»Alles gut, Moddetektiv«, flötete es beschwichtigend.
Worauf sich der Moddetektiv wider Erwarten aufs Neue echauffierte: »INSPECTOR!! Wenn ich was überhaupt nicht ausstehen kann, dann das, wenn man mich und meine berechtigte Besorgnis mit einem despektierlich herabmildernden ›Alles gut‹-Geflöte abtut! Besonders wenn nämlich so gut wie alles, alles andere als gut ist, WEIL NÄMLICH GAR NICHTS GUT IST!! Die zweite Welle einer Seuche ungekannten Ausmaßes hält die Welt eisern an der Lunge, die Menschen sterben wie Fliegen, allem voran die alten, und obwohl sich die Wissenschafter die findigen Finger fahrig forschen, ist es mehr als ungewiss, dass jemals je ein Gegenmittel erfunden wird.« Voller Zorn nahm der Moddetektiv die Plexiglasniesschutzkugel ab, zückte erbost seine blauen Rothmans und zündete sich kopfschüttelnd deren eine an. Kein leichtes Unterfangen, sollte man meinen, doch er behorsch es geil. Als sich die größten Wogen seiner Wut geglättet hatten, und es ihm bereits ein klein wenig leidtat, dass er den Inspector so angefahren war, frug er sanft: »Wie geht’s Ihnen denn so?«
Nach einigen mit raschelnden Kopfkratzgeräuschen und Stille befüllten Minuten räusperte sich der Inspector, dann seufzte er leise: »Was soll ich sagen, Moddetektiv, seit ich wegen des ärgerlichen Fehlurteils im Rosaplüschhandschellenserienmörderfall – wie Sie wissen, bin ich ja der festen Meinung, dass dieser Jason, der Chauffeur, nicht der Täter gewesen sein kann – um meine Pensionierung angesucht habe * * Catania Airport Club, Milena Verlag 2018
, ist mir ehrlich gesagt ein bisschen langweilig. Ein Tag gestaltet sich wie der andere, und gelegentlich fällt mir ein klein wenig die Decke auf den Kopf, vor allem seit die Mrs. und ich in Quarantäne sind. Verstehen Sie mich nicht falsch, natürlich genieße ich die mir jetzt im Übermaß zur Verfügung stehende Zeit mit Mrs. Krambambo, aber wenn Sie’s genau wissen wollen, das VNAPD geht mir ganz schön ab.«
»Ich verstehe Sie gut, so einem alten Haudegen wie Ihnen, einem Weitüber-einundsiebzig-Fälle-gelöst-Habenden, einem Noch-einer-noch-von-der-alten-Garde -Seienden, fällt es natürlich schwer, loszulassen und von einem Tag auf den anderen nur noch Zeitung zu lesen und den Rasen zu mähen, statt mit einer als ahnungslose Schusseligkeit und wirrer Ungepflegtheit getarnten, perfiden Ermittlungstaktik den Mörder mit kontinuierlichem Hinausgegehe und Sogleichwiederhereingekomme so lange zu verwirren, bis dieser, leichtsinnig geworden, das Handtuch wirft, sich selbst verrät und man sein verdattertes, manchmal auch wahnsinnig gewordenes Gesicht als Standbild sieht, bevor die Schrift kommt und es aus ist.«
»Sie sagen es, Moddetektiv.«
»Na gut, aaaaber: Haben Sie schon mal daran gedacht, Ihre Memoiren zu schreiben? Da gibt’s doch jede Menge spannenden Stoffs zu erzählen, und wer weiß, vielleicht wird eines Tages sogar eine Fernsehserie mit weit über einundsiebzig Folgen daraus gemacht?«
»Ach, ich weiß nicht, schwer vorstellbar, dass das jemand interessiert …«
»Also ich kann mir das ganz gut vorstellen.«
Es wurde still. In weiter Ferne heulten unaufhörlich die Sirenen der Rettungswagen, und während das schrille Zirpen der Zikaden die zunehmend zäh werdende Zeit in zahllose Scheiben zerzupfte, schwoll wie bei einem alten Videofilm, in dem gerade niemand spricht, das Hintergrundrauschen unerträglich laut an.
Der Moddetektiv hatte nicht gedacht, dass es ihm mit dem Inspector so schnell langweilig würde. Immerhin hatten sie sich seit Wochen nicht mehr gesehen. Aber es stimmte schon, seit Krambambo in Rente gegangen war, fehlte ihnen irgendwie die gemeinsame Gesprächsbasis, war ihnen die unter Vollprofis kurz CE genannte Criminal Energy abhandengekommen, die den ganzen verdammt kniffligen Fällen innegewohnt hatte, über die sie sich früher immer so gut hatten unterhalten können.
Und außerdem: Ist es nicht oft so, dass, wenn man jemanden nach langer Zeit wiedersieht, einem viel weniger einfällt, über das man sprechen könnte, als wenn man sich ständig begegnet? Man entfremdet sich eben, jeder geht seinen eigenen Dingen nach, hängt seinen eigenen Gedanken hinterher, lebt sein eigenes Leben, und am Ende hat man einander nichts mehr zu sagen. Eigentlich traurig, dachte sich der Moddetektiv heimlich. Doch dann fiel ihm wieder etwas ein, und das mittlerweile zu einem unerträglich brausenden Tosen angewachsene Hintergrundrauschen ebbte schlagartig ab.
»Sagen Sie mal, Inspector, glauben Sie, wird die Seuche die Gesellschaft verändern? Also falls wir die ganze Sache überhaupt überleben …«
»Na, Sie können vielleicht Fragen stellen, aber jetzt, wo Sie’s schon mal erwähnt haben – ja, da bin ich mir ziemlich sicher!«
»Und inwiefern?«, wollte der Moddetektiv sogleich wissen.
»Ich denke, die Seuche wird eine Verasiatisierung der ganzen Welt nach sich ziehen.«
»Verasiatisierung?«
»Sie haben mich richtig verstanden, Moddetektiv, Verasiatisierung. Die Menschen werden wesentlich höflicher, respektvoller und zuvorkommender miteinander umgehen. Der Einzelne wird sich zugunsten der Gesellschaft zurücknehmen. Das hat natürlich Vorteile, aber auch Nachteile: Man wird sich in Zukunft distanzierter, vorsichtiger, möglicherweise auch misstrauischer gegenübertreten. Überhaupt ist zu erwarten, dass die Postcoronaten konservativer sein werden als die Präcoviden. Aber nichtsdestotrotz: Im Miteinander und im Umgang werden die Leute freundlicher als vor der Katastrophe sein.«
Der Moddetektiv, seit jeher ein glühender Verfechter des scharfsinnigen Diskurses, nahm, von der gewagten Theorie Krambambos mäßig beeindruckt, sogleich die Position des Skeptikers ein: »Na, da wär ich mir nicht so sicher. Zumindest was Wien betrifft. Es liegt einfach nicht in der Mentalität der Bewohner dieses offiziell als unhöflichste Stadt der Welt anerkannten Ortes begründet, zuvorkommend, höflich und respektvoll zu sein. Jaja, mag schon sein, vielleicht für eine gewisse Weile, aber mit der Zeit wird sich bei den Leuten ein gewaltiges Potenzial an unterdrückter Unhöflichkeit aufstauen und sich so lange hochschaukeln, bis eines schönen Tages – dann, wenn keiner mehr damit rechnet – es aus dem Ersten, der es nicht mehr länger zurückhalten kann, einem Tourette-Anfall nicht unähnlich, herausplatzt, und er sein Gegenüber genussvoll eine ›ausgeschiedene Anusöffnung‹ heißen wird. Und der als defäkierte Rosette Verunglimpfte wird das nicht lange auf sich sitzen lassen und es stinkenden Fußes mit ›betagtes Skrotum‹ quittieren. Was unweigerlich eine gesellschaftliche Kettenreaktion zur Folge haben wird, im Zuge derer auf kurz oder lang wieder alle so unhöflich sein werden, als hätte es Corona nie gegeben.«
»Na, wir werden ja sehen.«
»Das werden wir.«
Nachdem sie noch ein wenig über Mod und die Welt schwadroniert hatten und die Stille aufs Neue über sie hereinzubrechen drohte, deutete der Moddetektiv dezent an, jetzt dann mal langsam zu glauben, zu werden …
»Jaja, machen Sie nur, Sie haben sicher noch jede Menge zu tun«, sagte der Inspector, doch der traurige Klang in seiner Stimme schnitt dem Moddetektiv tief ins Herz. Viel Einsamkeit lag darin. Damit der Abschied einen nicht allzu betrüblichen Ausklang nahm, stellte er eine Frage, die ihm schon die ganze Zeit auf den coronageschuldet nicht in vollster Blüte stehenden Lippen brannte: »Wie geht es eigentlich Mrs. Krambambo?«
»Den Umständen entsprechend, ich darf wegen der Ansteckungsgefahr natürlich nicht zu ihr ins Schlafzimmer, was ehrlich gesagt nicht immer ganz einfach ist. Wir sind zwar schon alte Leute, nichtsdestotrotz pflegen wir nach wir vor ein reges Sexu-«
»Schweigen Sie augenblicklich, Krambambo, davon will ich absolut nichts wissen!«, rief der Moddetektiv, derbei jäh erschauernd. Der Inspector war ihm ein guter Freund und untadeliger Kompagnon, doch das bizarre Bild eines Krambambo, der sich als blutvoller Beischläfer in ekstatischen Zuckungen auf seiner Mrs. umherwand, bereitete ihm beträchtliche Pein.
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