Kapitel 3
Der irische Dichter
Ähnlich wie die derben Kaschemmen und rauen Hintergassen von Covent Garden John Harrisons Charakter früh ihren unauslöschlichen Stempel aufgedrückt hatten, sollten bei einem anderen jungen Mann die Theater und Bücherstände Dublins ihre Spuren hinterlassen. Ungefähr um die Zeit, da der jugendliche Harrison den Gästen des Bedford Head ihre Bierkrüge auftrug, schrieb ein bessergestellter irischer Schuljunge fieberhaft Reimpaar um Reimpaar nieder. Schon im zarten Alter von dreizehn hatte Samuel Derrick entschieden, Dichter zu werden. Kein zweitklassiger Federfuchser oder Verfasser niedriger Trivialwerke, sondern jemand, dessen Name an der Seite von Jonathan Swift und William Congreve ins Pantheon der anglo-irischen Literatur eingehen würde. Seine Lehrer sowie »etliche geistreiche Männer der gebildeten Welt« hatten in seinen frühen Arbeiten durchaus vielversprechende Ansätze entdeckt. Einer von ihnen, Swifts Verleger George Faulkner – und womöglich ebenso der berühmte Dichter höchstselbst –, war voll des Lobes gewesen. Diese »geistreichen Männer« konnten nicht ahnen, dass ihre frühe Billigung eine Folge von Ereignissen anstoßen sollte, die Samuel Derrick weitab von seinem vorgezeichneten Pfad führen würde.
Für das Leben, das andere für ihn vorgesehen hatten, war das Verseschmieden sicherlich keine erforderliche Fertigkeit. Seine Tante, zugleich sein Vormund, die respektgebietende Witwe Mrs. Elizabeth Creagh, hatte beschlossen, aus ihrem Neffen einen Tuch- und Textilhändler zu machen. Als sein vierzehnter Geburtstag und damit das Ende seiner regulären Schulerziehung immer näher rückte, begann Sam zunehmend nervös zu werden. In wenigen Monaten war es Zeit, seine geliebten Lateingrammatiken und griechischen Texte, die Geschichtsbücher und Werke der französischen Literatur, in die er sich so lernbegierig vergraben hatte, wegzuräumen. Stattdessen würde man ihm dicke Geschäftsbücher voll stumpfsinniger Abrechnungen vorlegen, und das Befühlen von Leinen und Prüfen der Tuchqualität sollte an die Stelle seiner wahren Leidenschaften treten. Sein Lehrherr würde ihm Vorträge über die Wunder der Bleichkunst sowie über Transportkosten halten und ihn in all den kleinen Feinheiten der Leinenbörse unterweisen: wie man blendet und schachert, wen man anständig zu bezahlen hat und wen man rupfen kann. Bis er selbst ein fertig ausgebildeter Meister seines Fachs war, würde er sieben Jahre lang an einen Tuchhändler gebunden sein, sieben Jahre unter dem Dach eines Fremden wohnen, der jede seiner Bewegungen beobachten würde, der ihm den Ausgang verbieten konnte, übermäßigen Alkoholgenuss und den käuflichen Verkehr mit dem anderen Geschlecht. Für die Literatur gäbe es da keine Zeit und keinen Bedarf mehr, weder für die behäbigen Folianten eines Joseph Addison oder Alexander Pope noch für eigene Geistesschöpfungen.
Als er merkte, wie ihm seine letzten freien Schulknabenmonate unter den Händen zerrannen, verfiel er in ein manisches Schreibfieber, in der Hoffnung, dass ihm einmal etwas Veröffentlichungsreifes gelingen könnte. Er begann, lyrische Bearbeitungen der Psalmen zu verfassen, und zeigte sich auch vom Werk des irischen Autors Philip Skelton stark beeindruckt, von dessen »Truth in a Mask« er sich zu eigenen Versen inspirieren lassen sollte.
Noch zu unerfahren, um über die Freuden der Liebe und die Geheimnisse der Frauen ins Schwärmen zu geraten, brachte Samuels jugendliche Feder eine moralisierende Allegorie hervor: »The Caterpillars; a Fable«. Zwischen seinen predigenden Zeilen, die einer ungestümen Raupe, welche nicht auf etwaige Schmetterlingsflügel zu warten gewillt ist, zur Geduld raten, bietet das Gedicht freilich auch eine alarmierende Kostprobe von Sams eigenen heimlichen Gefühlen:
Teach fools such fancies to believe,
Me with such flams you’ll ne’er deceive;
Content with smaller joys, I chuse
To live, nor real pleasures lose
For doubtful hopes, nor shall abstain,
But quick the leaf alluring gain;
And wherefore should I thus delay,
When instinct kindly points the way?
Farewel, fond dupe to fortune’s pow’r –
’Tis mine t’improve the present hour.
Lehr’ Narren zu glauben solch’ Grillen und Lügen,
Dein Schwindel wird mich doch niemals betrügen;
Zufrieden mit klein’ren Freuden wähl’ ich zu leben
Und die wahren Vergnügen nicht aufzugeben
Für fragliche Hoffnung; will auch nicht entsagen,
Sondern flugs zum verlockenden Blättchen mich wagen
Warum auch sollt’ ich’s so lange noch aufschieben?
Werd’ von der güt’gen Natur den rechten Weg doch getrieben
Adieu, du Gimpel, genasführt von des Schicksals Macht –
Nun ist’s an mir: Ich bin’s, dem die Stunde lacht.
Hätten jene, die dem Knaben am nächsten standen, sein Werk nur sorgfältig geprüft, hätten sie vielleicht schon leise zu erahnen vermocht, wohin sein künftiger Entwicklungsgang ihn einmal führen könnte.
Über die Grundfakten seiner Geburt hinaus wissen wir nur sehr wenig über jenen Jungen aus Dublin, der 1724 das Licht der Welt erblickte. Nicht einmal die Namen seiner Eltern sind uns bekannt; vielleicht hat er da selbst ein wenig Vorschub geleistet. In späteren Jahren legte Sam, der immer nach Größe strebte, der Welt die eigene Version seines Stammbaums vor, etwas Romantisches, wie es einem Poeten geziemt. Nach seiner Aussage stammte er von den Derricks aus dem County Carlow im Südosten Irlands ab, die »in früher Zeit« aus Dänemark herübergekommen sein sollten. Die Derricks seien dann zu protestantischen Landbesitzern aufgestiegen, und bis zur Irischen Rebellion von 1641 besaßen sie neben ihrem als das »Old Derrick« bekannten Herrenhaus in der Nähe der Stadt Carlow noch Pachtgüter in den Grafschaften Carlow und Meath. Doch als nun die religiösen Unruhen zwischen Katholiken und Protestanten die Grüne Insel überzogen, wurde die Familie ihres Landes beraubt. Der blutige Kampf, so behauptete der Dichter, mündete in das »Massaker ... an mehreren meiner Familienglieder«, die dem Feind in die Hände fielen und »an den Gestaden der See ermordet« wurden. Nur einigen wenigen Überlebenden soll die Flucht nach England gelungen sein. Für die Familie seines Vaters habe der Krieg den Ruin bedeutet, während diejenige seiner Mutter, die Drakes von Devonshire, unter der Regierung Oliver Cromwells weit nach oben kam. Sein Großvater, prahlte Sam stolz, sei damals ein General der Parlamentarier gewesen.
Über all den Berichten von Landbesitzern und Generälen Cromwells versäumt er allerdings, uns mitzuteilen, dass er ganz unmittelbar aus einer Familie von Geschäftsleuten stammte. Nichts in seinen Schriften oder in dem wenigen, was von seiner Korrespondenz auf uns gekommen ist, weist darauf hin, dass er Eltern oder Geschwister hatte – deren wahre Lebensumstände hätten vielleicht nicht in die Legende gepasst, die er um sich zu spinnen trachtete. Allein das Gerücht, seine Mutter habe sich »in die einfachen Verhältnisse eines kleinen Tuchhändlers hinabbegeben«, könnte eventuell einen verführerischen Hauch von Wahrheit enthalten. Was seine übrigen Verwandtschaftskreise anbelangt, so hatte sich, ungeachtet aller etwaigen Verluste im Laufe des vorangegangenen Jahrhunderts, ihr Geschick in den zwanziger Jahren des 18. Jahrhunderts zum Besseren gewendet. Durch ihre Aktivitäten in der prosperierenden Leinenindustrie Dublins hatten sie einen Teil ihrer verlorenen Größe wiedergewonnen, und um die Zeit von Sams Geburt konnten sie sich durchaus zur wachsenden Mittelschicht der Stadt zählen, die in verhältnismäßig gesicherten Verhältnissen lebte. Der Erfolg lachte allen, die das Tuch kauften und verkauften, das Englands Unterwäsche lieferte und seine sauber aufgeräumten Tische schmückte. Während die Heimarbeiter in dunklen Grassodenhäusern webten und stickten, lebten die reichen Tuchhändler von deren Arbeit und verkauften ihre Produkte in der höhlenartigen Dubliner Tuchhalle. Über Jahrhunderte hinweg war das irische Leinen der Stolz des Landes, und seine Profite machten die Händler zu angesehenen Bürgern der Stadt.
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