Inzwischen war der Behörde verschiedentlich Unliebsames zu Ohren gekommen über einen Schmuggel mit unverzolltem Rum zwischen Helgoland und der Dithmarscher Küste. Der alte Strandvogt, der die Aufmerksamkeit der Amtsstellen nach der dänischen Grenze zu abzulenken gewußt hatte, starb um diese Zeit. Seinen Posten übernahm Harm Leweko, und eine seiner ersten Vogtshandlungen war, sich mit einer Anzahl Gendarmen, die ihm aus Schleswig zur Verfügung gestellt wurden – mit den ortszuständigen hatte er sich längst überworfen und bezichtigte sie allesamt der Unfähigkeit –, nach jener Schlickinsel einzuschiffen, die er als Schmuggelnest lange und laut schon in Verdacht gehabt hatte. Sie kamen auch unter Beobachtung aller Vorsicht durch den Ostpriel. Von einer Minensperre zeigte sich nicht eine Spur, und der neue Strandvogt lachte verächtlich über das Gefasel der albernen Koogbauern, die über Nacht einen Seeteufel und Störtebeker aus dem albernen, weggelaufenen Mariner und Muschelschlucker gemacht hätten. Er prahlte, er werde den Käskerl sanft wie ein Milchlamm und ganz allein aus seiner Schlammbude holen. Somit ließ er die Landjäger, die sich in der grauen, naßkalten Nordsee-Einsamkeit sowieso nicht zu Hause fühlten, an der Vorlandsgrenze im Boot zurück und stieg unbegleitet, allerdings die Flinte hinterm Knast, in seinen Schaftstiefeln den über zwei Kilometer breiten, öden Quellgürtel hinan, der ungestaltet, seltsam und häßlich wie etwas eben Geborenes die flache Kuppe Sandes umgab, die hinter einem kniehohen Dünensaum den Unterschlupf für den Gesuchten bot. Es war schon spät im Jahr, Vogelschwärme zogen wie schmale, enggestrickte Reusennetze durch die Diesigkeit des Tages.
Er soll mir nicht entgehen! sagte sich der Neuvogt. Denn er sah Rauch über der Bude aufsteigen. Aber er erstaunte, als er statt der morschen Schäferhütte, oder vielmehr hinter den Resten dieser, beim Näherkommen ein, wenn auch niedriges, so doch kräftig anmutendes Haus aus frischem Holz erspähte.
Einer der Gendarmen, der durch das Glas vom Boote aus des Vogtes Weg zu verfolgen vermochte, bemerkte, wie er die Flinte nach vorn schob und hinter dem Dünenkamm dort verschwand. Nach einer Weile hörte man aus jener Richtung einen Knall, der nichts anderes als ein Gewehrschuß sein konnte, und dem bald ein zweiter folgte. In Eile machten sie sich nun auf, um über das Vorland an die Hütte zu gelangen; ihre Füße sanken ein, und es dauerte fast eine halbe Stunde, ehe sie den niedrigen Dünensaum erreichten. Dort trat ihnen der Strandvogt entgegen und führte sie in das Haus, wo er im Vorraum auf ein Dutzend Rumfässer wies. In der Stube, die mit aller Behaglichkeit eingerichtet war, lag ein Mann erschossen auf dem Boden. Er war in Seehundsfell gekleidet. Neben seiner gekrampften Rechten lag ein noch neues Jagdgewehr. Ja, ja, das also war Mussei, der große Schmuggler, der rote Kieler. Da lag er nun wie ein toter Eskimo. Er sah ganz so aus, wie ihn die Bauern und Fischer zu beschreiben pflegten.
»Es ging nicht anders, er oder ich!« sagte der Vogt, »hier ging sein Schuß und Gott sei Dank vorbei in die Wand.«
Die Beamten gaben zu, daß die Sache hätte unglimpflicher ablaufen können. Der Vogt erklärte, ein Protokoll schon aufgenommen zu haben, zeigte auch dergleichen und ließ die Gendarmen den Tatbestand durch Unterschrift bekräftigen. Im übrigen müsse man sich sputen, sagte er sodann, da die Witterung unbeständig sei. Man vermied, an der Lage des Toten Wesentliches zu ändern, nahm ein Faß Rum als erstmaliges Zeugnis mit, und nachdem ein Wachtmeister flüchtig und hinterderhand zu einem seiner Kameraden bemerkt hatte, der Erschossene und der Strandvogt sähen einander merkwürdig ähnlich, und der Angeredete ihn taktvoll daraufhin anstieß, es seien ja auch Vettern gewesen die beiden, fuhr man wieder von dannen.
Der Strandvogt zeigte von da ab ein sonderbar verändertes Wesen, obschon die gerichtliche Untersuchung seinem energischen Vorgehen durchaus Billigung angedeihen ließ. Er war sanfter, namentlich gegen seine Frau, und beide machten oft einen seltsam heiteren Eindruck. Manche wollten allerdings seit der unseligen Tat eigentümliche Gedächtnisstörungen und eine veränderte Redeweise bei dem Strandvogt bemerkt haben. Vielleicht war ihm die Sache nähergegangen, als man hätte vorher vermuten mögen. Immerhin schien ihm, und wohl namentlich auch der Frau, die ein Kind zu erwarten begann, die Gegend nicht mehr zu gefallen. Er legte sein Amt nieder, verkaufte den Hof und wanderte nach Kanada aus.
Mieke Teersticken, als sie davon hörte, meinte einmal, die Vettern hätten im Tode ihre Personen ausgetauscht, oder vielmehr nur ihre Kleidung, und den man dort auf der Insel begraben habe, das sei der Vogt Harm Leweko, und der »rote Kieler« habe Amt und Frau des Toten kraft der Ähnlichkeit einfach übernommen.
Sie sagt auch, das allerdings sei keine Lüge, daß des Vogtes Gewehr erst an zweiter Stelle geschossen habe. Aber der es gegen die Wand abdrückte, das müsse Mussei selber gewesen sein. Vor der Tür säuselte der Wind, der weiß, wie es war. Und vor dem Deich liegt die See, sie ist nicht unendlich, und niemand ist aus der Welt, solange er lebt. Möge der, der die Herzen lenkt zu gut und böse, es milde mit uns meinen, damit wir bleiben können dort, wo unser Herz zu Hause ist.
Gelächter hinterm Horizont
Es gibt da an der Rampe eine kleine Bar Huddl di Nuddl, welch Name aus Hotel de Nelson entstanden ist und an frühere schönere Zeiten gemahnt. Man sieht auf den Hafen, den Qualm, die Schlote der Überseer, die Werften und die Docks und hört den markigen Lärm bis in die Funkmusik. Freitags abends ist da was los, dann wird viel Abschied gefeiert, und die guten Jungen aus der weiten Welt, Amerikaner, Engländer, Norweger und Deutsche durcheinander, betrinken sich an Grogs und an den Abenteuern, von denen sie nicht reden, aber von denen sie wissen und daran sie mit wenigen Worten rühren, worauf der andere im Bilde ist.
Saß da ein kleiner Kapitän vom Bugsierdienst, ein Mann, der sein Lebtag nichts als seinen Hafenschlepper gefahren und die Nase über Brunsbüttelkoog nicht hinausgekriegt hatte. Der saß da oft und hörte die fremden Namen der weiten Welt aussprechen, als sei es für fünf Pfennig in die Suppe. Er hatte ein ordentliches Zuhause, eine biedere Frau, Kinder, Anverwandte bis zum vierten Grad, sein geregeltes Auskommen und einen würdigen Bart, hell wie Sauerkraut. Aber wenn er aufstand und mit ziemlicher Schlagseite das Lokal verließ, blieb er auf der Treppe stehen. Drinnen sang man, und die Kellnerinnen und Landfeinladies waren denen, die so gut englisch sangen, mehr zugeneigt als jemandem, der die richtigen Seeleute mit ihren dicken Kästen nur ein wenig hin und her zieht von und zu den Liegeplätzen. Und er hörte das kitzlige Gelächter, und das klang wie weit her von Indien, Hawai und Tamatave, von allerlei lustigen Küsten her, die nie über seinen Horizont emporgetaucht waren. Er strich seinen Bart wie eine Harfe, und die Stimmen der Ferne klangen ihm daraus hervor.
Er hätte es ja längst haben können. Als er jung war, gab es noch Heuerbüros, und der paritätische Arbeitsnachweis und das Überangebot waren im Seemannsgewerbe unbekannte Begriffe gewesen. Aber damals hatte es ihn gar nicht gelockt, zwei seiner Brüder waren nicht wieder von See nach Hause gekommen, seinen Vater hatte er gar nicht erst kennengelernt. Er hatte es schlauer angefangen, war im Lande geblieben, dem Wasser dennoch verbunden, hatte die Prüfung für Schiffer auf kleiner Fahrt bestanden, seinen Schleppdampfer wie eine Wespe hin und her summen lassen zwischen den Kolossen der Meere, die draußen zwar prächtig und mächtig sein mochten, im Hafen aber schwerfällig sich nicht allein zu helfen wußten, und hatte den bescheidenen Honig in eine bescheidene Wohnung am Stubbenhuk getragen, und galt bei Nachbarinnen, Krämer, Grünhöker und Schlachter als wackerer Familienvater, bis auf die gelegentlichen Freitagabende.
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