Das Off-Shore, das Reich von Numero Otto, war nicht weit entfernt. Es befand sich genau auf dem Strand von Coccia di Morto. Tausend Quadratmeter Holz und Glas, aus dem man aufs Meer blickte. Ein Vorgeschmack auf die uoterfront in Ostia. Numero Otto hatte den Namen Off-Shore gewählt, um Samurai zu ärgern, der sagte, er sei dumm wie die Nacht. Eine vierhundert Meter lange Bar, die gemeinsam mit einer Theke eine Art Liktorenbündel bildete. Ein Fitnesscenter mit fünf Laufbändern, die auf den Strand blickten, ein Boxring und so viele Gewichte, dass ein olympisches Team hier hätte trainieren können. Das Lager, wo der Alkohol und die Schießeisen für den Notfall aufbewahrt wurden, war mit zwei Panzertüren mit Nummernkombination versperrt, und in einem Winkel daneben befand sich sogar ein Tattoo-studio, Er Geko, mit Liegen, die mit Wassermatratzen bestückt waren. Und natürlich hatte er auch drei Darkrooms eingerichtet, die aussahen wie drei Schlafzimmer à la Scarface: Conchiglia, Amaca, la Giostra.
Das Juwel hatte eine Kleinigkeit gekostet. Aber nicht an Baustoffen und Arbeitskräften, für ihn arbeiteten die Leute ja gratis. Sondern an Schmiere für einen General der Rathauspolizei. Eine Sau. Ein Piranha. Hunderttausend sofort in Zehnerscheinen. Eine Rumänin für den achtzehnten Geburtstag seines Sohnes, und ein Schlauchboot für den Sommer im Canale dei Pescatori, mit zwei Yamaha-Motoren zu je zweihundertfünfzig PS.
Aber die Bewilligungen waren wenigstens in Ordnung.
Inzwischen war es drei Uhr morgens, und das Off-Shore war gerammelt voll. Numero Otto stank nach Holz, verbranntem Plastik und Schweiß. Er drückte Albin, dem rumänischen Parkplatzwächter, die Autoschlüssel in die Hand, der rollte sich gerade einen riesengroßen Joint.
– Wenn er staubig wird, reiß ich dir den Arsch auf.
Er betrat die Conchiglia. Morgana beugte sich gerade über den Glastisch vor dem muschelförmigen Bett und sniefte. Die Kleine hatte einen großartigen Arsch. Klein und knackig. Sie war zwanzig Jahre alt und die einzige Frau aus Ponente, die er in seiner Bande aufgenommen hatte. Aber nicht nur, weil er sie fickte.
Auf der Straße war sie nämlich böse wie eine Hexe, und im Bett gefügig wie eine Geisha. Lachend steckte er ihr einen Finger zwischen die Hinterbacken und leckte mit der Zunge ihr Ohr aus.
– Ich will mich entspannen. Aber später. Ich dusche mich und dann sehen wir uns drüben. Wer ist da?
– Nahezu alle. Sogar Rocco.
– Anacleti?
– Ja, er ist gemeinsam mit Spartaco, der Ratte, gekommen.
– Dem Journalisten?
– Ja, Liberati. Er hat gesagt, er wolle sich wieder mal sehen lassen.
– Wahrscheinlich braucht er Geld, der Erpresser.
Morgana ging hinaus. Er nahm rasch eine Dusche, seifte sich lange Hals und Brust ein, wo zwischen den Haaren ein Jokergesicht hervorlugte. Er zog ein weißes Hemd an, zog zwei Straßen und ging zur Bar.
Rocco Anacleti, der Boss der Zigeuner von Roma Est und Chef von Spadino, kam ihm entgegen und umarmte ihn, bahnte sich mühsam einen Weg durch einen Schwarm von zugekoksten Mädchen, Anwälten, Ärzten und ein paar runderneuerten Vorstadtwichsern aus Fiumicino. Er trug ein rosa Hemd und eine Pluderhose aus weißem Leinen, in der er fetter und kleiner aussah, als er wirklich war. Die Umarmung wirkte echt. Über Spadino wusste er natürlich nichts. Aber wirklich nichts.
– Okay?
– Alles okay.
– Ich warte schon seit einer Ewigkeit auf dich.
– Ich habe jede Menge zu tun. Ich weiß nicht, um wen ich mich zuerst kümmern soll.
– Du sagst es. Cinecittà ist ein Affentheater geworden. Zu viele Leute, die sich wichtig machen. Auch die Kaffer glauben, sie könnten tun, was sie wollen. Unglaublich.
– Ja, es laufen zu viele Idioten herum.
– Übrigens … hast du Spadino gesehen?
Numero Otto fiel aus allen Wolken.
– Ich? Nein, warum?
Rocco sah ihn scheel an.
– Er sagte, er wolle dich treffen.
Numero Otto vernahm plötzlich ein unangenehmes Hintergrundgeräusch.
– Mich? Und wann?
– Tja, ich glaube, gestern. Er ist nämlich verschwunden. Angeblich haben sie in der Pineta eine verkohlte Leiche gefunden.
– Ja, hab ich gehört … aber was hat Spadino damit zu tun?
– Die verkohlte Leiche saß in einem Smart. Und Spadino hatte einen Smart.
– Was soll ich dir sagen? Ich hör mich um. Ach, wie ich sehe, hast du Spartaco mitgenommen.
– Rate mal, was er braucht.
– Was braucht er wohl? Kohle, oder?
Spartaco lehnte an der Bar und trank einen Mojito – den er sicher geschnorrt hatte, dachte Numero Otto –, schwenkte die Arme und umarmte ihn, ein echter Judas. Er war ein Ex-Kamerad um die fünfundfünfzig, ein ehemaliger Meister im Kickboxen, seine Karriere war allerdings früh und unehrenhaft zu Ende gegangen. Er war aus dem Verein ausgeschlossen worden, weil er einen Gegner ins Koma geprügelt hatte. Er hatte ihm den Schädel eingetreten, als er schon am Boden lag. Dann hatte er bei einem Radiosender angeheuert, deshalb war er für alle Spartaco, der Journalist. Die Stimme von Radio Fm 922, „der Marsch auf Rom, dimme te …“
Ein Journalist. Ach ja. Eine Marionette dessen, der ihn bezahlte. Samurais Schoßhund, er hatte ihn schon als kleiner Junge kennengelernt, als es Krieg mit den Kommunisten gab. Geld, Geld. Das war das einzige Wort, das er verstand. Das einzige, was er wollte. Genau deshalb war er da.
– Das Off-Shore ist großartig. Wird immer schöner, sagte er.
– Spartaco, ich hab keine Zeit. Sag mir, was du brauchst.
– Meine Sponsoren lassen mich ein wenig im Stich. Gib mir zehntausend und ich mache einen Monat lang Werbung für das Off-Shore. Du könntest ja ein paar Liveinterviews geben, oder?
– Tausend. Dann verschwindest du.
– Du bist ein echter Freund.
Er antwortete nicht mal. Er packte Morgana am Handgelenk und zerrte sie von einem Typen weg, der sie seit einer Weile ansabberte.
– Jetzt passt es mir.
VII.
– Ich bin Teresas Freundin.
– Ach, Teresa, Teresa, bist es du, Teresa? Kommen Sie, setzen Sie sich, bleiben Sie nicht an der Tür stehen. Sie sind …
– Justine.
– Die Justine des Göttlichen Marquis oder das kleine jüdische Mädel aus dem Alexandria-Quartett? Ach, ist ja egal. Kommen Sie, kommen Sie, meine Liebe.
Der Professor war seinerzeit berühmt gewesen, sehr berühmt. So berühmt, dass sogar Sabrina von ihm gehört hatte. Ausgerechnet ein paar Tage vor ihrem Treffen hatte sie auf Sky einen alten Film gesehen, der nach der Vorlage eines seiner Bestseller gedreht worden war. Der Professor spielte darin sich selbst. Einen zerstreuten Intellektuellen, halb Philosoph und halb Komiker, der das Publikum zum Lachen brachte ob des Elends und der Widersprüche des Lebens.
Wie alt er doch geworden ist!, dachte Sabrina, als er sie in seiner großen Wohnung an der Nomentana empfing. Der graumelierte Fünfzigjährige mit den tiefliegenden blauen Augen hatte sich in einen gebeugten Tattergreis verwandelt, der sich bei jedem zweiten Schritt auf ein Möbelstück stützen musste, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Von den Wänden blinzelten spöttisch die gerahmten Bilder, auf denen der Professor auf dem Höhepunkt seines Erfolgs zu sehen war. Sie folgte ihm über einen Gang, der in ein großes Wohnzimmer und dann auf eine riesige Terrasse führte, an den Wänden befanden sich merkwürdig geformte Regale mit säuberlich aufgereihten Büchern. Unverständliche Bilder und unheimliche Skulpturen.
– Pascali … Bacon … Tano Festa …
Der Professor sagte eine Reihe von Namen auf, die Sabrina nicht kannte. Er beschrieb seine Schätze in müdem, resigniertem, leicht spöttischem Tonfall. Als wollte er sagen: Was verschwende ich meine Zeit mir dir, du bis ja doch dumm wie Stroh.
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