Edelbert Richter
FÜR EIN ENDE
DER HALBWAHRHEITEN
Korrekturen an unserem Bild von Judentum
und Nationalsozialismus
Vorwort
Zur Einleitung: »Enttäuschte Liebe« – Historische Hintergründe von Brexit und Trumps Präsidentschaft
EIN NÜCHTERNER BLICK AUF DIE JÜDISCHE GESCHICHTE
1. Das erwählte Volk
2. Was wir heute Völkermord nennen
3. Was wir heute Rassismus nennen
4. Vom »Segen der Geldleihe« im Mittelalter
5. Der Vorteil, keinen eigenen Staat zu haben
6. Inspiration für das moderne Nationalbewusstsein
7. Privilegierte Hofjuden im Absolutismus
8. Das einflussreichste Finanzhaus Europas
9. Einer der ersten Rassentheoretiker wird zum mächtigsten Mann der Welt
10. Weitere jüdische Vertreter der »Blutsgemeinschaft«
11. Der Zionismus: »typisch deutsch«
12. Der Frontenwechsel des Judentums im Ersten Weltkrieg
13. Zweierlei Boykott und das Haavara-Abkommen
14. Wie der Holocaust instrumentalisiert wird
15. Funktionen des Symbols »Holocaust« seit dem Umbruch der 1970er Jahre
16. Schluss
Exkurs: »In dem Wahne, über alle Maßen mild und mitleidig zu sein…« – Zur jüdischchristlichen Tradition des Heiligen Krieges
NOTIZEN ZUM NATIONALSOZIALISMUS – EIN VERSUCH, DAS UNVERZEIHLICHE ZU VERSTEHEN
A Die Wurzeln: Enttäuschungen, Kränkungen, Versagungen
1. Das Scheitern des proletarischen Internationalismus: nationaler Sozialismus
2. Die Kriegserfahrung: erhöhte Gewaltbereitschaft
3. Die Kriegspropaganda des Westens: Entfesselung des Unbewussten
4. Die unehrenhafte Niederlage: das Ende Deutschlands?
5. Der Versailler Vertrag: Sieger unschuldig, Verlierer schuldig
6. Der Boykott der deutschen Wissenschaft: der Geist als bloßes Mittel
7. Die Entwertung des Geldes: Aufwertung des persönlichen politischen Willens
8. Die weltanschauliche Verunsicherung: trügerischer Traditionalismus
9. Die Weltwirtschaftskrise: unentschiedener Hegemonialkampf und Naturzustand
10. Die Zwangslage zwischen Ost und West: Suche nach einem Dritten Weg
Bilanz der Enttäuschungen
B Bemerkenswertes am Nationalsozialismus
1. Modernismus: Pionier des »Goldenen Zeitalters«
2. Antimodernismus: Pionier des Umweltschutzes
3. Heidegger: das »Andenken an das Sein«
C Fragen zum Weltkrieg
1. Der Überfall auf Polen: Entfesselung des Weltkriegs?
2. Hitler-Stalin-Pakt und »Phoney War«
3. Die Blockade: Eskalation des Krieges
4. Keine willkürlichen Überfälle
5. Das »Unternehmen Barbarossa«: Ende des Rechts, Tiefpunkt des Naturzustands
6. Die USA: der lachende Dritte
D Überlegungen zur Schuldfrage
1. Rückblick
2. Bemerkungen zum Nürnberger Tribunal 1945/46
3. Paradoxien des deutschen Schuldbewusstseins
E Menschheitsverbrechen
1. Nachahmung der angelsächsischen Expansion und des Rassismus
2. Politische Religion und Mord an den Juden
2.1. Geistesgeschichtlich: durch Nietzsche vorbereitet?
2.2. Realgeschichtlich: aus Vernichtungsfurcht
Endnoten
Literatur
Nachdem ich so emphatisch von der deutschen Vernunft gesprochen habe 1, drängte sich mir die Frage nach der abgründigen Unvernunft auf, die die Deutschen unter nationalsozialistischer Herrschaft demonstriert haben. Viele Geisteswissenschaftler sind gar der Meinung, durch diese Praxis sei die Vernunft insgesamt in Frage gestellt und im Grunde widerlegt, so dass man sich auf sie gar nicht mehr berufen könne. Angesichts der nationalsozialistischen Verbrechen könne von einer »guten deutschen Geistestradition« gar keine Rede mehr sein. Diese Meinung ist jedoch schon deshalb unsinnig, weil man Unvernunft nun einmal nicht verurteilen kann, ohne die Vernunft als Maßstab vorauszusetzen. Gerade die deutsche Vernunfttradition des 18. und 19. Jahrhunderts war ja keineswegs nur »deutsch«, am wenigsten in einem national bornierten Sinne, sondern zutiefst universalistisch, die Stimmen anderer Völker und Kulturen »vernehmend«, ja für die Menschheit gedacht. Sie ist von anderen Nationen auch durchaus so verstanden und aufgegriffen worden. Soll das alles nur ein Missverständnis gewesen sein, gar eine Vorbereitung des Dritten Reichs? Wer so quasi-teleologisch argumentiert, gerät leicht selbst in die Nähe des Nationalsozialismus, der die Geschichte ja auch eindimensional auf sich hinzulaufen ließ. Folglich muss man bei der Verwunderung und dem Entsetzen darüber stehen bleiben und ausharren, dass eben genau das Land, von dem einst so bedeutende geistige Impulse ausgingen, im vergangenen Jahrhundert zu einer so brutalen Politik fähig war.
Diese Gefühle steigern sich noch, wenn man sich daran erinnert, dass die große Zeit des deutschen Geistes zugleich den Höhepunkt einer einzigartigen Symbiose mit dem Geist des Judentums darstellte! Man möchte im Boden versinken, wenn man daran denkt, was unsere damalige politische Elite jüdischen Menschen angetan oder an jüdischem Leid zugelassen hat.
Eine umfassende Erklärung ist ebenfalls unmöglich, denn alles zu verstehen, was vorgefallen ist, hieße ja bekanntlich, auch alles zu verzeihen. Oder es hieße, über die Ursachen genau Bescheid zu wissen, das Verbrechen gewissermaßen als Naturvorgang und die Schuldigen als bloße Objekte zu betrachten. Gleichwohl besteht das Bedürfnis nach Erklärung und Entlastung, wovon die Flut der Literatur zum Thema zeugt. Schon um die Schuld genau zu benennen, muss man ja ermitteln, was auf das Konto innerer und was auf das Konto äußerer Ursachen geht. Gegen sie könnte man dann heute etwas tun, um nicht wieder schuldig zu werden.
Auch ich folge diesem Bedürfnis und kann mich weder mit pauschaler Entlastung noch mit pauschaler Schuldzuweisung abfinden. Sich kurzerhand auf die Seite der »Gerechten« zu schlagen, wie es weithin geschieht, setzt aber erstens sehr viel an eigener moralischer Leistungsfähigkeit voraus. Zweitens hat dieses eilige Bekenntnis ja doch bemerkenswert geringe praktische Konsequenzen – es ist den Deutschen in vielerlei Hinsicht wohl noch nie so gut gegangen wie nach diesem Menschheitsverbrechen! Und drittens wird dabei offenbar angenommen, wir hätten nach 1945 in moralisch-rechtlicher Hinsicht gewaltige Fortschritte gemacht. Gewiss hat es zahlreiche Prozesse gegen einzelne Täter gegeben. Doch haben wir es im Kern mit einem Problem des Völkerrechts zu tun und wo wären die in dieser Sache autorisierten Richter? Die Nachfahren der Opfer können Kläger sein, aber nicht Richter, wenn es gerecht zugehen soll. Der heutige Staat Israel ist nicht dadurch gerecht, dass viele seiner Bürger Opfer waren. Der Schuld der Deutschen entspricht auf seiner Seite kein »Guthaben«, über das er verfügen könnte, denn Schuld und Unschuld sind keine Frage der Ökonomie. Kurz: Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind zwar geächtet, aber das Völkerrecht besitzt nicht die notwendige institutionelle Macht, um auch durchsetzbar zu sein. Nach wie vor kann dagegen verstoßen werden, ohne dass Sanktionen zu befürchten wären. Insbesondere die mächtigste Nation der Welt braucht sie nicht zu fürchten und hält den Internationalen Strafgerichtshof entsprechend für eine Farce.
Angesichts dieser Situation ist es gewiss lobenswert, wenn die Deutschen aus eigener Initiative versuchen, für ihre Schuld zu haften, indem sie Israel unterstützen und den Antisemitismus bekämpfen. Das Dumme ist nur, dass Israel es sich als Verbündeter der USA leisten kann, ebenfalls das Völkerrecht zu missachten. Zudem bekämpft es den Antisemitismus in einer Weise, die selbst rassistische Züge trägt. Indem wir Deutschen etwas gegen das vergangene Unrecht tun wollen, sorgen wir also dafür, dass neues Unrecht gedeihen kann. Und indem wir den Antisemitismus bekämpfen, fördern wir zugleich den neuen Rassismus, der in Israel seit den 1970er Jahren zu registrieren ist. So werden wir, gerade indem wir Schuld abtragen wollen, erneut schuldig.
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