»Kommt gut durch die Berge«, sagte sie. »Ihr seid brave Burschen, ihr beide.«
»Jerry wird zu Ihnen zurückkommen«, sagte Bob und legte die Hand an seinen Hut. »Haben Sie keine Angst.«
»So Gott will«, sagte sie. »Und Gott möge euch schützen.«
Jerry kam tatsächlich zu ihr zurück, wenn auch nur für eine Woche. Dann wurde er von der Polizei geholt, in Tralee vor Gerieht gestellt und ins Millbank-Gefängnis in England geschickt, wo er zwei Jahre absitzen mußte. Als er entlassen wurde, war sein Mietstall längst bankrott, denn der Landadel von Killarney und die respektablen Geschäftsleute wollten nichts mit einer Fenier-Familie zu tun haben. Die Finger seiner rechten Hand waren verkrümmt und verknotet, manche sagen, von seiner Arbeit im Gefängnis, während andere behaupten, der Knüppel eines Wärters habe sie zerschmettert.
Wir hatten einen stillen Ritt zurück nach Hause, denn wir waren beide nicht in Konversationslaune. Mehrmals fragte ich Bob, was er von dem, was wir gehört und nicht gehört hatten, hielte, aber er wollte nicht antworten. Dann jedoch, als wir an der Flesk entlangritten, zog er die Zügel an und betrachtete den rasch dahinfließenden silbrigen Bach. »Wie Reilly uns so richtig gefragt hat, Hughie, wo zum Henker sind die verdammten Gewehre?«
»Er hat die Falschen gefragt«, antwortete ich.
»Nicht wahr?« meinte Bob zustimmend. »Er sollte diese Frage Dublin und New York und Manchester stellen.«
Er hätte genauso gut Wien oder Timbuktu sagen können, für mich waren all diese Orte weit entfernte Punkte auf der Weltkarte im Klassenzimmer. Doch dort saß Bob, ein Ladengehilfe, rittlings auf einem geliehenen Pferd und teilte die Wörter aus wie Karten aus einem abgegriffenen Spiel.
»6. März«, sagte er, »der festgesetzte Tag, und um das zu erfahren, mußten wir bis nach Kerry reiten. Verdammte Yanks.« Dann berührte er die Flanke des Pferdes mit seiner Ferse.
Diesmal sahen wir patrouillierende Soldaten, insgesamt sechs, zu Pferde. Sie ritten über einen Kamm zu unserer Rechten, etwa eine Meile von uns entfernt, einer hinter dem anderen, während die Mittagssonne ihre scharlachroten Röcke beschien. Wir ritten in unserem gemütlichen Tempo weiter und hatten doch Angst, sie könnten jeden Moment über uns hereinbrechen. Doch obwohl sie uns so gut sehen konnten wie wir sie, kamen sie uns nicht näher, und so ritten wir eine halbe Stunde lang nebeneinander.
»Sie werden zu Tausenden geprägt«, sagte Bob, »wie die winzigen Grenadiere und die Kavallerie, die du in den Schaufenstern der Spielzeugläden von Cork City sehen kannst.«
An diesen Burschen war jedoch nichts Winziges. Die Soldaten, die durch die Straßen von Killarney geschlendert waren, hatten ein beeindruckendes Zeugnis abgelegt vom physischen Standard, der in den Regimentern Ihrer Majestät gepflegt wird, und diese sechs Dragoner hatten etwas Heraldisches, als sie sich als Silhouetten vor dem Bergkamm abhoben.
Aus Killarney zurück in unser eigenes Kilpeder zu kommen war, an diesem Tag zumindest, wie der Übertritt aus einer Welt in eine andere. Die Schläfrigkeit der Stadt, die wir so oft in unserem jugendlichen Temperament und unserer Ungeduld verflucht hatten, erschien uns nun als Segen. Ein Farmer kam uns mit Esel und Karren entgegen und berührte seinen formlosen schwarzen Hut mit der Hand, als er den Schulmeister erkannte, oder vielleicht eine erhabenere Persönlichkeit, Dennis Tullys Gehilfen. Er war alt, hatte ein Gesicht wie ein verschrumpelter Apfel und war im alten Stil angezogen, mit Kniehosen und langen Wollstrümpfen. Wir ritten an Saint Jarlath und dem Pfarrhaus vorbei, dann an meinem Haus und der Schule. Bei der Wache war nichts von Sergeant Honan zu sehen, Constable Belton jedoch stand am Tor und plauderte mit zwei Kollegen, und alle drei wirkten völlig entspannt. Kräftige Bauernburschen in zu engen Uniformen, absolut nicht bedrohlich, anders als die rotröckigen Soldaten auf dem Kamm oberhalb der Flesk.
Als wir die Wache jedoch passiert hatten, beugte Bob sich zu mir herüber und sagte: »Die beiden gehören nicht zu Honans Männern. Sie kommen von draußen.« Ich blickte mich zu ihnen um, so unauffällig, wie es mir überhaupt möglich war, und auch ich konnte keinen der beiden erkennen. »Diese Irren in Kerry!« sagte ich. »Ihretwegen ist die Wache in Kilpeder verstärkt worden.«
»Irgend etwas ist jedenfalls schuld dran«, sagte Bob und rieb sich den Mund mit dem Handrücken.
»Was soll denn sonst der Grund sein?« fragte ich. »Bisher herrschte hier ein angenehmes Gleichgewicht zwischen uns und den Peelern. Jetzt ist es zerstört.«
Bob ließ seine Faust sinken und lächelte mich an, und wir ritten langsam über den Marktplatz zum Stall.
Und ebenso langsam schlenderten wir zurück zu meinem Haus in der Chapel Street. Die Steinfalken der Ardmorschen Tore hatten ihre blicklosen Augen auf uns gerichtet. Die Stadt wirkte jetzt etwas weniger freundlich, und das Schlimmste von allem war mein Gefühl, daß Bob und ich, und nicht die Polizisten, hier das mißtönende Element waren.
Es war ein Gefühl, das immer stärker wurde, als wir das Haus betraten, Ned war in der Küche gewesen, aber unsere Schritte riefen ihn sofort herbei. Einen Moment lang schien er der Hausvater zu sein und Bob und ich die Besucher. Das Feuer im Wohnzimmer war erloschen, und die Luft war kalt. Ned trug den schwarzen Anzug, der ihm fast als Uniform diente, und hatte eins meiner Halstücher umgebunden. Seine glatten Haare waren ungekämmt, und ihretwegen und wegen seiner langen Wangen und hohen Wangenknochen sah er mehr denn je aus wie ein Indianer aus den amerikanischen Ebenen.
»Kilpeder ist sprunghaft angewachsen«, sagte Bob ohne Vorrede. »Hugh und ich können die Stadt offenbar nicht eine Nacht lang unbeaufsichtigt lassen.«
»Fünfzehn«, erwiderte Ned. »Berittene Polizei. Sie sind gestern nachmittag gekommen, in ihren Umhängen, die Karabiner über die Schultern gehängt. Sie haben einen eigenen Sergeant, aber ein Inspektor war auch dabei, um sie Honan zu übergeben.«
»Die Armee selber steht in Kerry«, erzählte Bob. »Sie sind von Limerick Junction aus nach Süden gegangen.«
»Wir haben Glück, daß sie nicht auch hier sind«, sagte Ned. »Sondern nur Peeler.«
»Nur Peeler«, wiederholte Bob mit trügerischer Sanftheit.
»Wir haben wirklich genug zu tun«, sagte Ned. »Von jetzt bis zum festgesetzten Tag.«
»Bis zum Sechsten, meinst du«, sagte Bob in demselben lässigen Tonfall, und Ned starrte ihn einen Moment lang wütend an, dann lächelte er.
»Ja«, erwiderte er. »Bis zum Sechsten. Bis zur Nacht des Fünften, um ganz korrekt zu sein. Aber wir greifen am Sechsten an, nach der Dämmerung. Sie reden wohl sehr gern, da unten in Kerry.«
»Das ist ihnen schon immer nachgesagt worden«, sagte ich.
»Wir haben das Datum nicht von jemandem aus Kerry erfahren«, erklärte Bob, »sondern von einem Yank wie dir. Einem Mann namens Reilly. O’Connor versteckt sich in Iveragh, und seine Männer sind versprengt.«
Ned nickte, lehnte sich dann an den Bücherschrank, umfaßte seine Ellbogen mit den Händen und hörte zu, lauschte Bobs Bericht über alles, was wir in Killarney erfahren hatten. Besser gesagt, was Bob erfahren hatte, denn es überraschte mich, wie aufmerksam er gewesen war; er hatte sich die Abzeichen verschiedener Regimenter gemerkt und wußte noch genau, was wir gesehen und gehört hatten. Die Einrichtung des Zimmers, sicher und behaglich, schien seine Worte zu tadeln, als ob er Soldaten und Pferde durch die enge Tür hereingebeten hätte.
»Aber weder Reilly noch Timoney wissen, warum er seine Leute auseinandergejagt hat«, sagte Bob. »Und die Patrouillen ziehen sich bis hin zu den Derrynasaggarts. Wir sind an einer vorbeigekommen, aber sie haben uns nicht aufgehalten.«
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