»Aber genau das ist doch passiert, Dennis, nicht wahr?« Bob hatte seine Lautstärke kein bißchen verändert, und doch wirkte der Raum jetzt noch stiller. Nur das sanfte sss-sss des Tabakliebhabers und seines Kameraden brach die Stille. »Die Erde von Kerry scheint sich doch geöffnet zu haben. Zwei Jungen aus Cahirciveen halten sich jetzt bei einem Vetter in Kilpeder auf, junge Brüder namens Egan, und ich habe mit ihnen gesprochen, ich und ein gewisser Freund von uns.«
Dennis sagte nichts. Seine Hand mit dem Bartuch lag bewegungslos auf dem Eichentresen.
Ich berührte den Rand meines Glases. »Laß uns die andere Hälfte probieren, Dennis«, sagte ich.
Bob blickte zu den beiden Alten hinüber, dann betrachtete er einen Druck, der an einer Wand hing, Robert Emmet vor Gericht, in seiner grün-weißen Uniform, die Hand erhoben, während er seine Rede hielt. Während sein Blick immer noch nachlässig auf dem Druck ruhte, fragte Bob: »In was für einen verdammten Wahnsinn sind die Fenier von Kerry denn da geraten?«
»Dennis«, sagte ich, weniger vom Durst getrieben als von einem menschlichen Wunsch, die Spannung zu verringern. »Die andere Hälfte, und gieß dir auch selber einen ein, wo du schon mal dabei bist.«
Aber das tat er nicht. Er schenkte zwei Whiskey ein und schob den Krug mit dem Wasser dichter an meine Hand. Ich fand unter den Münzen in meiner Tasche einen Schilling und legte ihn neben den Krug, wo er unbeachtet liegen blieb.
»Diese Frage solltest du meinem Vater stellen, nicht mir.«
Sie waren gleich stark gewesen, Martin Timoney und Bob Delaney, die Ortskommandeure für Kilpeder und Killarney, ehe die amerikanischen Offiziere eingetroffen waren.
»Ja«, sagte Bob. Er hob den Krug hoch und goß Wasser in sein Glas, bis das tiefe Braun des Whiskey zu schwachem Gold erweicht worden war.
Er wartete, bis Dennis den Raum verlassen hatte, dann hob er sein Glas.
»Die Timoneys sind nicht unterwegs in den Hügeln von Iveragh«, sagte er. »Was Vorsicht angeht, sind die Gastwirte von Munster doch nicht zu übertreffen.«
»Um Himmels willen, Bob«, widersprach ich. »Martin Timoney ist ein Krüppel, der an zwei Stöcken geht. Und er ist doch mindestens fünfzig.«
»Dennis ist rege genug«, meinte Bob. »Weich, aber flink, wie eine getigerte Katze.« Er erledigte seinen Whiskey in zwei Zügen und stellte sein Glas schwungvoll auf den Tresen.
Ohne mir etwas anmerken zu lassen, das dachte ich wenigstens, musterte ich Bob im sorgfältig geputzten Spiegel hinter der Theke. Ich war im Irrtum gewesen, ihn wegen seiner Ruhe zu beneiden. Sein eckiges, intelligentes Gesicht war ruhig genug, seine Wangen und seine gleichmütigen blauen Augen zeigten keine Nervosität, und sein Benehmen, abgesehen von dem einen Peitschenhieb, wirkte gelassen. Aber er saß sehr gerade da, und die ausgestreckten Finger seiner freien Hand krümmten sich. Ich wandte mich vom Spiegel ab und betrachtete sie, wie sie sich mit weißen Fingerspitzen gegen das Eichenholz preßten.
Dennis war kaum verschwunden, als er auch schon zurückkehrte, erleichtert, zweifellos, seinen Auftrag ausgeführt zu haben, und er nickte Bob zu, der sich erhob und die Tür zum Treppenhaus öffnete. Ich folgte ihm.
Martin Timoney erwartete uns auf einem kleinen Treppenabsatz. Das schwere Gewicht seines Körpers ruhte schwer auf den Stöcken, die er in beiden Händen hielt.
»Du hättest unseretwegen wirklich nicht aufzustehen brauchen, Martin«, sagte Bob.
»Wenn’s weiter nichts ist«, antwortete Timoney. »Jeden Tag geh’ ich ein dutzendmal diese Luder von Treppen rauf und runter. Warum denn auch nicht?« Er war ein großer, bulliger Mann, der im Laufe der Jahre aus der Form geraten war, sein schwerer Bauch drohte, seinen Gürtel zu sprengen.
Er führte uns in eines der beiden vorderen Zimmer über dem Laden, wo ein weiterer Mann saß, hager und drahtig, mit langen, glatten Haaren, fast so schwarz wie Neds, aber das war auch die einzige Ähnlichkeit.
»Das ist Captain Eugene Reilly«, stellte Timoney vor. »Er ist mit John O’Connor hergekommen.«
Reilly saß an einem runden Tisch aus Schwarzeiche, und Timoney lud uns durch eine Geste seines Stockes ein, uns ebenfalls dorthin zu setzen. Dann ließ er sich selber auf einen der Stühle fallen, legte einen Stock neben seinem Stuhl auf den Boden und saß uns dann gegenüber, wobei seine beiden Hände auf dem Knauf des anderen Stockes ruhten.
»Ned Nolan hat uns von Ihnen und Colonel O’Connor erzählt«, begann Bob höflich. »Ned Nolan ist unser Kommandant in Kilpeder.«
»Das weiß ich«, erwiderte Reilly. »Aber ich kann mich durchaus nicht an Nolan erinnern. Im Moment gibt es hier zu viele von uns. Unter wem hat Nolan gedient? Bei Meagher gab es einen Nolan, aber der hieß Eugene mit Vornamen.« Seine Stimme klang, anders als Neds, nur nach Yankee, mit schwerem Akzent und doch nasal.
Bob schüttelte den Kopf. »Er hat es uns erzählt, aber ich kann mich nicht erinnern. Er hat in Tennessee und Virginia gekämpft.«
»Es war eine Zahl und ein Name«, sagte ich. »Das Siebte New Yorker, oder so.«
»Egal«, meinte Reilly. Er hatte die Hände mit den Handflächen nach unten in seine Hosentaschen geschoben, eine Angewohnheit, die er mit Ned teilte. »Nun ja, Jungs«, sagte er dann, »außer den Hügeln gibt es wenig Ähnlichkeiten zwischen Kerry und Tennessee. Die Schlacht von Kerry wird niemals in die Annalen der Kriegsgeschichte eingehen.«
»Was ist passiert, um Gottes willen?« fragte Bob. »Deshalb hat Ned Hugh und mich doch hergeschickt. Er hat mir den Befehl erteilt, mit Colonel O’Connor zu sprechen.«
Martin Timoney lachte amüsiert und blickte Reilly an. » Colonel O’Connor?« fragte er.
»John O’Connor ist auf der Flucht«, sagte Reilly. »Er ist bei Freunden außerhalb von Sneem so ziemlich in Sicherheit. Aber auf allen Straßen nach Iveragh gibt es Armee- und Polizeipatrouillen. Im Moment habe ich deshalb das Kommando in Killarney. In Kerry ist alles vorbei, Jungs. Das ist alles, was es dazu zu sagen gibt.«
»In Kilpeder wissen wir nichts davon, was hier passiert ist«, sagte Bob mit seiner trügerischen Geduld. »Die Eganjungs halten sich dort versteckt. Ihr habt in Cahirciveen losgeschlagen und die Polizeiwache übernommen, und dann die Station in Keils, und dann habt ihr irgendwo zwischen hier und Sneem gegen die Polizei gekämpft. Mehr wissen wir nicht in Kilpeder.«
»Gegen die Polizei gekämpft«, wiederholte Timoney mit angeekelter Stimme. »Bei Gott, das haben sie. Und sie haben die ganze verdammte Armee über uns hereinbrechen lassen. Seid ihr durch Killarneys Straßen gegangen?«
»John O’Connor hat einen Aufstand in Cahirciveen organisiert«, sagte Reilly. »O’Connor. Nicht ich. Und mehr kann ich euch auch nicht sagen. Er hat mir Bescheid gegeben, daß der Aufstand angefangen hätte und daß ich unsere Jungs bereit machen sollte. Am nächsten Tag habe ich dreißig von ihnen unter Jeremiah Brick losgeschickt, und nur sieben von ihnen sind bisher nach Killarney zurückgekehrt.« Und dann zog er eine Hand aus der Tasche und legte sie auf den Tisch. »Ich kann euch mehr erzählen als die Egans, aber nicht soviel, wie Nolan sicher wissen möchte.«
»Habt ihr keinen Hunger, Jungs?« fragte Timoney.
»Ob ich Hunger habe, fragst du?« erwiderte Bob. »Kerry rebelliert und wird geschlagen und ist für uns verloren, und du fragst, ob ich Hunger habe!«
»Kerry ist allerdings verloren«, sagte Reilly. »Da hast du wirklich recht.«
Bob schüttelte den Kopf. »Hugh und ich begreifen ja nicht einmal, wieso die verdammte Armee hier sein kann. Über die Straße von Macroom sind keine Truppen bewegt worden.«
»Sie sind bei Limerick Junction nach Süden abgeschwenkt«, erklärte Reilly. »Ein General namens Horsford hat sie hergeschickt. Sir Alfred Horsford, und der ist wirklich ein feiner, tatkräftiger General. Er hat hier eine Inspektion durchgeführt. Ich habe ihm vom Fenster aus zugeschaut, er stand mit seinem Adjutanten auf der Straße. Er ist ein kleiner hitziger Bursche mit gewaltigem Schnurrbart. Er hat alles herbefohlen, was in Limerick Junction aufzutreiben war – Ausflugskarren, Möbelwagen, feine Kutschen. Kerry ist abgeriegelt.«
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