Sie tat es, sprach begeistert von dem herrlichen Wetter.
Er meinte: „Es ist doch eigentlich bedauerlich, daß Ihr Gatte die wundervollen Tage in der Kabine verbringt. Verzeihen Sie meine Neugier, gnädige Frau, wenn ich frage, welches Fach betreibt Ihr Gatte? Ich habe schon öfter darüber nachgesonnen, daß Privatgelehrter ein weiter Begriff ist. Er kann sowohl Historiker sein wie Ägyptenforscher, sowohl Botaniker wie Numismatiker. Es gibt ja so viele Wissenschaften und Interessengebiete.“
Die blonde Frau sah fast stolz aus, als sie antwortete: „Mein Mann ist Mediziner, Herr Staufen.“
„Großer Achtung vor der goldene Schnaps und die lange Tisch bei der Doktor. In das Meer ist viel Platz!“ schwirrte es alarmierend durch seinen Kopf.
Sein Atem ward schwer, und er hätte nicht einmal sagen können weshalb. Der Satz des Chinesen war doch Unsinn, verdiente nicht, daß er darüber nachdachte.
Weshalb würgte ihn nur mit einem Male gräßliche Furcht?
„Fühlen Sie sich nicht wohl?“ fragte ihn die blonde Frau. „Sie sind plötzlich ganz blaß geworden.“
„Das kommt nur von der ungewohnten Seefahrt“, erwiderte er hastig.
Sie nickte nur und schien mit ihren Gedanken beschäftigt zu sein.
Endlich hob sie den Blick zu ihm auf.
„Sie sollten meinen Mann besuchen, ich glaube, Sie waren noch gar nicht in seinem Studierzimmer. So großartig benennen wir nämlich die Kabine, in der er arbeitet. Er äußerte zufällig gerade vorhin, Sie möchten sich doch einmal bei ihm sehen lassen.“
Es war so etwas Harmloses und Einfaches, was ihm die blonde Frau vorschlug, aber Heino Staufen empfand es unangenehm.
Er verspürte nicht die geringste Lust, jetzt Ricardo Espada aufzusuchen.
Es war wie heimliches Widerstreben in ihm.
Leider durfte er nicht mit einem schroffen „Nein“ antworten, durfte sich keine Unhöflichkeit zuschulden kommen lassen.
Weil er kein zahlender Passagier war, sondern nur einer, den man aus Mitleid mitgenommen.
„Gehen Sie doch gleich zu meinem Mann, er wird sich freuen“, drängte Frau Espada, „ich schließe mich an, wenn es Ihnen recht ist und melde Sie bei ihm an. Mein Ricardo ist manchmal ein bißchen zerstreut.“
Schon erhob sie sich und ging ihm voran zur Treppe. Er konnte nicht anders als ihr folgen.
Und er dachte, er durfte sich doch nicht von irgendeiner dumpfen, unklaren Stimmung unterkriegen lassen. Von einer Stimmung, die ihren Ursprung hatte in den geheimnisvollen Worten des Chinesen. Sinnlose, törichte Worte eines Narren, der vielleicht mühsam ein paar deutsche Brocken aufgegabelt und sie nun willkürlich zusammensetzte.
Es war jetzt so wunderschön hier oben in freier Luft, es reizte ihn gar nicht, sich mit dem Spanier zu unterhalten.
Schon ward die Tür vor ihm geöffnet und er hörte Frau Espadas Stimme sagen: „Hier bringe ich dir Besuch, lieber Ricardo.“
Die Kabine des Spaniers war verhältnismäßig groß. Man sah einen kleinen Schreibtisch und mehrere niedrige Wandschränke mit Büchern.
Eine Seite des Raumes war durch einen grünen Vorhang abgeteilt.
Ricardo Espada war äußerst liebenswürdig, er brachte eine Flasche Likör herbei, nachdem er Platz genommen hatte.
„Mögen Sie ein Gläschen? Es ist ganz famoses Mönchsgebräu. Ich selbst bin zur Zeit Antialkoholiker, weil ich mit einer sehr wichtigen Facharbeit beschäftigt bin und meine Frau trinkt nie etwas. Ich bitte Sie aber, auf uns keine Rücksicht zu nehmen und die Marke zu probieren.“
Er schenkte ein feingeschliffenes Gläschen voll.
Heino Staufen sah zu, wie der goldfarbene Likör schwer und ölig aus der Flasche in das Gläschen rann, und dabei hörte er wieder ganz deutlich die Stimme des Chinesen sagen: „Großer Achtung vor der goldene Schnaps und die lange Tisch bei der Doktor. In das Meer ist viel Platz!“
„Kosten Sie nur einmal, Herr Staufen, danach werden Sie zugeben, es ist der beste Likör, der jemals über Ihre Lippen gekommen ist“, ermunterte ihn Ricardo Espada.
Großer Achtung vor der goldene Schnaps!
Hörte er es nicht überlaut? War es nicht, als wenn es die Stimmen von Riesen überlaut hinausbrüllten?
Er wehrte mit mühsam erzwungenem Höflichkeitslächeln ab.
„Vielen Dank, Herr Espada, aber Schnäpse und Liköre trinke ich prinzipiell nicht.“
„Prinzipien sind dazu da, daß man sie gelegentlich umwirft“, widersprach der Spanier mit vollendeter Liebenswürdigkeit und streichelte seinen kurzen Spitzbart nach oben. „Werfen Sie also Ihr Prinzip, keinen Likör zu trinken, ruhig einmal um. Sie wissen: Einmal ist keinmal! Mir liegt daran, Ihr Urteil über den Likör zu hören. Bei meinen Bekannten in Deutschland habe ich damit immer Ehre eingelegt.“
„Kosten Sie ihn nur!“ lächelte ihn jetzt die blonde Frau an.
Heino Staufen fand, sie konnte zwar charmant lächeln, aber nach dem Likör langte er trotzdem nicht.
Die seltsamen Worte des Chinesen scheinen ihm nicht mehr sinnlos hingesprochen.
Der Beweis war wohl dadurch erbracht, daß man ihm wirklich den goldenen Schnaps anbot, vor dem der Chinese gewarnt hatte.
Er entgegnete höflich, doch bestimmt: „Ich bitte es mir nicht zu verübeln, aber ich habe direkten und unbezwinglichen Widerwillen gegen derartige Spirituosen.“
Er bemerkte deutlich, wie sich zwei scharfe Falten auf der Stirn des Spaniers bildeten, wenngleich ein mattes Lächeln um seinen Mund hängen blieb.
Er schien etwas sagen zu wollen, unterdrückte es aber, meinte nach geraumer Zeit: „Also lassen wir den Likör, plaudern wir ein wenig. Diese Kabine ist mein Tuskulum, hier fühle ich mich wohl, hier arbeite ich am liebsten. Viel lieber als auf dem festen Land. Zur Zeit beschäftige ich mich mit der Verbesserung der Röntgenphotographie. Es handelt sich um sofortige Entwicklung der Platten und um enorme Verbilligung der ganzen Sache, so daß sich der kleinste und ärmste Arzt einen Apparat anschaffen kann, wenn meine Erfindung erst einmal der Allgemeinheit übergeben worden sein wird.“
Er rieb seine schmalen, hart wirkenden Hände gegeneinander.
„Ich probiere nun schon seit längerer Zeit mit meinem Apparat an allem Lebenden herum, was mir in den Weg gerät. Meine arme Frau ist mein bevorzugtes Opfer.“
Er hob den verschleierten Blick.
„Wie wäre es, Herr Staufen, würden Sie sich nicht auch einmal für den guten wissenschaftlichen Zweck zur Verfügung stellen? Ich möchte mit meinem neuen Apparat eine Aufnahme Ihres inneren Menschen machen.“
Heino fand, den Gefallen mußte er dem Spanier eigentlich tun. Es wäre wenigstens eine geringe Erkenntlichkeit für die Gastfreundschaft, die er hier genoß.
„Ich bin noch nie geröntgt worden“, gab er zurück. „Bedarf es dazu von meiner Seite besonderer Vorbereitungen?“
Ricardo Espada verneinte.
„Bewahre! Es ist eine höchst einfache Sache. Sie legen sich ohne Kleider auf eine Art langen Tisch und ich schiebe Ihnen den Aufnahmeapparat an die betreffenden zu durchleuchtenden Körperstellen.“
Er erhob sich, zog den grünen Vorhang, der ein Stück der Kabine verhüllte, beiseite und Heino Staufen sah ein Etwas, das einem Operationstisch so verzweifelt glich, daß ihm ein Frösteln über den Rücken ging.
Genau so einen Tisch hatte er einmal gelegentlich in einem Krankenhause gesehen.
Es war plötzlich ein dumpfer Schreck in ihm, der ihm sekundenlang die Zunge lähmte.
Und weiter trat die Erinnerung an den chinesischen Steward vor ihn hin. Der gar so sonderbaren Warnung mußte doch etwas Besonderes zugrunde liegen. Er durfte sie nicht in den Wind schlagen.
Er zwang sich zu einem leichten Ton.
„Über die Röntgenaufnahme sprechen wir noch, nicht wahr? Es braucht wohl nicht allzu bald zu sein?“
Ricardo Espadas Augen senkten sich zwingend in die seinen.
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