Marie Louise Fischer
SAGA Egmont
Klaudias großer Schwarm
Klaudias großer Schwarm (Band 2)
Copyright © 2017 by Erbengemeinschaft Fischer-Kernmayr, ( www.marielouisefischer.de) represented by AVA international GmbH, Germany ( www.ava-international.de)
Originally published 1971 by F. Schneider Verlag, Germany
Genehmigte eBook Ausgabe für Lindhardt og Ringhof Forlag A/S
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ISBN: 9788711719343
1. Ebook-Auflage, 2017
Format: EPUB 3.0
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Am Montag fiel für die siebte Klasse des Real-Gymnasiums Rosenberg die letzte Stunde aus. Und kaum hatte Dr. Haselmann, der Klassenlehrer, diese angenehme Neuigkeit verkündigt, als die Mädchen und Jungen in Windeseile ihre Mappen packten, die Mäntel von den Haken rissen und die Treppe hinunterjagten.
Erst draußen, auf dem Hauptplatz, kam die wilde Jagd zum Stehen. „Das war wirklich die Wolke!“ schrie Axel, und seine klaren braunen Augen blitzten. „Menschenskinder, Glück muß man haben!“
„Stimmt!“ pflichtete Jochen ihm bei; sein kurz geschnittenes feuerrotes Haar leuchtete wie eine Ampel über die Köpfe der anderen hinweg. „Aber was machen wir nun mit dem angebrochenen Vormittag?“
„Das kann ich dir ganz genau sagen“, erklärte Klaudia prompt, „wir beide suchen uns einen stillen Winkel – und büffeln zusammen Mathe.“
Ehrlich entsetzt wich Jochen ein Stück vor ihr zurück. „Nicht schon wieder!“
Klaudia stemmte die freie Hand in die Hüfte und warf ihr langes blondes Haar in den Nacken. „Ja, bildest du dir etwa ein, ich tue das zu meinem Spaßvergnügen?! Wer wollte denn ausreißen, weil er im Zwischenzeugnis einen Fünfer hatte? Du oder ich?“
„Nicht gerade taktvoll von dir, ihn dauernd daran zu erinnern“, tadelte Heide Lommer sie und schielte dabei forschend zu Axel hin, um festzustellen, ob sie mit dieser Bemerkung seine Zustimmung fand.
Klaudia reagierte ganz unbekümmert. „Was soll’s“, sagte sie gelassen, „Takt war nun mal nie meine große Stärke. Dafür habe ich Jochen aber wieder auf Vordermann gebracht. Seit Februar hat er keine einzige Note mehr unter ‚ausreichend’ geschrieben. Und wem verdankt er das? Mir! Ihr anderen habt euch verdammt wenig um ihn gekümmert.“
„Darauf würde ich mir nicht allzuviel einbilden“, gab Heide zurück, „schließlich warst du ja schuld daran, daß er das Schlußlicht machte … du hattest ihn hypnotisiert wie eine Schlange!“
„Wenn euch wieder mal nichts Besseres einfällt, als euch zu zanken“, warf Axel ein, „kann ich ja geradeso gut nach Hause gehen!“
„Ha, ha, ha! Schlange!“ Klaudia ließ ihre Hüften kreisen. „Ein sehr schmeichelhafter Vergleich!“
Heide war schon bei Axel und hielt ihn am Ärmel seines Anoraks fest. „Bitte, lauf nicht gleich weg“, flehte sie, „bitte nicht … ich habe euch nämlich was Wichtiges zu sagen!“
„Und warum tust du es dann nicht?“
„Hier … mitten auf der Straße?“
„Na, dann gehen wir doch rüber in die Milchbar“, schlug Klaudia vor, „das heißt … wenn du mich Schlange in deinem kleinen Paradies überhaupt duldest, Heide!“
„Aber ja, natürlich, ich habe ja gar nichts gegen dich“, behauptete Heide. Tatsächlich hatte sie ihr aber nur mit dem Verstand, aber nicht mit dem Herzen verziehen, daß Klaudia ihren Freund Axel mit Beschlag belegt hatte. Und zwar unmittelbar, als sie zu Beginn des vorigen Schuljahrs neu in die Klasse gekommen war.
Klaudia wußte das wohl und zwinkerte vergnügt mit ihren großen blauen Augen. Sie hatte sich inzwischen angewöhnt, in der Schule nur noch mit ganz kleinem Make-up, getuschten Wimpern und einem Hauch von Lippenstift zu erscheinen. Trotzdem stach sie immer noch gewaltig von den anderen Mädchen ab, schon allein durch ihre Kleidung.
Heute zum Beispiel trug sie einen todschicken knallroten Hosenanzug, während alle ihre Klassenkameradinnen brav wie eh und je in Rock und Bluse erschienen waren.
„Außerordentlich gnädig“, sagte sie mit einem tiefen Hofknicks, „darf ich die sehr verehrte Dame dann um die Ehre bitten, uns in die Milch-Bar zu begleiten?“ Sie bot Heide ihren Arm.
Nach einem kurzen, unwillkürlichen Zurückzucken hängte Heide sich ein. „Du hast eine Art, einem auf die Nerven zu gehen!“
Klaudia klimperte mit ihren langen Wimpern. „Hast du dir Schon mal überlegt, daß das vielleicht gar nicht an mir, sondern an deinen Nerven liegt? Du solltest etwas für sie tun!“
Sie wandte sich um und rief über die Schulter zurück: „Ingrid … Ursel! Was ist los mit euch? Trödelt nicht so rum! Ihr kommt doch auch mit!“
Genau das war es, was Heide an ihr haßte, denn eigentlich waren die kleine Ingrid und Ursel mit den dicken Zöpfen ihre Freundinnen; aber auf solche Feinheiten nahm Klaudia überhaupt keine Rücksicht.
„Das brauchst du doch nicht ausdrücklich zu sagen“, behauptete Heide, „das ist doch selbstverständlich.“
„Tut mir leid“, sagte Ursel, „aber ich hab kein Geld für Eis.“
„Dann lade ich dich eben ein“, erklärte Klaudia großzügig, „ich hab mir was mit Rasenmähen verdient.“
„So weit kommt das noch!“ protestierte Heide. „Wenn jeman Ursel einlädt, dann bin ich es!“
„Bitte, von mir aus“, sagte Klaudia unbeeindruckt, „ich kann mein gutes Geld auch anderweitig loskriegen.“
„Für Lippenstift und Wimperntusche!“ platzte Heide unbeherrscht heraus.
Klaudia lächelte kühl. „Genau! Und da wir gerade beim Thema sind … ein bißchen Farbe im Gesicht und eine anständige Friseur könnte dir auch nicht schaden.“
Mit einem Ruck zog Heide ihren Arm zurück. „Du bist unverschämt!“
„Wirklich? Und wer hat angefangen?“
„Du, Heide!“ entschied Jochen. Er sah sich um: „Ihr habt doch alle mitgekriegt, wie Heide gestänkert hat?“
„Weiber!“ schimpfte Axel. „Es ist kaum noch auszuhalten!“
„Es tut mir leid!“ rief Heide sofort. „Wirklich, ich habe es nicht so gemeint, Axel …“
„Entschuldige dich nicht bei mir, sondern bei Klaudia!“
Das war eine Forderung, die zu erfüllen Heide hart ankam. „Du, ich habe es wirklich nicht so gemeint, Klaudia“, sagte sie mit Überwindung, „und überhaupt, wir haben doch nur Spaß gemacht, alle beide! Oder etwa nicht?“
„Sicher“, stimmte Klaudia friedfertig zu, „du hast deinem Humor wieder mal die Zügel schießen lassen.“
Sie stieß die Türe zur Milchbar auf, und die anderen folgten ihr in den kleinen, gelb, rot und weiß dekorierten Raum. An einem Ecktisch vor der Schaufensterscheibe saßen schon der semmelblonde Fritz und der dicke Rainer aus ihrer Klasse, und jeder löffelte an einer Portion Eis mit Schlagsahne.
„Nicht an die Bar“, sagte Heide, „setzen wir uns lieber zu den anderen, da können wir besser reden.“
Sie schoben zwei Tische zusammen, gaben ihre Bestellung auf, holten Eis, Milch-Shakes oder Joghurt mit Früchten, die die hochblonde Serviererin ihnen bereitete, von der Bar ab und ließen sich im Kreis nieder.
Jochen stieß Klaudia in die Seite. „Warum nimmst du denn keine Schlagsahne?“
„Dumme Frage“, antwortete Klaudia von oben herab, „ich muß an meine Linie denken.“
„Linie?“ fragte Axel mit vollem Mund. Wo hast du denn die versteckt?“
Alle lachten, und Klaudia lachte mit.
„Was ihr schon davon versteht“, sagte sie wegwerfend, „Heide, los, was ist mit dir? Du wolltest uns doch was erzählen!“
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