Der Heimweg war mir keineswegs so angenehm, wie der erste Theil des Tages, denn jetzt befand sich Mrs. Graham im Wagen und Elise Milward war meine Begleiterin auf dem Wege. Sie hatte den Vorzug, welchen ich der jungen Witwe gegeben, bemerkt und fühlte sich offenbar hintenangesetzt. Sie gab ihren Kummer nicht durch spitzige Vorwürfe, bittere Sarkasmens oder schmollendes, mürrisches Schweigen kund, — denn alles dies hätte ich leicht hinweglachen können, sondern sie zeigte denselben durch einen milden, vorwurfsvollen Trübsinn, der mir in’s Herz schnitt. Ich versuchte, sie zu erheitern, was mir auch, ehe wir nach Hause kamen, einigermaßen gelungen zu sein schien; indem ich es aber that, machte mir mein Gewissen Vorwürfe, da ich wußte, daß das Band seither oder später zerrissen werden müsse, und ich dadurch nur täuschende Hoffnungen nährte und den schlimmen Tag hinausschob.
Als der Ponywagen Wildfell Hall so nahe gekommen war, als es die Straße gestattete — wenn sie nicht den langen, rauhen Heckenweg hinaufging, was Mrs. Graham nicht gestatten wollte, stiegen die junge Witwe und ihr Sohn ab, und überließen Rosen den Kutschersitz, während ich Elisen überreden, den Jener einzunehmen. Nachdem ich sie bequem hineingepackt, sie gebeten, sich vor der Abendluft in Acht zu nehmen und ihr eine freundliche gute Nacht gewünscht hatte, fühlte ich mich bedeutend erleichtert, und eilte, der Mrs. Graham meine Dienste anzubieten, um ihren Zeichnenapparat hinaufzutragen; — sie hatte jedoch bereits ihren Feldstuhl an den Arm gehangen und ihr Skizzenbuch in die Hand genommen und bestand darauf, mir mit der übrigen Gesellschaft Adieu zu sagen. Diesmal lehnte sie aber meine angebotenen Hilfeleistungen so gütig und freundlich ab, daß ich ihr fast verzieh.
Achtes Kapitel.
Das Geschenk.
Sechs Wochen waren vorübergezogen. Es war ein herrlicher Morgen gegen das Ende des Juni. Der größte Theil des Heu’s war gehauen; die letzte Woche war jedoch sehr ungünstig für die Ernte gewesen und jetzt, wo das schöne Wetter sich endlich einstellte, hatte ich, entschlossen, dasselbe auf’s Beste zu benutzen, alle Arbeiter auf der Wiese versammelt und arbeitete mitten unter ihnen in Hemdsärmeln, mit einem leichten, schattigen Strohhute auf dem Kopfe, raffte Arme voll feuchten, dampfenden Grases auf, schüttelte es, an der Spitze einer ansehnlichen Reihe von Dienstboten und Miethlingen, in alle vier Winde und gedachte so vom Morgen bis zur Nacht, mit ebensoviel Eifer und Fleiß, als ich von irgend einem unter demselben er warten konnte, zu arbeiten, theils um die Arbeit durch meine Anstrengungen zu fördern, theils aber auch die Arbeiter durch mein Beispiel anzufeuern — als plötzlich alle meine guten Entschlüsse durch den einfachen Umstand vernichtet wurden, daß mein Bruder zu mir heranlief, und ein kleines, soeben von London angekommenes Packet, welches ich seit einiger Zeit erwartet hatte, in meine Hand drückte. Ich riß die Umhüllung ab und es erschien eine elegante Taschenausgabe von Walter Scotts »Marmion.«
»Ich kann mir denken, für wen das ist,« sagte Fergus, der dabei stand und zuschaute, während ich den Band vergnügt von allen Seiten ansah. »Das ist sicher für Miß Elise.«
Dieß sprach er mit so ungemein schlauem Ton und Blicke, daß es mich freute, ihm widersprechen zu können.
»Fehlgeschossen, mein Söhnchen,« sagte ich, hob meinen Rock auf, steckte das Buch in eine seiner Taschen und zog ihn sodann an. »Nun komm her, Du fauler Schlingel, und stifte einmal ausnahmsweise etwas Nützliches,« fuhr ich fort, — »ziehe Deinen Rock aus und vertritt meine Stelle auf dem Felde, bis ich zurückkomme.«
»Bis Du zurückkommst? — und wohin gehst Du, wenn man fragen darf?«
»Das Wohin geht Dich gar nichts an — das wenn ist Alles, worum Du Dich zu kümmern hast; — und ich werde spätestens bis zum Essen wieder da sein.«
»Oho! und ich soll also bis dahin arbeiten, nicht wahr? — und alle diese Burschen überdieß noch streng daran halten? — Nun, nun, einmal mag es noch so hin gehen. — Kommt, ihr Lenke, ihr müßt Euch daran halten; ich werde Euch jetzt helfen, und wehe dem Manne — oder Frauenzimmer — der einen Augenblick inne hält, sei es nur um sich umzusehen, sich im Kopfe zu kratzen, oder sich die Nase zu schneuzen — ich lasse keine Vorwände gelten — nichts als arbeiten, arbeiten, arbeiten, im Schweiße Eures Angesichts — u. s. w., u. s. w.«
Ich ließ ihn also die Leute harrenguiren, eher zu ihrer Belustigung, als ihrer Erbauung, kehrte nach Hause zurück, und eilte, nachdem ich meine Toilette ein wenig geändert, mit dem Buche in der Tasche nach Wilder Hall, denn es war für Mrs. Grahams Bücherschrank bestimmt.
»Wie, vertrugt Ihr Euch schon so gut, daß es bis zum Geben und Empfangen von Geschenken zwischen Euch gekommen war?« — Noch nicht gerade so weit, alter Bursche; dies war mein erstes Experiment in dieser Beziehung und ich war äußerst begierig, das Resultat desselben zu sehen.
Wir waren seit dem Ausflug nach Bai mehrere Male zusammengetroffen, und ich hatte sie meiner Gesellschaft nicht abgeneigt gefunden, vorausgesetzt, daß ich meine Unterhaltung auf die Besprechung abstracter Gegenstände, oder solcher von allgemeinem Interesse beschränkte; — im Augenblicke, wo ich das Sentimentale oder Komplimentarische berührte, oder mich in Wort oder Blick dem Zärtlichen näherte, wurde ich nicht nur durch eine augenblickliche Veränderung ihres Wesens für die gegenwärtige Zeit bestraft, sondern auch verurtheilt, sie das nächste Mal, wo ich ihre Gesellschaft aufsuchte, kälter und fremder, wo nicht gar unzugänglich zu finden. Dieser Umstand setzte mich jedoch nicht sehr in Verlegenheit, da ich ihn nicht sowohl einer Abneigung gegen meine Person, als vielmehr einem vor unserer Bekanntschaft, entweder aus übermäßiger Liebe zu ihrem verstorbenen Gatten, oder weil sie von ihm und der Ehe genug gehabt hatte, gegen eine zweite Heirath gefaßten Entschlusse zuschrieb Anfänglich hatte es allerdings geschienen, als fände sie Vergnügen daran, meine Eitelkeit zu kränken und meinen Vorwitz zu ersticken — sie hatte erbarmungslos eine Knospe nach der andern, wie sie sich zeigten, abgerissen und, damals war ich, wie ich gestehen Muß, tief Verwundet, wiewohl zu gleicher Zeit auch zur Rache gereizt worden — als sie aber später unbezweifelt wahrnahm, daß ich nicht der hohlköpfige Geck sei, für den sie mich anfänglich gehalten, hatte sie meine bescheidenen Approchen auf ganz andre Art zurückgewiesen. Es war eine Art von ernsthaftem, fast kummervollem Unwillen, den ich zu erwecken bald sorgfältig vermeiden lernte.
Erst will ich meine Stellung als Freund festsetzen, dachte ich — als Schutzherr und Spielkamerad ihres Sohnes und nüchterner, fester, gerade gehender Freund ihrer selbst und dann, wenn ich mich ihrer Behaglichkeit und ihrem Genusse des Lebens (wie ich zu können glaube) noth wendig gemacht habe, wollen wir sehen, was sich weiter thun läßt.
Wir sprachen also von Malerei, Dichtkunst und Musik, Theologie, Geologie und Philosophie, ein paar Mal lieh ich ihr Bücher und einmal lieh sie mir dafür wieder eins, ich traf auf ihren Spaziergängen mit ihr zusammen und kam, so oft ich es wagte, in ihr Haus. Mein erster Vorwand zum Eindringen in das Heiligthum war der Arthur ein kleines, watschelndes Hündchen zu bringen, dessen Vater Sancho war, und welches das Kind über alle Maaßen entzückte und daher auch nicht ermangeln konnte, seiner Mama zu gefallen; mein zweiter war, ihm ein Buch zu dringen, welches ich, da ich die eigenthümlichen Ansichten seiner Mutter kannte, sorgfältig gewählt hatte und ihr zur Billigung vorlegte, ehe ich es ihm gab; dann brachte ich ihr im Namen meiner Schwester einige Pflanzen für ihren Garten, nachdem ich Rosa vorher überredet, dieselben zu schicken. Jedesmal erkundigte ich mich dabei nach dem Gemälde, welches sie nach der auf der Klippe gezeichneten Skizze malte, und wurde in das Atelier geführt und über meine Ansicht oder meinen Rath über dasselbe befragt.
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