»Sie lügen doch wie gedruckt!«, brüllt er. »Genauso wie alle anderen denken Sie: Den kann man übers Ohr hauen, weil er nicht immer ganz klar bei Trost ist. Ich habe Sie aber entlarvt, mir ist sonnenklar, wie das laufen soll. Sie wurden gebissen, und niemand wird hier mit Ihnen reinkommen.«
Das ist einfach Mist … Ich mache mir die Mühe, mit meiner Familie auf Vorratssuche zu gehen und hoffentlich auch Neuigkeiten über die allgemeine Situation zu erfahren, muss dann aber bei unserer Rückkehr, nachdem ich von einem Infizierten angefallen wurde, nur um wieder in mein eigenes Haus gelangen zu können, mit einem verdrehten Dahergelaufenen diskutieren, der wahrscheinlich sogar drogenabhängig ist. Carl mag sich bislang zwar launisch verhalten haben, doch ich verstehe seine Angst vor jemandem, der sich eine Bisswunde zugezogen hat, durchaus. Trotzdem gibt er mir unabhängig von seinen persönlichen Schwierigkeiten auf keineswegs zweideutige Weise zu verstehen, dass wir beide vollkommen gegensätzliche Ziele und Wünsche verfolgen. Darum muss er so schnell wie nur möglich verschwinden, nachdem ich ihn in meine Gewalt und meine Familie anschließend sicher auf den Hof gebracht habe. Deshalb hake ich den Zeigefinger, den ich noch gerade ausgestreckt habe, jetzt am Abzug ein.
Nun kommt Greg aus dem Haus, der offenbar gerade im Keller gewesen ist, weshalb er mich nicht gehört hat, und mich jetzt bei Carl sieht, wie ich später herausfinden werde.
Er ruft meinen Namen.
In der Sekunde, als ich den Kopf nach rechts drehe, um zu ihm hochzuschauen, tritt Carl vor, greift nach meiner Waffe und versucht, sie mir zu entreißen. Ich drücke ab, noch während ich den Blick von Greg abwende, und treffe den Oberkörper rechts über der Stelle, wo die Brustwarze ist. Hannahs Kugel schlägt ebenfalls rechts ein, und zwar ungefähr sechs Zoll unter der Achselhöhle, bevor sich Carls Hand von meiner Glock löst. Am Schluss macht er ein entgeistertes und verdutztes Gesicht und kippt mit einem leichten Linksdrall rückwärts um.
Was passiert ist, nehme ich nur in Zeitlupe wahr, und jetzt wird mir klar, dass auch ich hinterher mehrere Sekunden weggetreten sein muss, denn Greg kniet jetzt schon am Boden und untersucht Carl. Mir ist gar nicht aufgefallen, dass er vom Haus hierher gelaufen ist. Als ich schließlich wieder geistesgegenwärtig bin, lasse ich die Wut an meinem Mitbewohner aus.
»Greg! Wo zur Hölle bist du gewesen? Ist alles in Ordnung hier auf dem Gut? Warum in drei Teufels Namen habt ihr diesen Kerl denn reingelassen? Das war doch ganz offensichtlich ein Junkie! Was ist denn hier los, Mann?«
Meine Wut stößt Greg leicht vor den Kopf, zumal er mit angesehen hat, wie ich Carl erschossen habe. Trotzdem ringt er sich stammelnd ab: »Ja, allen geht es gut … glaube ich zumindest, mal abgesehen von Carl. Warum musstest du ihn denn erschießen?«
»Meinst du das etwa ernst? Er wollte meine Pistole nehmen und hat sich aufgeführt, als leide er unter schweren Entzugserscheinungen. Er war vollkommen wirr im Kopf und außerstande, sich zusammenzureißen.«
Ein Blick genügt, um zu sehen, dass Carl so gut wie tot ist – noch nicht, aber innerhalb der nächsten Sekunden. Sein Körper schaltet langsam ab, er starrt ins Leere, während Blut aus seinem Mund fließt und die Luft mit leisem Gluckern aus seiner Lunge entweicht. Hemd und Brust sind rot getränkt. Selbst wenn es nur mein Schuss gewesen wäre, wären seine Überlebenschancen sogar unter normalen Umständen in einem vollausgestatteten Krankenhaus nach einem Treffer aus unmittelbarer Nähe mit einer Kaliber-.40-Kugel gering gewesen. Bedenkt man aber die .22er-Patrone, die in seine Seite geschlagen ist und wahrscheinlich das Herz erwischt hat, gibt es nichts, was wir noch für ihn hätten tun können, selbst wenn wir alle Fachärzte gewesen wären.
Ich weiß, dass ich wegen des Toten auf meinem Hof ein schlechtes Gewissen haben oder Trauer empfinden sollte, aber momentan geht es mir nur darum, meine Familie hinter den inneren Zaun zu bringen, und jetzt sogar umso schneller, weil wir hier draußen zwei Schüsse abgegeben haben. Für gewöhnlich treiben sich die Infizierten nicht in dieser Gegend herum und haben sich auch im weiteren Umkreis rargemacht, weshalb wir auch unsere Suchen ausweiten konnten, doch das bedeutet nicht, dass wir gänzlich von ihnen verschont bleiben. Fast wäre ich zu behaupten verleitet, gesunde Menschen stellen wieder die größte Bedrohung für unser Fortbestehen dar, doch dann fällt mir der Läufer wieder ein.
»Greg, ich weiß, dass das alles ein bisschen viel auf einmal ist, aber wir müssen uns beeilen. Simone und die Kinder sind oben am Waldrand. Wir haben Vorräte auf den Rädern und Anhängern, doch am Wichtigsten ist, dass ich gebissen wurde!« Ich zeige ihm meinen Arm, woraufhin er den Kopf ein wenig hängen lässt und ihn schüttelt. »Wir müssen sie hereinholen, und anschließend bindet ihr mich im Schuppen fest. So langsam geht es auf die fünfeinhalb Stunden nach dem Biss zu. Das ist zu knapp an sechs, als dass ich mich noch frei hier draußen bei euch allen aufhalten sollte.« Ich gehe jetzt ans Tor zurück und frage: »Greg, kommst du jetzt?«
»Ich, äh … Nein. Nein, ich komme nicht, Eddie. Meiner Meinung nach sollten die anderen davon erfahren. Hol du inzwischen Simone und die Kids her.«
Ich drehte mich mit ihm um und folge seinem Blick zum Haus, wo Jessica mit ihrem Gewehr und einem sorgenvollen Blick neben der Eingangsmauer steht. Lilly guckt mit ängstlicher Miene hinter ihr hervor. Ich vergesse einstweilen immer noch, wie kompliziert dieser Vorfall alles gemacht hat.
Schließlich wende ich mich vom Haus ab, um das Tor der Einfahrt aufzuziehen. Jetzt rasen meine Gedanken wieder: Wie soll ich wiedergutmachen, was ich verbockt habe? Was muss noch erledigt werden, bevor sie mich im Schuppen fesseln können?
Eine verletzte Frau hält sich mit ihrem Sohn in meinem Haus auf, und ich habe gerade ihren Mann erschossen.
Jessica und Lilly, die noch gar nicht wissen, was geschehen ist, werden es jetzt von Greg zu hören bekommen, der wiederum nur die letzten Sekunden unserer Auseinandersetzung und meine Rufe gehört hat. Ich wurde gebissen und werde in ungefähr dreißig Minuten vom Fieberwahn in Beschlag genommen. Welche Frage kann ich zuerst klären? Ich kann mir nicht vorstellen, was Greg, Jessica und Lilly gerade von mir denken, doch das spielt im Augenblick wahrscheinlich auch keine Rolle. Man hält ja auch nicht in einer Schlacht inne, um einen gefallenen Soldaten zu betrauern, sondern zieht weiter und sieht zu, dass man sich selbst und auch die eigene Mannschaft am Leben hält.
Es gilt nun, meine Familie auf das Grundstück und damit in Sicherheit bringen, dann wird alles Weitere schon so kommen, wie es kommen soll. Wichtig ist nur, dass Simone Carls Sohn Mike erklärt, was genau mit seinem Vater geschehen ist, oder es zumindest versucht. Ich möchte nicht, dass er durchdreht und Rache an meiner Familie üben will, weil ich seinen Dad umgebracht habe. Hoffentlich legt er nicht die gleichen Unzulänglichkeiten an den Tag wie Carl.
Als ich mich dem Wald nähere, erhebe ich die Stimme, damit mich meine Lieben hören können. »Alles ist sicher am Haus. Also schaffen wir uns jetzt selbst mit allem rein, was wir haben, und zwar so schnell es geht. Die Schüsse könnten Infizierte oder irgendjemanden auf den Plan gerufen haben.« Ich nehme mir mein beladenes Rad mit Anhänger vor, suche Simones Blick und schüttele angesichts der Situation den Kopf.
»Hannah?«
»Ja, Dad?«
»Tut mir leid, dass du ihn erschießen musstest, aber ich danke dir dafür. Du hast dazu beigetragen, dass deine Mutter, Brüder und Schwestern zurück nach Hause kommen können. Es diente dazu, ihre Leben zu retten, in Ordnung? Der Mann hätte euch nicht auf unseren Hof gelassen, wenn es nach ihm gegangen wäre.«
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