Doch der Kolziner widersprach:
„In Amerika finden sie das Geld auf der Strasse. Das hat er gelernt und darum eine Perle erwischt. Vergleicht sie doch mit einer echten!“
Seine Augen suchten am Hals der Schwester, der Frau von Lindberg und der Nichte Adelheid. Er sah keine Perle und scherzte:
„Wenn ich euch auch auf den Kopf stelle und ausschüttle, kann ich noch keinen Juwelierladen aufmachen.“
Das ärgerte die Schwester. Ihr Schmuck war ihr Stolz. Die Familie wusste, wie viele Steine und Perlen sie besass. Darum strafte ihr Blick den Bruder:
„Du suchst vergeblich, weil es sich für Damen guten Hauses nicht schickt, während des Krieges Schmuck zu tragen. Auch heisst es, dass sie Gold brauchen. Also liess ich meinen Schmuck entfassen und das Gold verkaufen!“
Der Kolziner nickte trocken:
„Dass du es nicht verschenkt hast, weiss ich, Lottchen!“
Der Geheimrat aus dem Finanzministerium hob die Brauen des sachkundigen Bürokraten:
„Ueberaus dankenswert ist es schon, dass die verehrte Kusine das Gold ihres Schmuckes abgeliefert hat. Wenn es alle täten, wäre dem Staat geholfen. Ich habe durch Schätzung festgestellt, dass Deutschland allein an getragenen oder in Schränken liegenden Trauringen ungefähr achtzehn Millionen hat. Bei einer Mobilmachung des Goldes würden sie — zu vierzehn Karat gerechnet — etwa achthundert Millionen, also nahezu eine Milliarde münzbaren Goldes liefern. Das Metall in Uhren, Ketten, Schlipsnadeln und Frauenschmuck könnte die Summe verdreifachen.“
Frau von Güssow dankte Vetter Lindberg mit warmem Blick. Adelheid aber blickte von der Perle auf dem Teller in ihrer Hand zur Tante auf:
„Tantchen, leg’ bitte eine von deinen echten daneben, damit ich vergleichen kann!“
Das junge Mädchen wusste, dass Frau von Güssow ihren Schmuck stets bei sich trug. Auch heute lag die der Familie bekannte kleine Handtasche unter ihrer linken Hand. Sie zögerte nicht, der Nichte Wunsch zu erfüllen. Es war ihr ein Vergnügen, die Kostbarkeiten bewundert und sich beneidet zu sehen. Also nahm sie aus der Tasche und einem kleinen Lederbeutel darin eine Perle von der Grösse einer Erbse. Winzig wie ein Stecknadelknopf lag Eberhards Kügelchen daneben. Aber eine Perle sei es doch wohl, meinten jetzt die Verwandten, während der Teller nochmals um den Tisch wanderte. Erstaunte Augen richteten sich auf den Finder. Er hatte in Amerika wirklich gelernt, das Geld auf der Strasse zu finden!
Der Kusine Adelheid Gesicht flammte in Erregung, als sie ihm gratulierte. Dann bettelten ihre Kinderaugen nach rechts:
„Nun zeige auch den Kohinoor, Tantchen!“
Gleich horchten die Güssows auf und drehten ihre Köpfe zur Aeltesten. Arm an Schmuck bis auf den, der mit schwarz-weissem oder buntem Band an der Brust der Männer hing, wussten sie Tante Lotte im Besitz eines grossen Diamanten von angeblich fünfzigtausend Mark Geldeswert. Den Kohinoor nannten sie ihn.
Ein äusserst gnädiger Blick der Tante dankte Adelheid. Freudig griff sie wieder in die Handtasche und nach einem anderen Lederbeutelchen. Der Kolziner protestierte:
„Wertsachen lässt man unter Verschluss.“
Aber Frau von Güssow wollte nicht um ihr Vergnügen kommen. Der Geheimrat hielt den Stein bald zwischen den Fingern und unter die Gläser des Kneifers. Andacht weitete seine Augen:
„Kolossal!“
Frau von Lindberg wartete nicht, bis ihr Mann sich satt gesehen hatte. Diamanten waren nichts für Männer. Sie nahm ihm den oft gesehenen Stein aus der Hand und betrachtete ihn wie immer mit ungläubigem Staunen. Drüben verlor Adelheid die Geduld. Tante Lindberg musste den blinkenden Kiesel in des jungen Mädchens ausgestreckte hohle Hand legen. Adelheid rieb ihn zwischen den Fingern und reichte ihn nur zögernd dem linken Nachbar. Aus der Hand des Artilleristen wanderte der Kohinoor schnell zum Windhund und zu Magda. Damit auch die Brüder Güssow den Stein gleich sehen konnten, legte sie ihn vor sich auf das Tischtuch. Drei Köpfe beugten sich über den Stein. Da . . . erlosch das elektrische Licht . . .
Im weiten Restaurant klangen Rufe wirklichen oder geheuchelten Erschreckens. Der lauteste Schrei ging vom obersten Ende des Tisches der Güssows auf. Die gnädige Tante rief, nein, kreischte:
„Mein Kohinoor.“
Der Kolziner brummte ärgerlich. Die Vettern suchten vergeblich nach Streichhölzern in den Taschen. Endlich flammte eins jenseits des Mittelganges. Aus der Küche kamen Kellner mit Lichten. Ein trübes Flämmchen setzte einer auch auf den Tisch der Güssows, und ihre Augen suchten angstvoll den Kohinoor.
Er lag vor der lachenden Magda!
„Hätte eine schöne Bescherung geben können,“ grollte der Kolziner. Mit ihm atmeten die Verwandten auf. Ein nervöses Lachen lief um den Tisch.
Frau von Güssow überhörte den Vorwurf des Bruders. Ihr Kohinoor lag auf dem Tisch, und ein brennendes Licht stand daneben. Auch rief der Geschäftsführer in den Saal:
„Meine Herrschaften, gedulden Sie sich gütigst eine Minute, dann haben Sie wieder Licht.“
Es flammte auf, als er gesprochen hatte. „Aah“ lachte es aus allen Ecken durch den Saal. Vergnügt schmunzelte jetzt der Kolziner:
„Das erinnert mich an den berühmten Serbenwitz. Alt ist er freilich, aber vielleicht kennt ihr ihn nicht!“
„Nein, nein,“ kam die Antwort, denn der alte Herr verstand sich auf das Erzählen von Witzen. Er trank noch einmal, wischte mit dem Mundtuch über den Schnurrbart und lehnte sich behaglich im Stuhl zurück:
„In Belgrad war Diner beim österreichischen Gesandten. Die Dame des Hauses sass oben, wo hier Tante Lottchen unseren Tisch ziert, und gegenüber an Perlchens Platz der Gesandte. Zu beiden Seiten des natürlich längeren Tisches taten die geladenen Serben wohl der Gesandtschaftsküche alle Ehre an, aber sie weideten die Augen auch an der Perlenschnur um den Hals der Gastgeberin. Einer fasste sich ein Herz und fragte, ob die Baronin nicht ihre Perlen zeigen wollte. Die Baronin war bereit wie Tante Lottchen, hakte die Schnur ab und liess sie auf einem Silbertellerchen um die Tafel wandern. Von Hand zu Hand waren die Perlen bis zur Mitte einer Tischhälfte gegangen, als plötzlich . . . . das elektrische Licht erlosch. Dann flammte es wieder auf. Das Silbertellerchen stand auf dem Tisch, aber . . . ohne Perlen. Der Baronin traten Tränen in die Augen. Auch der Gesandte war erschrocken, aber hob sich vom Stuhl, trat abseits des Tisches neben die Lichtschaltung und hielt eine Rede. Er sei den Herrschaften dankbar, denn sie hätten seiner Frau eine wohlverdiente Lektion erteilt. Jetzt werde er das Licht ausschalten, darauf bis drei zählen und wieder einschalten. Ohne Zweifel würden die Perlen dann wieder auf dem Silberteller liegen.“
Schmunzelnd nahm der Kolziner einen Schluck. Er freute sich der Aufmerksamkeit seiner Zuhörer. Seit er zu sprechen begann, hatte keiner der Verwandten sich gerührt bis auf Eberhard, der einmal unter den Tisch nach dem von den Knien gefallenen Mundtuch griff. Alle Güssows sassen in Erwartung des Endes der Geschichte regungslos. Ungeduldig waren ihre grossen Augen auf die seinen gerichtet. Ein Weilchen liess er noch warten und räusperte sich:
„Der Gesandte drehte das Licht ab und zählte im Dunkeln eins, zwei, drei. Dann liess er das Licht aufflammen. Alle Augen suchten die Perlen und sahen: — das Silbertellerchen war auch weg!“
„Bravo!“ riefen zwei Vettern. Kichernd neigten die Damen ihre Köpfe, die Männer warfen sie laut lachend über die Kragen zurück.
Frau von Güssow war bald wieder ernst. Es kränkte sie, dass der Bruder stets Beifall fand. Auch musste gleich die Fleischspeise kommen. Vorher wollte sie ihre Juwelen bergen und rief über den Tisch:
„Magdelchen, den Kohinoor!“
Perlchen hatte sich beim Lachen verschluckt und hustete noch in ihr Mundtuch, aber hob schnell den Kopf. Ihre Augen und die der Nachbarn suchten nach dem Stein. Der Kohinoor war — verschwunden!
Читать дальше