Er entschuldigte sich: sonst ging er nicht so am Feierabend, nicht so im Arbeitskittel, das brauchten die Mamsells nicht zu denken; aber er war heute erst spät in der Schlosserei fertig geworden, es hatte nicht mehr gelohnt, sich umzuziehen, er hatte nur mal eben noch einen kleinen Gang machen wollen, und für den — es kam eine leichte Verlegenheit in seine Stimme, aber mit einem lauten Auflachen schüttelte er diese Verlegenheit ab — für den Gang war der Kittel noch gut genug!
Eigentlich hatte er etwas Freches. Minne fand das: was lachte er denn so nichtsnutzig? Sie glaubte, ihn schon einmal gesehen zu haben, in der Zimmerstrasse, wie er da bei Schlosser Rummel in der Tür gestanden hatte, die Hände in den Hosentaschen. Er war so gross und stark! Verstohlen guckte sie zu ihm auf: er war aber doch ein gutmütiger Mensch! Er gefiel ihr besser als Males Kürschnermeister, auch besser als Miekes Tischler. Ein Schlosser also, ein Schlosser —?! Aber sie sprach kein Wort mit ihm, sie liess nur Luise mit ihm sprechen. Die schwatzte in einem fort.
Als sie mehrmals bis hin zur Schützenstrassenecke geschlendert waren und wieder zurück und die Mädchen dann endlich nach Hause mussten, weil von der Jerusalemer Kirche die Uhr dröhnte und des Nachtwächters dumpfe Stimme von ferne mahnte: «Zehn is die Glock! », wusste Wilhelmine Schulze, dass der grosse Schlosser Hermann hiess. Hermann Henze.
Und dass sie Schulzes Minne war, und dass man bei Christian Schulze hinterm Laden in der kleinen Stube ausser Weissbier auch Essen bekommen konnte, wenn man bescheidene Ansprüche machte, das wusste er nun auch.
Vater Schulze hatte heute auf seinem Plan, den er gleich vorm Tor, hinter der Mauer des Jerusalemer Kirchhofs, dicht am Upstall, wo die Tempelhofer Bauern ihr Vieh weiden, besass, den letzten Weisskohl geschnitten. Nun führte er den auf seiner Handkarre heim durchs Hallesche Tor, übers runde Loch des Belleallianceplatzes, an all den Kavallerieställen vorbei, die lange Friedrichstrasse hinunter.
Er hatte eine gute Ernte gehabt, schon vier alte Weinfässer voll Sauerkraut hatte seine Lene eingelegt; dies hier gab ein fünftes. Ja, sie verstand das ausgezeichnet, Schulzes Sauerkohl war beliebt und berühmt. Der Mann verzog schmunzelnd sein bäuerliches Gesicht. Auch die Schweinchen, die er hinten im Hof fettmachte, waren rund und versprachen so gute Schinken und Pökelfleisch, dass einem das Herz im Leibe lachen konnte. Aber er wurde doch gleich wieder ernst. Und wenn auch die Kartoffeln gut gelohnt hatten, und er sich besseren Erlös von Kraut und Kartoffeln versprechen durfte als Nachbar Schilling von seinem grösseren Stück, das er weit draussen bei Kriegersfelde mit Korn bebaute, es war doch keine erfreuliche Zeit, in der man jetzt lebte.
Seit der Krakeelerei im Frühjahr, seit dem Kartoffelkrieg, war’s nicht mehr so gemütlich in Berlin. Es wollte sich etwas vorbereiten, das fühlte selbst der einfache Bürgersmann, der sonst an nichts weiter gedacht hatte, als wie er seine Kinder grossziehen und in Ehren sein Stück Brot verdienen sollte. Aber was bereitete sich vor?!
Christian Schulze hielt einen Augenblick an; die Ladung war schwer, und der Gurt, den er, um besser mit seinem Karren das Gleichgewicht halten zu können, sich über den Nacken gelegt hatte, drückte ihn schmerzhaft. Er schlüpfte einen Augenblick aus dem Joch heraus, richtete den gebeugten Rücken gerade, pustete und nahm eine Prise.
Ja, ja, es war eine Zeit, ähnlich der von Anno dreizehn! Da hatte man auch so unter einem Druck hingelebt; aber das war doch ein anderer Druck gewesen, nicht so dumpf, man hatte gewusst, worunter man seufzte. Aber worunter seufzte man jetzt? Das war schwer zu sagen. Unter allerlei.
Christian Schulze hatte in seiner Wirtsstube einiges aufgeschnappt. Da war jetzt viel Zuspruch. Der grosse Schlosser, der Henze, der der Minne nachstieg, und August Lehmann, Mieken ihrer, die hatten Freunde, eine ganze Masse. Man musste es zugeben, feine waren darunter, es konnte einen wunder nehmen, dass einfache Handwerker solche Freunde hatten. Herren. Der eine von ihnen war ein Student mit langen Haaren. Und sie machten grossen Krach und räsonierten; man musste immer acht haben, dass die Tür vorn nach dem Laden geschlossen blieb, und die Ladentür nach der Strasse auch. Wenn einer da gerade vorbeigegangen wäre und hätte das gehört!
Schulze duckte sich und kroch wieder unter seinen Gurt. Langsam karrte er die schwere Last weiter. Ach, es war ihm gar nicht recht, dass der grosse Schlosser so oft kam! Der war ein Brausekopf, gleich mit der Faust aus der Tasche und mit dem Maul vorneweg. Das war kein Mann für die Minne. Überhaupt, wenn die auch was mitkriegte, so viel war es doch nicht, dass der Geselle sich hätte als Meister setzen können. Keine Versorgung! Verdriesslich runzelte Schulze die Stirn. Noch dazu jetzt bei solch unsicheren Zeiten! Und die Minne war überhaupt noch viel zu jung, und die dachte ja auch noch gar nicht an heiraten!
Das beruhigte den Vater von sieben Töchtern, seine Stirn glättete sich. Nun war er wieder der alte zufriedene Christian Schulze, der ein so behagliches Lachen hatte, ein Lachen, das ihn auch nicht verlassen hatte, als ihm die Witten ein kleines Mädchen nach dem andern hinhielt: «Ieses, Schulze, ick bin unschuldig dran, schonst wieder ’n Mädel! »
«Warum denn nich?! Bin ick janz zufrieden mit! »Und zu seiner Frau war er hineingegangen, die ein wenig ängstlich im Bette lag, und hatte ihren unsicher-fragenden Blick mit einem ganz strahlenden erwidert und hatte ihr die Wange geklopft: «Haste brav jemacht, Lene! »
War es denn nicht besser in diesen Zeiten, man hatte Mädels als Jungens? Wer weiss, was einem mit denen noch alles bevorstand?! Die Jugend von heute war ja ganz verrückt, die wollte sich nicht begnügen, wie es nun einmal war, die hatte lauter Sachen im Kopf, auf die ein ruhiger Bürgersmann von selber gar nicht gekommen wäre. Was sie nicht alles haben wollten! Der Student hielt immer Reden. Und sie regten sich auf dabei und kriegten rote Köpfe.
Schulze blieb auf einmal stehen, pustete und schlüpfte wieder vor unter dem drückenden Gurt. Recht hatten sie darin: der Bürger müsste auch einmal was sagen dürfen! Das Volk, das Steuern zahlt, sollte auch das Recht einer Stimme haben. Oho, der Untertanenverstand war lange nicht so beschränkt, wie die da oben meinten! Der ging nicht auf den Leim, wenn der König auch noch so schön redete und redete und immer was verhiess. Der Untertanenverstand wusste ganz genau: wer so viel redet, der gibt nicht. «Gnaden wollen wir nicht, »sagte der Student, «wir wollen Rechte! »
Mit einem Brummen schob Schulze seinen Karren wieder voran; aber unter den Gurt kroch er nicht mehr.
Es war noch recht drückend für diese Jahreszeit. Sich den Schweiss mit dem roten Sacktuch wischend, hielt Schulze endlich vor seinem Hoftor. Er wollte gerade abladen und nach einer seiner Töchter rufen, dass sie kam und half, da segelte die Witten querüber auf ihn zu.
Sie hatte es eilig wie immer, wie immer flogen ihre Haubenbänder, und wie immer trug sie am Arm die grosse schwarze Glanzledertasche, die etwas Geheimnisvolles an sich hatte mit ihrem weiten Bauch. Aber so eilig hatte sie es doch nicht, dass sie nicht bei dem Nachbar stehen geblieben wäre. «Schöne Kohlköppe. Seid froh bei die teure Zeit! »
«Bin ick ooch! »Er schmunzelte; aber dann machte er ein ernstes, etwas verlegenes Gesicht. Die Witten kam ihm gerade recht. Er hatte es sich schon immer vorgenommen und auch mit seiner Lene davon gesprochen, dass er ihr sagen wollte, sie sollte ihre Luise nicht so viel hinüberschicken. Nun wurde es ihm schwer. Die Luise war am Ende doch ein ganz fleissiges Mädel, eigentlich liess sich nichts gegen sie sagen, und sie hatte Minne auch so gern, aber, aber — sie war eben zu viel auf der Strasse, und sie kam mit Dingen in Berührung, von denen die Minne noch gar nichts zu wissen brauchte. Aber als er der Witte jetzt in das abgehetzte müde Gesicht sah, das er sich nie erinnerte, anders gesehen zu haben als abgehetzt und müde — die arme Frau kriegte zu wenig Schlaf, sie sass oft ganze Nächte auf dem Stuhl mit einer Tasse Kaffee, damit sie gleich bei der Hand war, wenn’s losging — fand er nicht den Mut, ihr das mit der Luise zu sagen. Es würde ihr wehtun. Und so fragte er denn nur nach den beiden Jungen — das waren rechte Tunichtgute — mussten die sich nicht bald stellen zum Militär?
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