Der hieß nun doch nicht Tex Rickard. Der Boxpromoter, der den Garden umgebaut hatte, verkaufte die neuen New York Americans noch vor ihrem ersten Spiel an William Dwyer. Dwyer hieß allerorten nur „Big Bill“, und das nicht nur, weil er in der Tat ein großer Mann war. Dwyer galt als eine der bekanntesten Unterweltgrößen New Yorks und war während der Prohibition mit Alkoholschmuggel stinkreich geworden. Er importierte Hochprozentiges aus Europa, Kanada und der Karibik – mit Schnellbooten, die denen der Küstenwache spielend leicht davonrasten. Sein Geld investierte er gern in den Sport. Vor den Americans gehörte ihm eine Rennstrecke, später weitere Eishockeyund Football-Teams.
Bei einem prunkvollen Abend gegründet, geführt von einer Unterweltgröße: die New York Americans.
Boxpromoter Rickard half trotzdem mit, den Sport populärer zu machen. Wegen seiner Kontakte veröffentlichte die „New York Times“ zwei Tage vor dem ersten Spiel die Eishockey-Regeln. Rickard selbst ließ draußen vor der Halle extra ein paar Krankenwagen aufstellen, um Aufmerksamkeit zu erregen. Seht her, dort drin wird es heute blutig, sollte das heißen. Der Vermarktungsprofi drückte dieselben Knöpfe, die es schon im alten Rom gegeben hatte: Der Kampf um Leben und Tod zog die Massen schon immer in ihren Bann.
Die Americans blieben nicht das einzige US-Team, das im Sommer 1925 dazukam. Noch am Abend der rauschenden Gala in New York bekam James Callahan, ein Anwalt aus Pittsburgh, dem die örtlichen Yellow Jackets gehörten, die Genehmigung, ebenfalls in der NHL zu starten. Das gefiel zwar nicht jedem, die Delegation aus Ottawa warnte vor zu schnellem Wachstum, konnte sich aber nicht durchsetzen. Pittsburgh war nicht nur einer der Märkte, in denen sich Eddie Livingstone mit seiner Konkurrenzliga tummeln wollte, sondern galt früh als Eishockey-verrückt, außerdem gab es dort eine große Halle. Bereits kurz nach der Jahrhundertwende kamen in Pittsburgh 10.000 Fans, um Testspiele eines Teams aus Toronto zu sehen. Später beheimatete die Stahlstadt eine der ersten Profimannschaften der USA. Nun wurde Pittsburgh der dritte US-Standort der NHL, noch vor dem erstem Spiel änderte Callahan den Namen seines Verein in Pirates, als Hommage an das große Baseball-Team der Stadt.
Das große Geld
Mit dem Einstieg der US-Teams Nummer zwei und drei zur Saison 1925/26 änderte sich die Kultur der Liga schlagartig. Noch im selben Sommer begann das große Feilschen um die Spieler. Die Funktionäre aus New York, Boston und Pittsburgh lockten die kanadischen Spieler mit unverschämt wirkenden Summen über die Grenze. 5000, 6000 oder gar 7000 Dollar für die viermonatige Saison waren nun an der Tagesordnung. Ein durchschnittlicher Arbeiter verdiente im ganzen Jahr keine 1500 Dollar. Auch Ablösesummen stellten kein Hindernis dar. Die US-Teams boten einfach 25.000 bis 30.000 Dollar für einen Topspieler, den Kanadiern blieb kaum etwas übrig, als zu verkaufen.
Schnell kamen in den Zeitungen nördlich der Grenze erste Klagen auf, das alte kanadische Spiel werde amerikanisiert, der Gang in die USA sei ein großer Fehler gewesen, den die NHL noch bereuen werde. Es war der Anfang der Eishockey-Rivalität zwischen den beiden Nationen. Bis heute beschweren sich die Kanadier darüber, die US-Amerikaner würden ihnen die besten Spieler wegnehmen und mit ihnen dafür sorgen, dass die Teams aus dem Mutterland des Sports keinen Stanley Cup mehr feiern dürfen. Erste Rufe nach einer Gehaltsobergrenze wurden laut. Sie blieben ungehört.
Sportlich reichte es dennoch nicht für den großen Wurf eines US-Teams. Zwar ließen alle drei sofort die Montréal Canadiens und die St. Pats aus Toronto hinter sich, gegen die Montreal Maroons und die Ottawa Senators hatten sie aber keine Chance. Am Ende gewannen die Maroons die Meisterschaft und holten gegen die Victoria Cougars aus der PCHA auch den Stanley Cup.
Doch was den Glamour-Faktor angeht, standen die Americans ganz oben. Eine Halle wie den von Boxpromoter Tex Rickard umgebauten Madison Square Garden hatte die Welt noch nicht gesehen. Spiel für Spiel traf sich die Prominenz der Stadt auf den Tribünen. Für die wurde der Garden extra auf 15 Grad geheizt, man wolle ja nicht, dass „die Damen frieren, wenn sie hier in ihren luftigen Abendkleidern sitzen ohne einen Umhang auf den Schultern“, hieß es. Das machte sich allerdings in Sachen Eisqualität bemerkbar, was die Spieler immer wieder kritisierten, erst spät lenkte Rickard ein. Trotzdem wurden die Americans, die zu einem Großteil aus dem Hauptrunden-Meisterteam aus Hamilton aus dem Vorjahr bestanden, nur Fünfte in der auf sieben Teams angewachsenen NHL.
Tragisch verlief die Saison derweil für die Canadiens aus Montréal. Nicht nur, dass sie den letzten Platz belegten und mitansehen mussten, wie ihr neuer Konkurrent aus der eigenen Stadt den Titel gewann, sie verloren auch ihren Startorhüter Georges Vézina. Der infizierte sich mit Tuberkulose und starb während der Saison. Ihm zu Ehren ist bis heute die Trophäe für den besten Goalie der Saison benannt.
Finanziell ging es der Liga trotzdem immer besser. Der Gang in die USA war ein Erfolg für die NHL und die Vereine an sich. Da überraschte es wenig, dass im folgenden Sommer 1926 die nächsten Investoren anklopften, um in die Liga zu kommen. Die 1920er, „das goldene Zeitalter des Sports“, wie sie in Nordamerika genannt werden, waren in vollem Gange. Der gestiegene Wohlstand der Bevölkerung sorgte für volle Stadien, die immer populärer werdenden Medien – vor allem Radio und Zeitungen – taten ihr Übriges. In zahlreichen Sportarten wuchsen Helden heran, erste Legenden und Mythen entstanden, allerorten wurden neue Stadien gebaut und Teams gegründet. Allein im Madison Square Garden fand fast jeden Abend etwas anderes statt: Boxkämpfe, Rad- und Motorradrennen, Basketball- und Eishockey-Spiele.
Selbst die 50.000 Dollar, die die NHL von neuen Teams mittlerweile als Eintrittsgeld verlangte, schreckten niemanden mehr ab. Obwohl das im Vergleich zu den 15.000 Dollar, die die jüngsten Mitglieder des exklusiven Eishockey-Zirkels zahlen mussten, mehr als dreimal so viel war. Trotzdem kamen Anfragen aus New Jersey, Hamilton, Cleveland, Windsor, Detroit und Chicago. Auch Garden-Besitzer Rickard wollte plötzlich wieder mehr sein als nur der Mann, dem die Halle gehörte. Die Americans waren ein so großer Erfolg, dass er überlegte, ein zweites Team in Manhattan zu installieren. Und so kam es dann auch: Die New York Rangers waren geboren.
Weitere Zuschläge sollten nur noch zwei andere Städte erhalten: Detroit und Chicago, die Metropolen an den großen Seen im Zentrum des Landes. Wieder gab es Kritiker, die Liga übernehme sich, wenn sie gleich die nächsten drei Teams dazu hole. Doch erneut zog das alte Argument, dass sich sonst eine andere Liga die wichtigen Märkte sichern würde. Also bekamen auch Chicago und Detroit den Zuschlag. Black Hawks und Cougars wurden die NHL-Teams neun und zehn. Erstmals gab es mehr Teams aus den USA als aus Kanada. Ein Umstand, der sich bis heute nicht geändert hat.
West-Ligen geben auf – die NHL setzt sich endgültig durch
Ein Problem war allerdings nicht wegzudiskutieren: Wo sollen all die Spieler herkommen? Gibt es überhaupt genügend Talente? Helfen sollten ausgerechnet die zwei Brüder, die der NHL in den Jahren zuvor so viel Kopfzerbrechen bereitet hatten: Frank und Lester Patrick und ihre Profiliga im Westen. Die beiden Funktionäre hatten längst erkannt, dass sie den Kampf gegen die Teams aus den einwohner- und wirtschaftsstarken Metropolen aus dem Osten nicht gewinnen konnten. Bereits 1924 hatten sie ihre Pacific Coast Hockey Association aufgelöst und die übrigen beiden Teams in die 1921 gegründete Western Canada Hockey League integriert. Doch auch das half nichts, die Spieler verlangten NHL-Gehälter, die die Teams der mittlerweile in Western Hockey League umbenannten Liga nicht zahlen konnten. Nun stand auch die WCHL vor dem Aus.
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