»Hast du bei dem Mord etwa zugeschaut?«, fragte Anna fassungslos.
»Natürlich nicht«, beschwichtigte Till kopfschüttelnd. »Sie lag schon tot vor dem Bett, als ich hier Stellung bezogen habe. Ich war es, der die Polizei verständigt hat. Aber offiziell bin ich gar nicht hier. Deswegen ist und bleibt es auch Ihr Fall, Frau Leisig. Ich möchte allerdings zeitnah über Ihre Ermittlungsergebnisse unterrichtet werden.«
»Im Gegenzug wollen Sie mir aber nicht verraten, was Sie hier tun, oder?« Lena Leisig wirkte nicht gerade erfreut darüber, bei ihrem ersten Mordfall gleich mit dem LKA konfrontiert zu sein.
»Die Suite nebenan wurde von Gerold Haferstein gebucht«, zeigte Till sich kooperativ. »Wir beobachten ihn rund um die Uhr. Haferstein ist ein Geschäftsmann mit Hauptbetätigungsfeld internationalem Waffenhandel. Nach unseren Informationen wollte er sich heute Abend in seiner Suite mit Hassani Aziz treffen. Aziz ist Marokkaner und eine zwielichtige Figur. Ihm werden Kontakte zu verschiedenen Terrororganisationen zugeschrieben. Wir haben den begründeten Verdacht, dass er als Kontaktmann mit Gerold Haferstein einen nicht unbedeutenden Waffendeal einfädeln sollte. Deswegen bin ich hier. Wir wollen die Hintermänner von Aziz identifizieren. Die Tote da drüben bringt jetzt natürlich alles durcheinander, und ich habe leider keine Ahnung, warum sie ermordet in Hafersteins Suite liegt. Haferstein kann damit nichts zu tun haben. Den hatten wir den ganzen Tag über auf dem Radar.«
»Na super«, stöhnte Lena Leisig.
»Finden Sie heraus, wer die Dame war«, sagte Till. »Dann rufen Sie mich an. Vielleicht ist der Fall für Sie dann schon beendet.« Till reichte Lena Leisig seine Karte.
»Sie wollen mich doch verarschen«, seufzte Lena Leisig resigniert. »Wenn Gerold Haferstein die Suite gemietet hat, hat er die Frau da drüben auch in ihren jetzigen Zustand befördert. Aber Sie geben ihm ein Alibi, um weiter seine Geschäftstätigkeiten beobachten zu können. Und mich lassen Sie wie ein dummes Kind einen Mordfall bearbeiten, der sowieso nie aufgeklärt wird. Das ist zwar mein erster Tag bei der Mordkommission, aber deswegen lasse ich mich nicht gleich wie einen Azubi behandeln, der mit sinnlosen Ermittlungen abgespeist wird.«
»Da liegen Sie falsch«, beschwichtigte Till sie. »Haferstein kann es nicht gewesen sein. Der saß in einem Meeting bei der Deutschen Bank, als die Frau starb. Wir haben ihn in seiner Suite von hier aus seit seiner Ankunft auf dem Schirm. Wir haben die Suite aber natürlich nicht beobachtet, als er außer Haus war. Wir erwarten ihn aber in Kürze zurück. Deshalb habe ich hier vor ungefähr zwei Stunden Stellung bezogen. Das war eine Stunde früher, als wir ursprünglich geplant hatten. Als ich die Frau auf dem Monitor entdeckt habe, bin ich sofort rüber. Wir haben eine Schlüsselkarte. Sie muss kurz vor meinem Erscheinen gestorben sein. Sie war noch nicht richtig kalt. Da saß Haferstein definitiv noch in seinem Meeting.«
»Vertrauen Sie ihm«, sagte Anna. »Ich kenne ihn schon eine Weile und will ihn bald heiraten.«
»Okay. Sie erwarten Herrn Haferstein also jeden Moment zurück? Ich kann ihn dann ja wohl befragen, oder?«
»Selbstverständlich. Er wird bald kommen. Ich halte hier noch die Stellung und schaue, wie er auf die Situation reagiert. Ob er sein Treffen mit Hassani Aziz heute noch wie geplant abhält, wage ich allerdings zu bezweifeln. Wir haben die Observation nur bis heute Nacht vorgesehen gehabt. Der größte Teil des Teams zieht sich gerade zurück. Mir bleiben nur noch zwei Leute.«
Lena Leisig hatte sich von Anna Lehmkuhl und den Kollegen von der Spurensicherung verabschiedet, nachdem diese ihre Arbeit in der Hotelsuite erledigt hatten. Nun saß sie im Büro des Hoteldirektors. Udo Liermann war Ende dreißig, hatte schwarzes, akkurat geschnittenes Haar und zupfte nervös an seinem Krawattenknoten. »Wer hat eigentlich die Polizei verständigt?«, fragte er. »Ich wurde von dieser Sache völlig überrumpelt und weiß noch gar nicht, wie ich damit umgehen soll.«
»Am besten beantworten Sie jetzt erst mal meine Fragen«, schlug Lena Leisig ihm vor. »Wir bekamen übrigens einen anonymen Hinweis. Mehr kann ich Ihnen dazu im Moment nicht sagen.«
»Einen anonymen Hinweis?« Der Direktor weitete seinen Krawattenknoten noch ein wenig. »Der kann doch nur vom Täter gekommen sein, oder? Aber außer Herrn Haferstein und dem Zimmerpersonal hat gar niemand Zutritt zu der Suite.«
»Und damit kommen wir auch schon zu meinen Fragen«, unterbrach Lena die Gedanken des Direktors. »Kannten Sie die Tote?«
»Nein, ich denke nicht. Ich konnte aber nur einen ganz kurzen Blick auf sie werfen. Ihre Kollegen haben mich ja gar nicht ins Zimmer gelassen. Wegen der Spurensicherung.«
»Die ist jetzt abgeschlossen. Kommen Sie, gehen wir zur Suite und schauen uns das Opfer nochmal an, bevor es zur Gerichtsmedizin gebracht wird.«
Udo Liermann stand mit gefalteten Händen und gesenktem Blick vor dem Bett und schaute widerwillig auf den am Boden liegenden Leichnam. »Schrecklich«, flüsterte er. »Sie ist noch so jung. Wer tut denn so etwas, sie wurde ja schrecklich zugerichtet. Sie muss doch um Hilfe gerufen haben, warum hat sie denn niemand gehört?«
»Schauen Sie sich ihre aufgeplatzten Lippen an«, forderte Lena ihn wenig mitfühlend auf. »Wahrscheinlich wurde ihr der Mund zugehalten, vielleicht war sie auch geknebelt. Haben Sie die Frau nun schon einmal gesehen, als sie noch unter den Lebenden weilte?«
»Nein, ich glaube nicht. Aber hier im Hotel kommen und gehen die Gäste natürlich tagtäglich. Manche bringen Besuch mit aufs Zimmer. Hatte sie denn eine Schlüsselkarte für die Suite bei sich?«
»Wir haben keine gefunden.«
»Das ist aber sehr merkwürdig«, wunderte sich der Direktor.
»Kann es sein, dass Sie die Frau doch schon mal gesehen haben? In der Hotelbar? Oder im Spa-Bereich. Hat sie sich hier vielleicht als Prostituierte verdingt?«
»Wir sind ein erstklassiges Hotel«, protestierte der Direktor umgehend.
»Das würde ja passen. Die Dame war auch erstklassig, das lässt jedenfalls ihre Garderobe vermuten.« Lena Leisig schielte an die Stelle der Gardinenschiene, an der sie die Kamera vermutete, die die Bilder ins Zimmer nebenan übertrug. Aber sie konnte keine ausmachen. Das hatten die Kollegen vom LKA sehr professionell eingerichtet, kam es ihr mit einer Spur von Bewunderung in den Sinn.
»Ich kann natürlich nicht ausschließen, dass sich unsere Gäste gewisse Damen mit auf die Suite nehmen«, stammelte der Direktor. »Aber wir gehen damit sehr diskret um.«
»Wollen Sie mir etwas Bestimmtes damit sagen?« Lena Leisig schaute den Direktor herausfordernd an. Sie hatte ihre Laufbahn bei der Milieukriminalität begonnen und kannte sich in dem Gewerbe bestens aus.
»Wir zählen zu unseren Gästen natürlich auch viele Geschäftsleute, die sich für ein paar Tage in der Stadt aufhalten. Die reisen oft allein und wollen abends nach ihren Geschäftstreffen noch das eine oder andere kulturelle Event erleben. Einen Besuch in der Oper oder im Theater zum Beispiel. In Begleitung einer netten, jungen, kultivierten Dame ist das natürlich noch um einiges angenehmer.«
»Sie meinen Damen von einem Escort-Service?«
»Wir nennen es Begleit-Service«, versuchte der Direktor die Integrität eines solchen Dienstes herauszustellen.
»Die Tote hat sich hier im Hotel also als Begleitdame für wohlhabende und einsame Geschäftsleute angedient?«
»Das klingt so banal aus Ihrem Mund«, echauffierte sich der Direktor.
»Schauen Sie sich die Tote noch einmal genau an, Herr Liermann. Und dann gehen wir wieder zurück in Ihr Büro. Ich glaube, Sie haben mir noch einiges zu sagen.« Lena Leisig war sich jetzt sicher, dass der Direktor die Frau heute nicht zum ersten Mal gesehen hatte. Sie wollte vor den Augen und Ohren des LKA jetzt aber nicht zu viele Details aus dem Direktor herausholen. Das waren ihre Ermittlungen und dieser Till Krüger konnte sich ja jederzeit an sie wenden, wenn er Informationen haben wollte. Dazu musste er sie aber als gleichberechtigte Partnerin behandeln, sonst würde sie ihn auf Granit beißen lassen.
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