„Sascha hat aus Lyon geschrieben, Papa!“ meldete sie.
Der alte Kaufmann schrak zusammen.
„Etwas Besonderes?“ frug er dann dumpf und starrte geistesabwesend vor sich hin.
„Nein. Wie gewöhnlich! Das heisst: im Gegenteil: Nicht wie gewöhnlich! Verliebt ist der Sascha ja im Handumdrehen . . Sein Herz ist wie die Steppe im Herbst . . . Man braucht nur ein Streichholz hinzuhalten, und sie brennt lichterloh! Aber diesmal seid Ihr die Brandstifter — hier und in Marseille — das erschwert den Fall . . . Komm’ mal da ’rein, Papa. Ich muss dir ins Gewissen reden!“ Und als sie den alten Herrn in sein Arbeitszimmer gedrängt hatte, fuhr Katja vorwurfsvoll, immer auf deutsch, mit eindringlicher Zungengeläufigkeit fort:
„Papa! . . Es sind doch noch beides Kinder! Das gäbe ja die reine Puppenhochzeit . . . Sascha und diese kleine Nezot! . . . Was kuppelt Ihr denn da wieder zusammen?“
„Mein Kind: Je früher ein junger Mensch . . .“
„Nein! Nein! Nein! Ein Mensch muss selber über sich entscheiden! Das kann der Sascha noch gar nicht! Dafür ist er viel zu jung! Ihr dürft ihn nicht in die Ehe schmeissen wie den Mops ins Wasser! Ich dulde das einfach nicht!“
„Ich möchte nur wissen,“ der Kaufherr entzündete umständlich, mit zitterigen Fingern, die erloschene Havannah . . ., „ich möchte nur wissen, was dich das angeht!“
„Ich vertrete doch Mutterstelle an ihm!“ rief Katja Gebauer triumphierend und empört. „Er hat doch sonst Niemanden auf der Welt — der arme kleine Kerl! Man muss ihn gegen uns schützen — ich meine uns Frauen — bis er gross ist und sich selber wehren kann. Statt dessen kommt Ihr und treibt ihn ins Garn, bloss damit die Frachtrate Marseille—Odessa und die Rimessen Odessa—Lyon in der Familie bleiben! Ach — ich kenne Euch doch! Schämt Euch!“
Otto Gebauer hatte sich müde hingesetzt.
„Du solltest dich lieber um deine eigenen Angelegenheiten kümmern!“ sagte er. „Du bist jetzt mit Gottes Hülfe fünfundzwanzig Jahre alt und noch nicht vermählt! Das, meine Liebe, ist eine Schande!“
„Ja. Für die jungen Männer hier! Gewiss!“
„Worauf wartest du? Andere haben in deinem Alter einen Mann und drei Kinder . .“
„Und den vierten Liebhaber . . .“
„Das muss nicht sein!“
„Das ist aber meistens so! Warum? Weil Ihr zwei Hauptbücher zusammen einsegnet! Nachher folgt natürlich Jeder und Jede dem Zug des Herzens. Ich finde diese Seitensprünge in den Ehen nicht einmal so unmoralisch wie diese Ehen selber! Aber ich werde deswegen den Propst der lutherischen Kirche Südrusslands nicht bemühen. Da verlass’ dich drauf . .“
„Diese petites liaisons und faux ménages sind durchaus nicht nötig!“ sprach der Ehrenbürger gereizt. „On peut faire bon ménage, Katja! . . Man kann in ungetrübtester Ehe leben! Man muss nur den Rechten heiraten!“
„Wo ist er, Papa?“
„Glaubst du, ich hab’ ihn hier in der Tasche?“ brauste der alte Herr auf. „Du hast doch weiss Gott die Wahl in der ganzen Welt!“
„Aber mein Mann ist nicht von dieser Welt!“ sagte Katja. „Ich meine von unserer Welt! Die ist scheinbar gross und doch betrübend eng. Es sind überall in Europa dieselben Menschen. Sie sind langweilig.“
„Bildest du dir denn ein, du könntest mit einem Mann in kleinen Verhältnissen glücklich werden?“
„Nein. Niemals. Dazu habt Ihr mich viel zu blödsinnig erzogen!“
„Katja . . . . .“
„Uns alle! Die Anderen merken es nur nicht so wie ich! Wir sind Luxus-Artikel! . . Aber ich bin innerlich ernster wie die anderen! Und das sag’ ich dir, Papa: Eh’ ich einen Mann heirate, den ich nicht liebe und mich nachher mit einer Garnitur Cicisbeo’s tröste — eher bleib’ ich ein melancholischer freier Vogel und heirate überhaupt nicht!“
„Erwäge — prschaluite — dass du mein einziges Kind birt!“
„Nun eben!“ Das junge Mädchen zuckte die Achseln. Ihr schönes, bräunliches Gesicht hatte sich in Unmut gerötet. Sie strich sich ärgerlich, mit einem Blick in den Spiegel, die glänzenden dunkelbraunen Haare an den Ohren glatt. Es war eine heftige Bewegung der dünnen, erhobenen Arme. „Hungern werde ich ja nicht im Leben! Für mich ist ja gesorgt.“
Der Vater schwieg eine Weile und sah mit gefalteten Händen vor sich hin. Dann räusperte er sich mit einem Entschluss:
„Katja . . . Heute Mittag . . in einer halben Stunde kommt Herr Murussi.“
„Ich weiss . .“, schrie Katja erbittert und lief im Zimmer auf und ab. „Aristide Murussi kommt seit einiger Zeit so ziemlich jeden Tag . . .“
„Das hat doch etwas zu bedeuten, mein kleines Schaf! Ganz Odessa spricht schon darüber!“
„. . weil Euer tout Odessa nie etwas Vernünftiges im Kopf hat, sondern nur Klatsch und Weizenpreise!“
„Murussi hat seine Lebensweise geändert . .“
„Höchste Zeit war’s!“
,,Er vermeidet seinen bisherigen Verkehr . . .“
„Ja. Er hat seine Tänzerin beurlaubt!“ sagte Katja zerstreut und wegwerfend und ordnete sich wieder vor dem Spiegel die Frisur. „Ich weiss nicht: Ich fand die Person nie so berückend . . Die Männer haben ja ’nen verdrehten Geschmack . . . .“
„. . . auch wenn sein Auge auf dich gefallen ist . . . Katja? Nun überlege doch ’mal . .“ Der alte Grosskaufmann erhob sich langsam. „Wir sind eine der ältesten und reichsten Familien von Odessa. Aber gestehe selbst: Was ist eine Firma Gebauer gegen einen Murussi?“
„Nichts . . Nichts . . Nichts!“ rief Katja laut und lachend.
„Also gut . . .“
„Aber ich bin keine Firma, Papa, sondern ein Frauenzimmer! Sogar ein höchst lebendiges! Das wehrt sich! Ich steche um mich wie ein Skorpion!“
„Niemand wird versuchen, dich zu zwingen, Katja!“ Der kleine Handelsherr trat dicht vor die grosse, schöne Tochter hin. „Es soll ja nur zu deinem eigenen Besten sein. Ich hab’ dich doch lieb, mein Kind! Ich möchte nicht, dass du, wenn wir einmal tot sind, Jahrzehnte lang als verdrehte alte Jungfer mit einem Gefolge von Schosshunden und Dienerschaft Europa unsicher machst . . .“
„Nette Perspektive!“ sagte Katja gähnend.
„Nun liegt jetzt etwas — etwas ganz Märchenhaftes in der Luft! Nie wieder bietet sich dir eine derartige Riesenpartie . .“
„Ja — wie ist der Unglücksmensch nur gerade auf mich verfallen?“ frug sich Katja kopfschüttelnd, den Blick am Boden, und zog mit der Fussspitze das Muster des Tifliser Teppichs nach.
„Die Murussi stehn turmhoch über unserer Klasse! Du würdest eine der ersten Frauen von Europa . . . denke doch nur . . .“
„Ich denke mir die Märchenprinzen ein bisschen anders, Papa,“ Fräulein Gebauer hob unwillig das Haupt, „als so stark ramponierte Pariser Ware — mit diversen Sprüngen und Beschädigungen vom Cabinet-Particulier und dem Spieltisch und hinter den Kulissen! Ich käme mir einfach dumm vor, wenn mich, in den Champs-Elysées an seiner Seite, eine von diesen Lebedamen im Vorbeifahren nachsichtig mustert, als wollte sie fragen: Nun — gefällt dir mein ehemaliger Kleiner?“
„Katja! Sei nicht frivol!“
„Das sind wir ja alle hier! Und bei mir ist es doch nur äusserlich! Das weisst du doch! . . Man muss ja den Ton mitmachen. Sonst gilt man ja für eine Gans! Ach — und ich hab’ manchmal so eine Sehnsucht nach etwas ganz Reinem — das von einem Mann ausgeht — und Wahrem und Starkem . . . . Es muss doch irgendwo auf der Welt einen solchen Mann geben . . .“
„Katja — verscherze über diesen Träumereien dein Glück nicht! Es kehrt nicht wieder. Es entscheidet sich vielleicht schon bald! Es herrscht ein allgemeines Vorgefühl, als ob Aristide Murussi vielleicht schon heute . . .“
„Dann ist’s wenigstens überstanden!“ sagte Katja kurz. „Ich werde ihm schon eine Antwort geben! Und nun genug davon, bitte! Revenons à nos moutons! . . . Ich meine Sascha! Ich bemuttere ihn! Ich werde nicht leiden, dass die Seeräuber in Marseille dies Kind kapern! . . . Sascha ist doch überhaupt jetzt lange genug in Frankreich gewesen! Französisch spricht er wie Wasser. Die Seiden-Branche hat er inne. Was tut er denn noch dort?“
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