1 ...8 9 10 12 13 14 ...22 – Glaub mir. Ich erklär es dir.
Teresa bückte sich wieder, aber diesmal schnellte Sabrina zurück, um sich der „zufälligen“ Berührung zu entziehen. Sie war noch nicht so weit.
VI.
Es war zwar schon finster, aber der Sand am Strand von Ostia Ponente war noch warm. Numero Otto kletterte über den Zaun des hintersten konzessionierten Strandbads vor der Mole des Touristenhafens. Er musste sich ein wenig anstrengen. Er stellte die schwere Technisub-Tasche auf den Boden und blickte auf das Peter-Pan-Schild, das in den Farben des Regenbogens leuchtete und in Kursivschrift beschriftet war. Er betrachtete den kleinen Stempel unten rechts: „Comune di Roma. Municipio XIII. Sozialgenossenschaft von öffentlichem Interesse. Staatliche Genehmigung Nr. 24/ 8. Mai 2007, Strandnutzung ausschließlich für Kinder, Minderjährige und Personen mit besonderen Bedürfnissen.“
Behinderte und Kinder! Genossenschaft! Pfui Teufel!
Die Strände waren es wert, um sie zu kämpfen. Der achthundert Meter lange Strand, der im Norden von den Wellenbrechern des Touristenhafens begrenzt wurde, war Gold wert. Gold. Wie übrigens jeder Meter Strand von Ponente bis zu den Gittertoren von Capocotta. Warum sonst zahlte der letzte Trottel in Levante bis zu sechs Millionen Euro für eine dreijährige Konzession? Aber es gab auch einen guten Grund, warum der Strand in Ponente den Bossen von Ponente gehören sollte. Sind wir Herrn im eigenen Haus oder nicht? Es gab sehr wohl einen Grund, sich an den Strand zu ketten wie an einen Schatz.
Einen triftigen.
„Waterfront.“
Waterfront, hatte ihm Samurai eines Tages lächelnd erklärt.
– Ostia wird die Waterfront von Rom sein. Boardwalk Empire. Atlantic City, Italien. Stell es dir vor, versuch es dir vorzustellen. Versuch dich hin und wieder aus der Gosse zu erheben. Zumindest ein paar Zentimeter. Ich weiß, das kannst du nicht, aber versuch es wenigstens. Ich sage nicht, immer. Aber hin und wieder.
– Uoterwas? hatte er wiederholt, er sprach ja kaum Italienisch, geschweige denn Englisch.
Samurai hatte ihn wie immer etwas mitleidig angeblickt, doch sein Mitleid ging schnell in eine angewiderte Grimasse über. Er hatte übersetzt, als wäre er ein Analphabet.
– Kasinos, Hotels, Restaurants, Fitnessclubs, Yachten, Geschäfte. Das bedeutet Waterfront, du Hirnamöbe.
Numero Otto war so nachtragend wie ein Affe. Ein Verrückter, der wegen jeder Kleinigkeit außer sich geriet. Aber aus Respekt hatte er sich zu einem Lächeln gezwungen. Und aus Geldgier. „Zi’, diesmal mache ich dir ein Geschenk“, hatte er im Gefängnis begeistert zu Nino gesagt und wie ein kleiner Papagei das Wort nachgeplappert, das er nicht verstand, uoterfront.
„Ich bau dir eine uoterfront, zì!“
Davor musste der Strand allerdings von Eindringlingen gesäubert werden. Die Kommunisten im Kapitol hatten ja mehr Schaden angerichtet als zehn Fluten. Das Meer gehöre allen – aber ja doch! –, hatten sie gesagt. Und einer Handvoll Pennern sechs Parzellen auf Konzession überlassen. Kooperativen nannten sie es. Was für Kooperativen? Verdammte Kommunistenkooperativen!
Es hatte etwas gedauert, bis das in Ordnung gebracht worden war. Numero Otto hatte den Abgeordneten Pericle Malgradi, der eine unersättliche Koksnase und ein Hurenbock war, gratis beliefert, und der Einsatz hatte sich gelohnt. Er hielt ihn an den Eiern. Die Dinge hatten sich geändert. Die Kommunisten hatten das Feld geräumt, es gab ein neues Gesetz, es besagte, dass die Konzession nur dann verlängert wurde, wenn der Betreiber unter Beweis stellte, dass „er in der Lage war, erfolgreich eine in sozialer Hinsicht wichtige Dienstleistung, nämlich den Badebetrieb am Strand, zu gewährleisten“. Diese Worte waren wie Musik. Vor allem wenn man zwischen den Zeilen zu lesen verstand.
Denn wer war schuld, wenn ein Strandbad abbrannte? Der Betreiber, er war dann nämlich nicht in der Lage, seinen Betrieb „erfolgreich zu führen“. Und wenn dann ein anderer, eine Person guten Willens, etwas Geld in die Hand nahm und unter Beweis stellte, dass sie in der Lage war, den Betrieb „erfolgreich zu führen“, dann war es nur gerecht, dass sie die Konzession erhielt. Das war freie Marktwirtschaft, oder nicht? So stand es im Gesetz. Was die „sozial“ wichtige Dienstleistung, die Kinder und die Behinderten, anbelangte: Eine neue Rutsche, eine Gehhilfe und ein Plastikbassin konnten auch sie aufstellen. Aber dort, wo es ihnen passte. Weit weg vom Strand, wo sie nicht störten. Irgendwo.
Die Buden der Strandbäder waren der Reihe nach abgebrannt. Das war sein Werk, das Werk von Numero Otto. Darin hatte seine Aufgabe bestanden. Eine pro Woche. Immer in der Nacht. Immer mit demselben Benzin und derselben primitiven Zündvorrichtung, die er im Schaltkasten des Strandbads montierte. Der Rest war ganz einfach gewesen. Kabinen, Sonnenschirme, Pavillons waren von der Salzluft ausgetrocknet und brannten wie Zunder. In Sekundenschnelle. Und die Brände waren zu einem begehrten Schauspiel geworden, fast wie die Hundekämpfe, die sie in Garagen veranstalteten. Die Leute kamen aus ganz Rom, um zuzusehen, wie sich die Pitbulls zerfleischten. Gut, es waren auch ein paar Euro im Spiel, aber deshalb kamen die Leute nicht, sie wollten vor allem das Schauspiel genießen.
Er betrachtete die Zeiger der Rolex Oyster Perpetual. Es war bereits nach Mitternacht und er musste sich beeilen. Peter Pan, auf uns beide!
Er schickte ein SMS an Robertino, einen seiner Jungs, den er hinter sich herschleppte, seitdem er ein kleiner Junge war: „Los.“
Während er die Elektroleitungen des Peter-Pan-Strandbades manipulierte, stieg auf der Piazza Lorenzo Gasparri die erste Rakete kerzengerade in die Höhe. Die zweite Rakete, die in Form einer Trauerweide aus grünen, weißen, roten Funken explodierte, beleuchtete den Kanister, während er den Inhalt über die Bude leerte. Einen Augenblick lang betrachtete er das Feuerwerk, das auf den Terrassen der Zinskasernen auf der Piazza Gasparri und der Via Forni, dem Zentrum von Ponente, explodierte. Nuova Ostia, sein Ostia. Es war seine Idee gewesen, denn wie ihm Zio Nino beigebracht hatte, „reichte es nicht, eine Sauerei anzurichten, wenn du etwas gelten willst. Die Leute müssen auch wissen, wer die Sauerei angerichtet hat“.
Peter Pan hatte er sich bis zuletzt aufgehoben. Hierher kamen tatsächlich Kinder, und die Zerstörung war Überstunden wert. Eine zwei Meter lange Rutsche, die aussah wie eine mittelalterliche Burg, Spielzeug, Plastik-Traktoren und -Seepferdchen, Haufen von Eimern und Förmchen, Surfbretter mit Gormiti und Pokémons drauf. Bevor er das Ganze anzündete, musste er noch höchstpersönlich Hand anlegen.
Die Axt lag neben den Feuerlöschern. Funkelnagelneu. Perfekt im Lot, fabriksneu. Ein Griff aus hellem Holz, mit rotem Kopf. Er nahm sie mit der Rechten und hievte sie über die Schulter, auf der Höhe des Ohrs. Dann stürzte er sich auf die Rutsche, kreischte im Falsett, spreizte die Beine wie ein Comicungeheuer.
– Ihr lieben Kinderlein, jetzt kommt Captain Hook! Tick, tack, tick, tack.
In weniger als zehn Minuten hatte er das Traumschloss mit methodischem Furor zerhackt.
– Oh, oh! – track. – Oh, oh – track.
Bei jedem Hieb stieß er grinsend ein Überraschungsmotto aus. Dann kam der Platz mit den Traktoren, den Seepferdchen, den Surfbrettern dran. Schließlich fischte er eine Zigarette aus dem Overall und zündete sie mit dem Zippo aus mattem Metall an, auf dem sich das schwarze Profil des Duce befand. Zuerst die Zigarette. Dann Peter Pan.
Als er über die Uferpromenade ging und die Tasche im Kofferraum des Hummer verstaute, hatten die Benzindämpfe und die Flammen die Bude schon verschlungen. Er ließ den Motor an, während das Feuerwerk am Himmel von Ponente mit einem lila Sprühregen zu Ende ging.
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