wurde…«
Wilhelm Kaiser machte eine theatralische Pause, nahm ein Stofftaschentuch aus der Hosentasche und deutete an, sich eine Träne aus dem Auge zu wischen.
»…mein Sohn auf die Welt kam, da wusste ich, dass da oben jemand sitzt, der alles zu lenken weiß.«
»Aha! Interessant!«, flüsterte Pytlik Franziska ins Ohr, die nur seine Hand drückte, ohne ihn dabei anzuschauen. Es war bekannt, dass der junge Kaiser seine Vornamen als Reminiszenz des Vaters an dessen politischen Helden bekommen hatte. Nur zu gerne rühmte sich Kaiser Junior daher schon immer mit dem Rufnamen »JFK«. Nach einigen weiteren Sätzen übergab Wilhelm Kaiser das Wort an seinen Sohn; beide umarmten sich.
»Alles Show!«, flüsterte Franziska Pytlik ins Ohr. Er drückte nur ihre Hand, ohne sie dabei anzuschauen. Sie lächelte.
»Ich möchte eigentlich nicht allzu viele Worte verlieren«, begann Joseph Ferdinand Kaiser, der an den US-amerikanischen Schauspieler Michael Douglas erinnerte. Einen Großteil seiner freien Zeit schien er auf der Sonnenbank oder an entsprechenden Orten mit viel Sonnenschein zu verbringen. Sein durchtrainierter Körper passte perfekt in den maßgeschneiderten royalblauen Anzug. Dass er keine Krawatte trug, rundete in Verbindung mit dem streng nach hinten gegelten, dunkelblonden und bereits leicht grau melierten Haar den Eindruck eines Playboys in Papas Fußstapfen ab. Nicht nur Pytlik war bekannt, dass der Senior seinem Filius in den vergangenen Jahren bei dem einen oder anderen Projekt unterstützend hatte zur Seite springen müssen.
»Da wir nun ja auch endlich vollzählig sind und ich glaube, dass die Küchenmannschaft jetzt auch schon in den Startlöchern steht, nachdem unser aller Freund und Helfer es nun doch noch vom fernen Kronach zu uns geschafft hat…«
Pytlik wäre dem arroganten Schnösel am liebsten an die Gurgel gesprungen. Franziska lächelte ladylike, drückte seine Hand aber umso heftiger. Reiß dich zusammen! schien das wohl zu bedeuten. Der Hauptkommissar beherrschte sich, grinste ebenso freundlich und nickte ein paarmal in die Runde, wo sich hämisches Lachen und ungestümes Fingerzeigen nach wenigen Sekunden wieder legten. Joseph Ferdinand Kaiser hatte Pytlik nicht einmal angeschaut. Nun fuhr er fort. Nach einigen notwendigen Dankesworten schloss er zügig. Man merkte ihm an, dass dieser Teil des Doppelgeburtstages ihn anwiderte. Seine Gedanken schienen bereits woanders zu sein.
***
Der Hauptkommissar hatte beim Mittagessen in Welitsch den beiden Geburtstagskindern gratuliert, das Essen und die Gesellschaft seiner Lebensgefährtin genossen und anschließend noch die Gelegenheit genutzt, Franziskas Mutter näher kennenzulernen. Er hatte sich dabei sichtlich wohlgefühlt. Franziska schien nicht gerade negativ von ihm berichtet zu haben.
Auch Gerda, Franziskas Schwester und gleichzeitig Ehefrau von Joseph Ferdinand Kaiser, hatte sich nach dem Dessert im »Roten Hirsch« zu ihnen an den Tisch gesellt. Es hatte keinerlei Nachfragen bedurft um zu sehen, dass sie nicht glücklich war. Nicht mit dem Tag, nicht mit ihrer Ehe, nicht mit ihrem Leben. Sie war die Einzige, die der Hauptkommissar bisher schon kannte. Einmal war es sogar so weit gekommen, dass sie an einem Samstagabend bei Pytlik vor der Tür stand und sich bei ihm und Franziska über ihre Situation ausheulte. Nachdem die beiden Kinder nun schon länger aus dem Haus waren, schien sie den Frust über ihre zerrüttete Ehe und die Eskapaden ihres Mannes mehr und mehr im Alkohol zu ertränken. Sie war zwar zwei Jahre jünger als Franziska, die Ähnlichkeit zu ihrer attraktiven Schwester hatte aber bereits deutlich gelitten, die Unzufriedenheit mit ihrer Situation sichtbare Spuren hinterlassen.
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