»Aber Mr. MacMahon, wenn ich das so sagen darf, dann trennen einen Mann wie Sie und die Art Mann, zu der Nolan dann wurde, doch Welten.«
»Wurde?« wiederholte MacMahon. »Ich frage mich, Mr. Prentiss, was für eine Art Mann Sie wohl würden, wenn Sie sieben Jahre im Gefängnis von Portland verbrächten. In der Illustrated London News war einmal eine Zeichnung davon. Das Gefängnis war nur von außen zu sehen, ein graues, schreckliches Steingebäude, dahinter Felsen und ein kahler Strand. Die Unterschrift besagte, daß dieses Gefängnis Englands hartnäckigsten Verbrechern vorbehalten sei.«
»Ich weiß«, sagte Prentiss. »Ich habe gelesen, wie die inhaftierten Fenier behandelt worden sind. Es ist schwer zu akzeptieren. Natürlich war er das, vom englischen Standpunkt aus. Ein englischer Verbrecher.«
»Von seinem Standpunkt aus«, erwiderte MacMahon, »war er kein Engländer. Und was die Hartnäckigkeit betrifft, es war eine gute Schule, um hart zu werden. Er kam hart wie die Steine der Gefängnismauern wieder heraus. An solchen Orten wird an den Menschen ein fürchterliches Verbrechen begangen. Was in den Straßen von Kilpeder und in Clonbrony Wood geschah, geschah im Freien, unter dem Himmel, wo es von Gott und den Menschen gleichermaßen beurteilt werden konnte.«
»Vor Portland war er also anders?« fragte Prentiss. »Wissen Sie, das ist für alle, mit denen ich über Clonbrony gesprochen habe, der springende Punkt. Clonbrony ist das eine Ereignis des Aufstandes, von dem jeder gehört hat – es könnte als kühne Aktion bezeichnet werden; Sie waren alle erstaunlich tapfer, wissen Sie, wenn wir bedenken, wie gering Ihre Chancen waren. Und im Mittelpunkt allen Geschehens steht Ned Nolan, und was er wurde, und wie er endete.«
Nach einer Pause erhob MacMahon sich, ohne zu antworten, und ging zu einem der Fenster. Als er sich umdrehte, lächelte er.
»Vor einigen Jahren«, sagte er, »wimmelte es in Munster plötzlich von patriotischen Statuen. Die meisten waren das Werk eines Steinmetzen namens Bracken, aus Templemore, drüben in Tipperary. Ein großer Liebhaber von Hurling und der Wiederbelebung unserer Sprache und allem anderen, und inzwischen machte er Tonnen von St. Brigid-Statuen für die Kirchen und rebellische Pikenträger für die Marktplätze. Natürlich mußte auch Kilpeder sein 67er Denkmal haben, um den alten Obelisken zu neutralisieren, der unsere sklavische Ergebenheit gegenüber Lord Ardmor erklärt. Aber was für ein Denkmal, um Gottes willen? Ganz Irland kannte die traurige Geschichte vom düsteren Clonbrony Wood und unserer Schlacht gegen Englands Macht. Aber wußte ganz Irland auch, daß Bob Delaney, der Vizekommandeur von Clonbrony, seine letzten Jahre hier verbrachte, ein gebrochener Mann, ohne Freunde, außer mir und einem Stallburschen und einigen Farmern, die sich daran erinnerten, was er in den alten Tagen für sie getan hatte, und die ihm das Aufsetzen ihres Testamentes anvertrauten?«
Bei dieser Erinnerung wurde MacMahons Lächeln zu einem tiefen Lachen, und einen Moment lang glaubte Prentiss, dieses Lachen gälte ihm, wie er aufmerksam dasaß, verwirrt nicht von MacMahons Worten, sondern von seinem Tonfall.
Aus einem Eckschrank nahm MacMahon eine Flasche und Kristallgläser und sprach weiter, während er Prentiss den Rücken kehrte.
»Am Ende trank Bob etwas mehr, als gut für ihn war, und wer hätte ihm da Vorwürfe machen können, wo er doch jeden Nachmittag in seiner Anwaltspraxis verbrachte, die nur von wenigen besucht wurde, als ob er sich durch einen Eid dazu verpflichtet hätte? Ich weiß genau, daß er dort eine Flasche hatte, er hat sie oft genug hervorgeholt, wenn ich aus der Schule herüberkam, um ihn zum Tee einzuladen. Mehr, als gut für ihn war, aber nie zuviel. Seine Hand war immer ruhig, und er kleidete sich immer noch so wie in den Tagen seines großen Aufstiegs, einen gutgeschnittenen Anzug und glattgebügelte, saubere Wäsche. Aber ich bin sicher, daß er allein getrunken hat, und das tut niemandem gut. Dort saß er an Winternachmittagen, wenn das Sonnenlicht versickerte, mit allem, was ihm an Erinnerungen im Kopf herumging.«
MacMahon verließ das Zimmer, um einen Krug mit Wasser zu füllen, und aus der geringen Entfernung konnte Prentiss das Quietschen der Pumpe hören, und MacMahons munteres Lachen, zweifellos, weil er im Stillen Formulierungen einübte. Wo er doch allein lebte, dachte Prentiss, mit seiner Liebe zu den Worten, polierte er seine Geschichten bestimmt, und wenn keine Zuhörer da waren vielleicht, indem er sie laut erzählte. Als MacMahon zurückkehrte, stellte er Gläser und einen Steingutkrug zwischen die Teetassen und schenkte ein sorgfältig abgemessenes Quantum Whiskey ein.
»Bitte sehr«, sagte er, »und einen Tropfen Wasser, um ihn zu taufen. Jedenfalls, auf dem Höhepunkt der Diskussion über das 67er Denkmal erschien er bei Conefry, was er nur selten tat. Damals war Conefry ein bitterer Anti-Parnellit, obwohl er in letzter Zeit davon abgekommen ist. Leben und leben lassen – die Bibel des Gastwirtes. ›Ich habe mir meine Gedanken gemacht‹, sagte er, ›über die derzeit brennende Frage.‹ Dann ging er ins Séparée und bestellte sich einen großen Brandy. ›Und diese Frage scheint mir leicht zu klären. Wir brauchen schlichte Formen, schlicht und keusch, was die große Stärke von Mr. Brackens Kunst ist.‹ Was nicht stimmte; er war berüchtigt für seine Schnörkel und seine verschlungenen Kleeblätter. ›Und darauf kommt eine Statue von Vincent Tully. Unter allen Männern von Clonbrony war Vincent der mit dem richtigen Aussehen, er sah aus wie ein Held.‹ Was, nebenbei gesagt, alles andere als die Wahrheit war. Der arme Vincent war der angenehmste Gesellschafter, den es je gegeben hat, und die Damen fanden ihn unwiderstehlich, aber wie ein Held sah er nicht aus. ›Und Tully und Sohn können die Kosten übernehmern, fügte Bob hinzu.«
MacMahon prostete Prentiss zu, allerdings geistesabwesend, auf seine Erzählung konzentriert.
»Bob hatte eine scharfe Zunge, vor allem in diesen letzten Jahren. Ich kann mir das Schweigen, das er im Séparée hinterließ, gut vorstellen, und danach kam er in die Chapel Street, um mir davon zu erzählen. Wir beide wußten, wessen Name niemals auf dem Denkmal erscheinen würde. Am Ende ist es nie errichtet worden. Das ist besser so. Das Lied ist sein Denkmal.«
Der vom Wasser weicher gemachte Whiskey prickelte auf Prentiss’ Zunge, er hatte den Geschmack des milden Morgens. Die Anekdote, vermutete er, hatte ihre Pointe, aber bis auf weiteres konnte er sie nicht entdecken. Er sah MacMahon als Genießer solcher Geschichten, abgerundet und aphoristisch.
»Aber Nolan«, sagte er hartnäckig. »Sie hatten doch Achtung vor ihm, wie er damals war. Sie alle sind ihm gefolgt.«
»Wir hatten Vertrauen zu ihm«, erwiderte MacMahon. »Und war das nicht auch richtig von uns? Er hat uns zum festgesetzten Tag und zur festgesetzten Stunde angeführt, als in fünfzig Städten überall in Irland die Führer zögerten. Aber im ganzen Monat, den er bei uns war, unter meinem Dach schlief und mit uns aß, hatte ich nie das Gefühl, ihn zu kennen. Bob war sein engster Freund, und das war seltsam. Vorher, jahrelang, waren Bob und Vincent und ich befreundet gewesen. Aber nun gab es ihn und Bob. Ich habe nie zwei Männer gesehen, die so begeistert voneinander waren.«
»Sie waren entschlossene Männer«, sagte Prentiss. »Wenn wir von ihrem späteren Leben ausgehen.«
MacMahon hielt sein Glas mit beiden Händen. Er blickte in seinen Whiskey, dann hob er die Augen zu Prentiss und lächelte.
»Das waren sie, Mr. Prentiss. Von großer Charakterstärke.«
Sie sprachen, bis Mittag längst vorbei war und MacMahon Prentiss mit einer Grimasse versprach, jeden Tag zu Hause zu sein und sich über ein Gespräch zu freuen. Inzwischen hatte jeder drei Glas Whiskey getrunken, und Prentiss hatte ein viertes abgelehnt. Er fühlte sich in der Sommersonne etwas leicht im Kopf, MacMahon war jedoch noch so gelassen wie beim ersten Whiskey, ein kühler, offener Mann mit guten Manieren, wie es Prentiss erschien, den guten Manieren eines Provinzlers, der sich in seiner Provinz wohl fühlt. Sonnenlicht vergoldete jetzt die Bücher, fiel auf Steifleinen und Leder, auf sonnenverblichene Buchstaben. Ein Dozent, der einem bevorzugten Studenten guten Nachmittag wünscht, so begleitete MacMahon ihn ans Gartentor.
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