Bei meinem letzten Besuche hatte ich ihr das mir von ihr geliehene Buch zurückgegeben und hierbei hatte sie, in einer zufälligen Besprechung der dichterischen Werke Sie Walter Scotts, den Wunsch zu erkennen gegeben, Marmion zu sehen und ich die vorwitzige Idee gefaßt, ihr dasselbe zu schenken und augenblicklich nach meiner Heim kehr das hübsche, kleine Buch, welches ich an diesem Morgen empfangen, bestellt. Es war aber immer noch ein Vorwand zum Eindringen in die Einsiedelei nöthig; ich versah mich also mit einem blauen Maroquin-Halsbande für Arthurs kleinen Hund, und nachdem dieses übergeben und vom Empfänger mit bei weitem größerer Freude und Dankbarkeit angenommen worden war, als der Werth der Gabe, oder das egoistische Motiv des Gebers verdiente, erlaubte ich mir, Mrs. Graham zu bitten, das Gemälde noch einmal ansehen zu dürfen, wenn es sich noch da befinde.
»Ja wohl, kommen Sie herein,« sagte sie, denn ich, hatte sie im Garten getroffen, »es ist fertig und eingerahmt und zum Fortschicken bereit. Theilen Sie mir aber Ihre letzte Ansicht darüber mit und wenn Sie noch eine Verbesserung daran vorschlagen können, so soll sie — wenigstens gehörig in Betracht gezogen werden.«
Das Bild war auffallend schön; es war die Landschaft selbst, wie durch Zauberei auf die Leinwand übergetragen. Ich drückte jedoch meinen Beifall in gemäßigten und kurzen Worten aus, um ihr nicht zu mißfallen. Sie beobachtete jedoch mein Gesicht aufmerksam, und ihr Künstlerstolz fühlte sich ohne Zweifel geschmeichelt, meine innige Bewunderung in meinen Augen zu lesen; während ich aber darauf hinschaute, dachte ich jedoch an das Buch und überlegte mir, wie ich es überreichen solle. Der Muth sank mit, ich beschloß jedoch, nicht so thöricht zu sein, fortzugehen, ohne wenigstens den Versuch gemacht zu haben. Es war nutzlos, auf eine Gelegenheit dafür zu warten und eben so nutzlos zu versuchen, dafür eine Rede zusammenzubauen, je einfacher und natürlicher es geschähe, dachte ich, desto besser. Ich blickte also zum Fenster hinaus, um meinen Muth auf die rechte Höhe zu schrauben, zog das Buch heraus, wendete mich um, und legte es ihr mit der folgen den kurzen Erklärung in die Hand:
»Sie wünschen Marmion zu sehen, Mrs. Graham, e und hier ist es, wenn Sie so gütig sein wollen, es anzunehmen.«
Eine momentane Nöthe überzog ihr Gesicht — viel leicht ein Erröthen sympathetischer Scham über eine so ungeschickte Art der Ueberreichung; sie besichtigte ernsthaft beide Seiten des Buches, wendete dann schweigend einige Blätter um, runzelte während dessen nachdenkend die Augenbrauen, schloß dann das Buch, wendete sich zu Mir, und fragte mich ruhig nach dem Preise desselben. — Ich fühlte das heiße Blut in mein Gesicht strömen.
»Es thue mir leid, wenn ich Sie kränken sollte, Mr. Markham,« sagte sie; »ich kann aber das Buch nicht an nehmen, ohne es zu bezahlen.«
Und sie legte es auf den Tisch.
»Warum können Sie das nicht?«
»Weil —« sie hielt inne und blickte auf den Teppich.
»Warum können Sie das nicht?« wiederholte ich mit einer so gereizten Stimme, daß sie ihre Augen erhob und mir fest ins Gesicht blickte.
»Weil ich mir nicht Verbindlichkeiten auferlegen lassen will, die ich nie wieder vergelten kann: ich bin Ihnen bereits für Ihre Güte gegen meinen Sohn verbunden, dafür aber müssen Sie seine dankbare Liebe und Ihre eignen Gefühle belohnen.«
»Unsinn!« platzte ich heraus.
Sie heftete wieder ihre Augen mit einem Blicke ruhigen, ernsten Erstaunens auf mich, welcher die Wirkung eines Tadels hatte, mochte er nun dazu bestimmt sein oder nicht.
»Sie wollen also das Buch nicht nehmen?« fragte ich milder, als ich noch gesprochen hatte.
»Ich will es gern annehmen, wenn sie mich dafür bezahlen lassen.«
Ich sagte ihr den genauen Preis und die Transport kosten dafür mit dem ruhigsten Tone, welchen ich aufbieten konnte, — denn ich war in der That nahe daran, vor getäuschter Erwartung und Aerger zu weinen.
Sie zog ihren Beutel heraus und zählte kaltblütig das Geld ab, nahm aber Anstand, es mir in die Hand zu geben. Sie betrachtete mich aufmerksam und bemerkte mit weichem, besänftigenden Tone:
»Sie halten sich für beleidigt, Mr. Markham — ich wollte, daß ich Ihnen begreiflich machen könnte, daß — daß ich —«
»Ich verstehe Sie vollkommen,« sagte ich, »Sie denken, daß ich, wenn Sie jetzt die Kleinigkeit von mir annehmen, mir später in Bezug darauf Zudringlichkeiten gegen Sie erlauben könnte, aber Sie irren sich. Glauben Sie mir’s, daß ich, wenn Sie, mich nur durch die Annahme derselben verbinden wollen, keine Hoffnungen darauf baue und dies nicht als Beispiel für künftige Begünstigungen betrachten werde — und es ist ein Unsinn, davon zu sprechen, daß Sie sich gegen mich Verbindlichkeiten auf laden, während Sie wissen müssen, daß in diesem Falle die Verbindlichkeit ganz auf meiner Seite — die Gunst auf der Ihren liegt.«
»Nun wohl, so nehme ich Sie beim Worte,« entgegnete sie mit dem engelhaftesten Lächeln, indem sie das verhaßte Geld wieder in ihre Börse gleiten ließ. »Aber, bedenken Sie ,« —
»Ich will bedenken — was ich gesagt habe — bestrafen Sie aber meine Voreiligkeit nicht dadurch, daß Sie mir Ihre Freundschaft gänzlich entziehen und erwarten Sie nicht, daß ich dafür büßen werde, daß ich mich — fremder gegen Sie benehme,« sagte ich, die Hand ausstreckend, um Abschied zu nehmen, denn ich war zu sehr aufgeregt, um bleiben zu können.
»Nun wohl, so wollen wir bleiben, wir wir gewesen sind,« antwortete sie, bereitwillig ihre Hand in die meine legend, und während ich sie darin hielt, kam es mir äußerst schwer an, sie nicht an meine Lippen zu drücken — aber das wäre selbstmörderische Tollheit gewesen; ich war bereits kühn genug gewesen, und diese voreilige Gabe hätte beinahe schon den Todesstreich gegen alle meine Hoffnungen geführt.
Mit aufgeregtem, brennenden Herzen und Gehirn eilte ich heimwärts, ohne auf die glühende Mittagssonne zu achten — Alles außer ihr, die ich eben verlassen, vergessend — nichts bereuend, als ihre Undurchdringlichkeit und meine eigne Voreiligkeit und Taktlosigkeit — nichts fürchtend, als ihren verhaßten Entschluß und meine Unfähigkeit, denselben zu besiegen — nichts hoffend — aber halt — ich will Sie nicht mit dem Kampfe meiner Hoffnungen und Befürchtungen — meiner ernsthaften Gedanken und Beschlüsse langweilen.
Neuntes Kapitel.
Eine Schlange im Grase.
Obgleich meine Liebe jetzt gänzlich von Elise Milward abgezogen war, stellte ich meine Besuche im Pfarrhause doch noch nicht ganz ein, weil ich sie, so zu sagen, allmählig fahren lassen wollte, ohne viel Kummer zu erregen oder mich vieler Rachsucht auszusetzen — oder mich zum Gegenstande des Gespräches im Kirchspiel zu machen und weil übrigens, wenn ich ganz ausgeblieben wäre, der Vikar, welcher glaubte, daß meine Besuche hauptsächlich, wo nicht gänzlich ihm galten, sich durch die Vernachlässigung entschieden beleidigt gefühlt haben würde. Als ich aber am Tage nach meinem Gespräch mit Mrs. Graham dort einen Besuch machte, war er zufällig nicht zu Hause — ein Umstand, der mir jetzt keineswegs mehr so angenehm war, als früher. Allerdings befand sich Miß Milward zu Hause, sie galt aber natürlich wenig mehr, als gar nichts; ich entschloß mich jedoch, meinen Besuch kurz zu machen und mit Elisen auf brüderliche, freundschaftliche Art zu sprechen, wie sie durch unsre lange Bekanntschaft gerecht fertigt wurde und die meiner Ansicht nach weder kränken, noch zu falschen Hoffnungen aufmuntern konnte.
Ich war nie gewohnt gewesen, mit ihr oder sonst Jemandem von Mrs Graham zu sprechen, ich saß aber noch keine drei Minuten da, ehe sie die Dame selbst auf etwas auffallende Weise aufs Tapet brachte.
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