Die arme Mrs. Graham sah bestürzt aus, und wollte Entschuldigungen vorbringen; aber Rosa, die entweder mit ihrem einsamen Leben Erbarmen hatte, oder sich eifrig bemühte, nähere Bekanntschaft mit ihr anzuknüpfen, war entschlossen, sie mitzunehmen, und besiegte alle ihre Einwendungen. Man sagte ihr, daß die Gesellschaft nur klein sein, und blos aus Freunden bestehen solle, und daß die beste Aussicht von der Klippe, die volle fünf Meilen, entfernt liege, sei.
Ein hübscher Spaziergang für die Herren,« fuhr Rosa fort« »aber die Damen werden abwechselnd gehen und fahren; denn wir nehmen unseren Ponywagen mit, der groß genug ist, um den kleinere Arthur und drei Damen, und Ihr Zeichnenmaterial, und unsere Mundvoräthe zu fassen.«
Der Vorschlag wurde also endlich angenommen, und nach einigen Diskussionen über die Zeit und Art der beabsichtigten Excursion, erhoben wir uns und nahmen Abschied.
Wir waren aber erst im März; ein kalter, feuchter April, und zwei Wochen des Mai vergingen, ehe wir mit der vernünftigen Hoffnung, das Vergnügen angenehmer Aussicht, heiterer Gesellschaft, frischer Luft, guter Speisen und Getränke und Leibesübung, welches wir suchten, ohne die Beimischung von schlechten Wegen, kalten Winden und drohenden Wolken zu genießen, unseren Ausflug anzutreten wagen konnten. Dann aber zogen wir eines schönen Morgens unsere Streitkräfte zusammen, und machten uns auf den Weg. Die Gesellschaft bestand aus Mrs. und Master Graham, Mary und Elise Milward, Jane und Richard Wilson, und Rosa, Fergus und Gilbert Markham.
Mr. Lawrence war ebenfalls eingeladen worden, hatte es aber, aus ihm wahrscheinlich am besten bekannten Gründen, abgeschlagen, uns seine Gesellschaft zu schenken. Ich hatte ihn selbst darum gebeten. Als ich dies that, zauderte, er und fragte, wer Alles mitgehe. Da ich Jane Wilson nannte, schien er halb und halb zum Kommen geneigt zu sein, als ich aber in dem Glauben, daß dies eine weitere Versuchung sei, Mrs. Grahams Namen erwähnte, schien dieß gerade die entgegengesetzte Wirkung auszuüben, und er lehnte es gänzlich ab — die Wahrheit zu gestehen, nicht eben zu meinem Mißvergnügen, obgleich ich Ihnen kaum den Grund davon angeben könnte.
Es mochte etwa Mittag sein, als wir unseren Bestimmungsort erreichten. Mrs. Graham ging die ganze Strecke, bis nach den Klippen zu Fuße, und der kleine Arthur that den größten Theil des Weges über das Gleiche; denn er war jetzt bei weitem abgehärteter und gelenkiger, als zur Zeit, wo er in die Gegend gekommen war, und er wollte nicht gern mit Fremden im Wagen sitzen, während, alle seine vier Freunde, die Mama, und Sancho, und Mr. Markham, und Miß Milward zu Fuße waren, und entweder weit hinten, oder durch ferne Felder und Heckenwege hinwanderten.
Ich habe eine höchst angenehme Erinnerung an diesen Spaziergang auf der hier und da von grünen Bäumen beschatteten und mir blumenreichen Grasrändern und blühenden Hecken vom köstlichsten Dufte geschmückten, sonnenbeschienenen weißen Landstraße, oder durch mit lieblichen Blumen und dem glänzenden Grün des köstlichen Mai prangenden Wiesen und Heckenwege hin. Allerdings befand sich Elise nicht bei mir, aber sie war bei ihren Freunden in dem Ponywagen hoffentlich eben so glücklich, wie ich, und selbst, als wir Fußgänger die Landstraße verließen, um einen kürzeren Weg über die Felder einzuschlagen, und den kleinen Wagen in weiter Ferne hinter den grünen, laubigen Bäumen verschwinden sahen, haßte ich diese Bäume weder, weil sie den lieben, kleinen Hut und Shawl meinen Blicken entrissen, noch fühlte ich, daß alle diese Gegenstände zwischen meinem Glücke und mir lägen, denn ich war, die Wahrheit zu gestehen, in Mrs. Grahams Gesellschaft viel zu glücklich, um die Elise Milwards zu vermissen.
Erstere war zwar anfangs zum Verzweifeln ungesellig, und wie es schien, entschlossen, mit Niemandem, außer Miß Milward und Arthur zu sprechen. Sie und Mary gingen zusammen, meist mit dem Knaben zwischen sich: — wo es aber der Weg gestattete, ging ich stets auf ihrer andern Seite, während Richard Wilson die andere Seite Miß Milwards in Beschlag nahm, und Fergus sich nach Belieben hier und da umhertrieb,— nach einer Weile wurde sie jedoch freundlicher, und endlich gelang es mir, ihre Aufmerksamkeit fast ausschließlich zu fesseln — und dann war ich wahrhaft glücklich, denn wenn sie sich zum Sprechen herabließ, so hörte ich gern zu. Wo ihre Ansichten und Aussprüche mit den meinen übereinstimmten, entzückte mich ihr gesunder Verstand, ihr ausgesuchter Geschmack und Gefühl; wo sie von ihnen abwichen, war es doch stets die rücksichtslose Kühnheit, womit sie diese Verschiedenheit gestand und vertheidigte — ihre Ueberzeugtheit und ihr Scharfsinn, die meine Phantasie piquirten; und selbst wenn sie mich durch unfreundliche Worte oder Blicke und lieblose Schlüsse auf mich erzürnte, machte sie mich dadurch unzufrieden mit mir selbst, daß ich einen so ungünstigen Eindruck auf sie gemacht, und verlangender, meinen Charakter und mein Gemüth in ihren Augen zu recht fertigen und wo möglich ihre Achtung zu erringen
Endlich kam unser Spaziergang zu Ende. Die zu nehmende Höhe und Steilheit der Hügel hatte die Aussicht seit einiger Zeit verdeckt; als wir aber den Gipfel einer steilen Anhöhe erreicht hatten, und zu unseren Füßen hinabblickten, lag eine breite Lücke vor uns — und das blaue Meer bot sich unseren Blicken dar! — tief veilchenblau nicht todtenstill, sondern mit glitzernden Wellenkämmen bedeckt — winzigen, weißen Flecken, die auf seiner Brust schimmerten und durch das schärfste Auge kaum von den kleinen Seemöven, die sich darüber wiegten und deren weiße Flügel im Sonnenscheine erglänzten, zu unterscheiden waren; nur zwei bis drei Schiffe waren zu sehen, diese aber befanden sich in weiter Ferne.
Ich blickte meine Begleiterin an, um zu sehen, was sie von diesem herrlichen Schauspiele denke. Sie sagte nichts, blieb aber stehen, und heftete ihre Augen mit einem Blicke darauf, welcher mir versicherte, daß ihre Erwartungen nicht getäuscht worden seien. Sie hatte, beiläufig bemerkt, sehr schöne Augen — ich weiß nicht, ob ich es Ihnen schon gesagt habe — aber sie waren seelenvoll, groß, klar und fast schwarz — nicht braun, sondern von sehr dunklem Grau. Ein kühles, belebendes Lüftchen wehte vom Meere her — weich, rein und gesund; es ließ ihre Locken flattern, und verlieh ihren sonst zu blassen Lippen und Wangen eine lebhaftere Farbe. Sie fühlte seinen er heiternden Einfluß, und so ging es auch mir — ich fühlte es durch meinen ganzen Körper prickeln, wagte es aber nicht, seine Einwirkung kundzugeben, so lange sie so still blieb. Ihr Antlitz trug den Ausdruck milder Heiterkeit, welcher fast zu einem Lächelns exaltierter, froher Intelligenz aufloderte, als ihr Auge das Meine traf. Sie hatte noch nie so schön ausgesehen, noch nie hatte ihr mein Herz so warm entgegengeklopft, wie jetzt. Wenn wir noch zwei Minuten allein so stehen geblieben wären, so hätte ich für die Folgen nicht bürgen können. Zum Glück für meine Diskretion, vielleicht auch für meinen Genuß des Tages, wurden wir schnell zum Mahle — einer höchst respektablen Collation, beschieden, die Rosa, von Miß Wilson und Elise unterstützt, welche mit ihr und dem Wagen vor uns angekommen waren, auf einer erhöhten Stelle, von der aus man die See überschauen konnte, welche zugleich aber auch durch einen steilen Felsen und überhängende Bäume vor der Sonne geschützt war, aufgetischt hatte.
Mrs. Graham setzte sich in einiger Entfernung von mir nieder. Meine Nachbarin war Elise, die ihr Möglichstes that, um sich auf ihre sanfte, von aller Aufdringlichkeit entfernte Art angenehm zu machen und ohne Zweifel eben so reizend und fesselnd wie sonst war, wenn ich es nur hätte fühlen können. Bald aber begann sich mein Herz wieder für sie zu erwärmen und wir waren Alle, soviel ich sehen konnte, während des langen, geselligen Mahles äußerst heiter und froh.
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