Allmählich kam es dahin, daß wir uns mit Stolz als Besitzer von Sophienlust ausweisen konnten. Dieses Bewußtsein mußte uns über die betrübliche Tatsache trösten, daß der von Johannes ausgesetzte Tausender nicht unbeträchtlich überschritten worden war.
„Die Gäste werden es wieder hereinbringen“, sagte ich tröstend, „ein Unternehmen ohne Risiko gibt es bekannt lich nicht!“ Johannes konnte nicht umhin, diesen Ausspruch zu belächeln; seine Meinung von meinen geschäftlichen Fähigkeiten war außerordentlich gering.
Am ersten Mai übersiedelten wir nach Sophienlust. Ich hatte mich für die Sommermonate einer Köchin namens Fanny versichert, die laut Zeugnis „mit Erfolg im Gaststättengewerbe tätig gewesen war“. Außerdem nahmen wir unsere brave Rosa mit; seit Hinz’ Geburt stand sie unserem kleinen Hauswesen mit Umsicht vor. Sie würde mit Hilfe von Frau Windschagl die Hausarbeit verrichten und bei Tisch servieren, während Xaver Windschagl sich bereit erklärt hatte, im Nebenamt den Posten eines Hausmeisters zu übernehmen.
Unser Einzug gestaltete sich dank Tom und Lydia triumphal. Über der Haustür prangte, umrahmt von Girlanden, ein Transparent mit der verschnörkelten Inschrift: „Es lebe die Schloßherrschaft!“ In der Diele, die ihren feierlichen Moderduft allem Lüften zum Trotz getreulich bewahrt hatte, standen Tom und Lydia mit Frieda. Sie brachen bei unserem Anblick in einen kunstvollen Kanon aus, in dem wir und Sophienlust umschichtig gepriesen wurden. Frieda sang aus vollem Halse mit; ihre düstere Erscheinung war durch ein Blumensträußchen festlich aufgehöht.
Den Glanzpunkt der Empfangsfeierlichkeiten jedoch bildete die Überreichung eines schönen Bildes von Tom. Es wurde ausersehen, an Stelle der ringelreihentanzenden Mädchen mit den Rosenkränzen unser Wohnzimmer zu schmücken.
Die Antworten auf unsere Anzeige trafen durchaus nicht so schnell und zahlreich ein, wie ich erwartet hatte. Da wir die Frage, ob Sophienlust über fließendes Kaltund Warmwasser verfüge, mit Bedauern verneinen mußten, wurden unsere ersten zagen Hoffnungen im Keime erstickt.
„Früher haben sich die Leute doch auch aus einfachen Waschschüsseln gewaschen, ohne Schaden an ihrer Sauberkeit zu leiden“, sagte Johannes empört und vergaß, daß er selber auf Reisen stets großen Wert auf jene bequemen Waschtische gelegt hatte, in deren geräumige Becken das Wasser aus blanken Nickelhähnen floß.
Eine Dame aus Berlin wollte wissen, ob in Seewang a. See Tanztees und gutes Kino geboten werden. Im Gasthof zur „Blauen Forelle“ fanden zwar Samstags und Sonntags Kinovorstellungen statt, sogar mit Bierbetrieb, aber es war nicht anzunehmen, daß sie den Ansprüchen der Dame aus Berlin genügen würden, ebensowenig wie die Konditorei von Wimmers Erben, die, zwar ihrer Prinzregententorten wegen berühmt, doch kaum als Tummelplatz moderner Lustbarkeit angesprochen werden durfte.
Schließlich fragte ein Fräulein Posiegel aus Potsdam an, wie es mit schattigen Waldspaziergängen beschaffen sei. Wir atmeten auf. Endlich eine Frage, die es uns ermöglichte, Seewang und seine Umgebung in leuchtenden Farben zu schildern. An Wald war kein Mangel, ebensowenig wie an idyllischen Ruheplätzchen. Wir sandten Fräulein Posiegel eine stark geschmeichelte Photographie, auf der sich Sophienlust als trutziges Schlößchen präsentierte, verbunden mit einem feurigen Hymnus auf die Reize der Natur.
Daraufhin teilte Fräulein Posiegel uns mit, der Gedanke, ihre Ferien in Sophienlust zu verbringen, habe viel Verlockendes; allerdings müsse sie uns darauf aufmerksam machen, daß sie überzeugte Vegetarierin sei. Ob wir diesem Umstand Rechnung tragen könnten?
Ich besprach mich mit Fanny, der im Gaststättengewerbe Erprobten. Sie fand keine Schwierigkeit in der Herstellung vegetarischer Kost. „Wann S’ mir nur koane Zuckerkranken daherbringen“, meinte sie, „oder solche, die wo’s auf der Leber haben! Dees war fei gfehlt!“ Ich versprach, mein möglichstes zu tun, und verhieß Fräulein Posiegel außer Vegetarischem in Hülle und Fülle unser schönstes Südzimmer mit Balkon zu RM 7.50.
Einige Tage schwebten wir in Ungewißheit; dann jedoch kündete Fräulein Posiegel ihr Kommen für Anfang Juni an. Mit der gleichen Post kam ein Brief von Onkel Eduard aus Magdeburg, in dem zu lesen stand, daß er unser Haus seinem Freunde, einem Herrn Amtsgerichtsrat Perlhuhn, aufs wärmste empfohlen hatte. „Und hoffe ich, daß Ihr meinem Vertrauen Ehre machen werdet“, schrieb Onkel Eduard und schloß mit „den besten Grüßen von Haus zu Haus“.
„Die Gäste kommen!“ rief ich triumphierend Johannes entgegen, als er abends mit August herauskam.
Wir saßen zu dritt im Speisezimmer beim Abendessen. Unsere Stimmen hallten in dem großen Raum; obwohl die weit offenen Fenster das sanfte Licht des Maiabends ungehemmt hereinströmen ließen, waren die Decken in tiefes Dunkel gehüllt.
„Wenn man bedenkt, daß Onkel Theodor und Tante Sophie sich hier monatelang allein gegenübergesessen haben —“, erwog ich nachdenklich.
„Haben sie sich gefürchtet?“ fragte Hinz interessiert.
Nein, das glaubten wir nicht; aber sehr gemütlich konnte es kaum gewesen sein, in einer Umgebung, in der alles auf düstere Feierlichkeit abgestimmt war. Allein die Stühle! Onkel Theodors Wappen mit dem blutdürstigen Löwen prägte sich auf schmerzhafte Weise meinem Rücken ein. Wir waren alle froh, als wir das Essen hinter uns hatten und durch den Park zum See hinunterbummeln konnten.
Die große Linde vor dem Hause prangte in schaumigem Grün. Wir gingen durch das feuchte Gras zum See hinab. Während Hinz im Gartenhäuschen jubelnd die Reize einer blutrot oder grasgrün gefärbten Welt entdeckte, saßen wir auf dem morschen Bootssteg und ließen die Füße über dem Wasser baumeln. Kleine Wellen verliefen wie Spitzengeriesel auf dem flachen Strand, der Abendwind spielte raschelnd im Schilf, es roch nach Wasser und faulem Holz.
Hinz kam herbeigelaufen und forderte Johannes zu einem Wettbewerb im „Butterbrotwerfen“ auf. Es galt, einen flachen Stein so auf das Wasser zu werfen, daß er mindestens vier- bis fünfmal die Wasserfläche berührte, bevor er versank. Vater und Sohn waren mit gleicher Hingabe bei der Sache; Johannes gestand Hinz eine Vorgabe zu, auf daß es kein unlauterer Wettbewerb werde. Es war ein herrliches Spiel!:
Ich saß allein auf dem Steg. Die bewaldeten Hügel am gegenüberliegenden Ufer zeichneten sich scharf vom dämmerigen Himmel ab; davor lag, ein Haufen heller umrißloser Flecken, die Ortschaft Seeried, die sich stolz Luftkurort nannte, weil sie über eine Seepromenade mit bunten Lämpchen und über ein „Strandhotel“ verfügte. Zur Linken, dort, wo der See kein Ende zu nehmen schien, schimmerte in zarten verwischten Umrissen das Gebirge. An föhnigen Tagen war es, als türme es sich, blauschwarz und drohend, unmittelbar hinter dem See auf. Die kleinen Wellen liefen den Strand herauf, in einem unaufhörlichen sanften Rhythmus. Mein Herz wurde weit in einem unnennbaren Glücksgefühl; das Dasein kam mir gut und einfach vor.
Mai in Sophienlust! Hellgrüne Wiesen, verschwenderisch mit Schlüsselblumen bestickt, und moorige Bächlein, von den goldenen Köpfchen der Trollblumen umsäumt! Weiße Wattewolken am seidenblauen Himmel und das vielstimmige Konzert der Frösche abends im Moor! Wir lebten herrlich und in Freuden. Das ganze Haus gehörte uns. Wir waren unsere eigenen Gäste und bewohnten die „Arena“, das imponierende Zimmer im ersten Stock, darin Onkel Theodors und Tante Sophiens Ehebetten sich wie Puppenbetten ausnahmen, so groß war es!
Hinz ging in Seewang zur Schule. Unablässig bestrebt, es seinen neuen Kameraden gleichzutun, lernte er von einem Tag zum andern gellend auf den Fingern zu pfeifen, und eines Abends erwischte ich ihn dabei, wie er, hochrot vor Eifer, seine Lederhose mit Lehm beschmierte, auf daß sie „zünftiger“ ausschaue.
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