– Warten Sie einen Augenblick auf mich, meine Liebe, ich mache mich fertig, dann komme ich gleich zu Ihnen. Ich nehme an, Teresa hat Ihnen gesagt, worum es sich handelt … Justine.
– Ich weiß alles, Professor, Sie können mir vertrauen.
– Vertrauen ist was Ernstes, dozierte der Professor, plötzlich mit finsterem Blick.
Dann erschien auf seinem runzeligen Gesicht plötzlich ein spitzbübisches Lächeln, und er begann zu trällern: „Galbani vuol dire fiduciaaaa, Galbani bedeutet Vertrauen …“
Teresa hatte sie gewarnt: „Er ist ein bisschen seltsam. Er lebt in der Vergangenheit. Er kommt nicht darüber hinweg, dass die Filmleute nichts mehr von ihm wissen wollen. Aber er ist wahnsinnig reich und auf seine Weise freundlich. Wenn du ihn richtig anpackst …“
Wahnsinnig reich. Nun, die Wohnung sah ja vielversprechend aus. Sabrina speicherte die Namen der Künstler, die der Professor genannt hatte, auf dem iPhone. Später würde sie im Internet ihren Marktwert recherchieren. Vielleicht war das Gekritzel ja Millionen Euro wert.
– Da bin ich, meine Liebe. Rufst du bitte ein Taxi?
– Haben Sie nicht etwas vergessen, Professor?
– Ach ja, doch, natürlich, meine Liebe, entschuldige, entschuldige vielmal … wir hatten achthundert vereinbart, nicht wahr?
– Ja, Professor.
– Onkel Mimmo, meine Liebe, für dich bin ich Onkel Mimmo.
Er war Onkel Mimmo, und sie war die Nichte aus der Provinz, die im dritten Jahr Wirtschaft an der Ostiense studierte, sie wohnte vorübergehend bei ihm, bis sie eine Studentenwohnung gefunden hatte. Deshalb trug sie eine keusche Bluse und Jeans, keine Markenjeans, eine rote Jacke mit einer nicht allzu auffälligen Brosche, dezente Schminke und flache Schuhe.
„Keine Schlitze und keine Highheels, kein Pushup, und verstecke deine Tattoos. Erinnere dich: du bist eine Linke.“ So Teresa.
Aber Teresa hatte übertrieben. Als sie die Dachbodenwohnung des Produzenten Eugenio Brown betraten, war der erste Eindruck gar nicht so schrecklich. Männliche Kommunisten in Sakko und Foulard. Einige trugen sogar Merrell-Sneaker und Leinensakkos von Etro. Kommunistinnen, die zwar züchtig gekleidet, aber aufreizend geschminkt waren, und Mädchen in Miniröcken, die sexy Unterwäsche sehen ließen und Stilettos trugen. Manche von ihnen hätte sich auch auf einer Party von Malgradis Freunden sehen lassen können, andere wiederum hätten dem Blick der Türsteher nicht standgehalten. Hätte sie sich angezogen wie immer, provokant und nuttenhaft, wie es ihr zur zweiten Haut geworden war, hätte sie wenigstens nicht den Eindruck erweckt, eine fade, unbedeutende Hure zu sein.
Die perfekte Nichte vom Land.
Der Professor stellte sie ein paar Leuten vor. Alle begrüßten sie höflich, aber kalt, und es gab auch spöttische Blicke. Jaja, die Nichte, sagten die Blicke. Schon recht, Herr Professor! Deine große Zeit ist vorbei, aber du gehörst noch immer zu uns, deshalb verzeihen wir dir deine kleinen Altersmarotten. Aber du hättest dir eine bessere Nichte aussuchen können.
Nach der ersten Begrüßungsrunde ließ sich der Professor auf einen Stuhl fallen, den „der arme Sottsass ’73 entworfen hat“ („Sossas, Stuhl ’73“ notierte Sabrina eifrig auf ihrem iPhone) und begann die üblichen Geschichten zu erzählen. Vier oder fünf arme Schweine hörten ihm zu, mit echter Begeisterung. Oder vielleicht taten sie auch nur so: aus Mitleid oder sonst einem Grund. Sabrina setzte sich neben Onkel Mimmo, lachte, wenn die anderen lachten, und ließ es geschehen, dass der Alte ihr zerstreut den Schenkel streichelte, wenn er sich unbeobachtet wähnte. Achthundert immerhin, aber diese Langeweile! Natürlich ging die Party woanders ab. Vielleicht auf der Terrasse, die auf die Piazza Vittorio blickte. Mitten auf dem Esquilin, wohin Sabrina freiwillig nie einen Fuß gesetzt hätte, denn hier wohnten die Einwanderer, die Arschlöcher. Der Professor und seine Freunde hielten das Viertel jedoch für „entzückend, und unwiderstehlich, so lebendig und vital, das wahre multikulturelle Rom …“
Wie bitte? Hier bekam man ja keinen einzigen Italiener zu Gesicht, nur Chinesen …
Schließlich verkündete der Professor, er müsse mal schnell auf die Toilette. Sabrina nützte die Gelegenheit und schlüpfte auf die Terrasse. Es war eine helle Nacht Ende Juni, aber sie hatte etwas anderes im Sinn. Der Professor war nur eine Fahrkarte in die Welt der Linken, aber lieber eine Ohrfeige als noch so ein fader Abend, also tu was, Sabrì.
Sie ging zwischen den Grüppchen herum, näherte sich den Tischen. Überall wurde geredet, geredet, geredet. Die Menschen redeten mit einer Leidenschaft und einer Hingabe, als hinge die Zukunft der Welt von ihnen ab.
– Wir müssen uns zu regionalen Produkten bekennen. Unbedingt.
– Ich gebe dir recht. Ich trinke nur noch Biowein. Keinen Schwefel mehr. Der ist ein Fluch. Hast du eine Ahnung, wieviel Dreck man heutzutage legal in eine Flasche Wein kippen kann? Bis zu achtzig verschiedene Stoffe, hast du das gewusst?
– Ich habe eine Katze adoptiert. Die Arme hat eine Woche lang vor meiner Tür miaut. Die Impfungen, der Tierarzt und die Kastration haben mich nur vierhundert Euro gekostet.
– Vierhundert Euro? Soviel hat auch Luisa dafür verlangt, dass sie meine Zimmerpalme ins Institut für Phytotherapie gebracht hat. Angeblich, um sie zu behandeln.
– Und, wie ist es gelaufen?
– Nach einem halben Jahr war sie tot.
Wohin hatte sie die Zimmerpalme gebracht, zu einer Masseurin? War sie krank?, dachte Sabrina.
Ein Glatzkopf, der aussah wie die Rausschmeißer bei Malgradis Partys, biss in ein Pfefferoni-Tarantallo, seufzte und sagte: – Ich lese gerade Roths Amerikanisches Idyll. Ein Meisterwerk.
– So was würdest du auch gerne schreiben, was?
– Ich würde zehn Jahre meines Lebens dafür geben.
– Und wer sollte es dir abkaufen?
– Garrone will offenbar einen Film über den Fotografen Corona drehen …
– Die Nachricht stammt von Findus, meine Liebe. Matteo wohnt unter uns. Er hat lange darüber nachgedacht, dann hat er es bleiben lassen.
– Umso besser. Offensichtlich ist Corona sogar ihm zuwider.
– Corona ist der Inbegriff des Fernsehens, des Bunga-bunga, des ganzen Scheißdrecks, des reinen Schreckens, und der Schrecken lässt sich nicht darstellen. Nicht einmal Fellini ist das seinerzeit gelungen.
– Das Schrecklichste ist, dass das Ganze offenbar nie zu Ende geht.
– Das ist auch unsere Schuld, meine Liebe. Wir sind zu sanftmütig. Wir leisten schon lange keine Opposition mehr.
Ein kleiner, fetter, bärtiger Mann hielt eine Predigt über Politik.
Sabrina hätte am liebsten gegähnt. Sie verging vor Langeweile.
Die Kommunistenarschlöcher redeten nur wirres Zeug, und selbst wenn sie etwas Verständliches sagten, taten sie es auf eine Weise … als ob ausschließlich sie es verstehen sollten. Der Rest der Welt konnte scheißen gehen! Außerdem machte keiner der Typen, zu denen sie hinging, Anstalten, sie einzubeziehen.
Teresa hatte sie ja gewarnt.
Teresa hatte in diesem Punkt keinen Zweifel gelassen
„Das ist ein geschlossener Zirkel. Lauter Genossen, wenn du mich verstehst. Es ist sehr schwierig, da reinzukommen. Ein falsches Wort und sie werfen dich raus!“
Genau diesen Eindruck hatte sie auch. Ein geschlossener Zirkel. Sabrina stellte fest, dass sie die vulgäre Ausgelassenheit von Malgradis Partys vermisste. Dort, in der viagrageschwängerten Atmosphäre, hatte sie sich nie fehl am Platz gefühlt. Die geilen Böcke waren freundlich, herzlich, beschützend. Sicher, bei der erstbesten Gelegenheit gaben sie einem den Laufpass und auf Wiedersehen. Aber immerhin war sie mit ihrer Hilfe das geworden, was sie jetzt war. Ohne sie fühlte sie sich verloren.
Aber was ist eigentlich aus dir geworden, Sabrí? Du hältst einem alten Tattergreis für achthundert Euro das Händchen!
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