Unsere Kinder scheinen keine Schwierigkeiten damit zu haben, das Ganze zu verdauen. Sie sind noch jung, also lern- und aufnahmefähiger, was diese neuen Lebensinformationen angeht. Unsere älteren Kinder schienen innerlich förmlich einen Hebel umzulegen, woraufhin sie es einfach so hinnahmen. Im Grunde genommen hätte es mehr Geschrei und Geheule geben sollen, doch auch wenn es nicht vollkommen ausblieb, war es weitaus weniger, als ich selbst gedacht hätte.
Als verantwortungsbewusster Vater hatte ich mir auch schon vor dem Zerfall Erwachsenenfilme mit den Kindern angesehen. Ich habe ihnen von den Zombie-Romanen erzählt, die ich gelesen hatte, oder sie haben meine Videospiele gesehen, wo ständig Blut spritzte und Köpfe rollten. Ich habe nicht versucht, sie von der Gewalt abzuschotten, so wie es manche irrigerweise tun; vielmehr setzte ich sie ihr aus und erläuterte ihnen, was sie sahen, falls es einer Erläuterung bedurfte. Wissen ist wirklich Macht, und nicht zu wissen, wie es auf der Welt zugeht – wie brutal sie sein kann –, stellt beim Überleben ein wirkliches Handicap dar.
Als irgendwann alles kaputtging und wir endlich wussten, womit wir es zu tun hatten, belog ich meine Familie nicht, dass alles wieder gut werden würde. Ich kündigte ihnen an, dass wir kämpfen müssten, um es durchzustehen, und erklärte Hannah, Olivia und William sofort, dass uns eine infizierte Person, die sie sehen, sofort bemerken und dann töten wird, wenn sie schreien oder zu weinen anfangen. Von da an achteten sie augenblicklich darauf, leise zu sein, wenn wir sie dazu aufforderten.
Bei Amelia und Benjamin geht es mir hauptsächlich darum, dass sie am Leben bleiben. Sie beobachten ihre älteren Geschwister natürlich und ahmen sie nach, so wie es alle kleineren Kinder tun. Dieser Tage beläuft sich das jedoch auf Leisetreten und Mundhalten, statt zum Beispiel so zu tun, als würden sie ein Telefongespräch führen. Dies ist nun einmal die einzige Welt, die sie kennenlernen werden, also werden sie nicht zu der Geisteshaltung erzogen, frei herumlaufen und grölen zu dürfen, wann immer sie es wollen, so wie wir es in unserer Kindheit taten.
Tod und Abschied
Jetzt sind wir nahe genug, um den Zaun zu sehen, und stehen plötzlich vor einem weiteren Hindernis.
Wir haben nur zehn Minuten länger als die anberaumten vier Stunden gebraucht, um unser Gut zu erreichen. Vor unserem Kauf gehörte das Land zu einem Reithof mit Stallungen. Es erstreckt sich über hundertzwanzig Morgen und sollte unser Rückzugspunkt für den Fall sein, dass es einmal so zu Ende gehen würde, wie wir es befürchtet haben. Das Gut liegt weit genug außerhalb des Einzugsgebietes von Medford, und zwar nicht nur rein von der Entfernung her, sondern auch dank der verschlungenen, kurvenreichen Zufahrt, wegen der man es mit dem Auto nur sehr schwer findet. Außerdem ist es auch zu Fuß wegen der Hügel und des Waldes nicht leicht erreichbar, wenn man es nicht konzentriert darauf anlegt. Gleichzeitig ist man dort aber trotzdem nicht zu weit ab vom Schuss, dass regelmäßige Reisen in die Stadt nicht zu bewältigen wären. Wenngleich wir es auch zu unserem Hauptwohnsitz hätten machen können, fanden wir es praktischer, es als Ausweichstelle zu nehmen. Noch dazu haben wir das Gelände als Ausbildungslager für Interessierte benutzt, die etwas vom Leben in der Wildnis und der Überlebenskunst generell erfahren wollten.
Das Haus, in dem wir bis zum Ausbruch der Krankheit gewohnt haben, steht am Stadtrand von Medford. Ich habe mir dort eine begehbare Geschäftsfläche eingerichtet, um quasi von daheim aus arbeiten zu können und meine Kinder dabei stets um mich haben zu können.
Als das Ganze losging, mussten wir das Haus schließlich aufgeben, weil die Stadt einfach zu nahe war. Im Nachhinein bezweifle ich aber, dass wir es geschafft hätten, aus Medford auf unser Gut zu fliehen, wenn wir nur einen Tag länger geblieben wären, als es letztlich der Fall war. An jenem ersten Tag brach alles unheimlich schnell zusammen. Ich bin wirklich dankbar dafür, dass wir eine alternative Unterkunft hatten und es nun unser eigenes, selbst bestücktes Überlebenstrainingslager ist.
Auf dem Grundstück stehen mehrere Anlagen und Nebengebäude, doch das Haupthaus befindet sich ungefähr hundert Yards hinter dem Zaun. Wir entschieden uns nach einem heftigen Angriff von Infizierten dazu, ihn weiter von den Gebäuden wegzuziehen. Es handelt sich dabei um eine Konstruktion aus Maschendraht, die knapp dreißig Morgen Land umgibt. Dazu gehören das Haupthaus, die Schlafstätten, zwei Mobilheime und mehrere Schuppen. Außerdem eine Scheune sowie der Reitstall, Lagerräumlichkeiten und verschiedene kleinere Unterbringungsmöglichkeiten für weitere Überlebende.
Rings um den Zaun herum haben wir im Abstand von zwanzig Yards weitere unterschiedliche Arten von Barrieren errichtet, um alle Person oder Kranke, die neugierig sind, zum Haupteingangsbereich zu lotsen. Inner- und außerhalb der Umfriedung haben wir außerdem Gärten mit Obstbäumen angelegt, wobei diese nicht näher als etwa fünfundzwanzig Yards zum Zaun gepflanzt wurden, um zu verhindern, dass sich jemand allzu leicht unbemerkt nähern kann. Hinter dieser Grenze befinden sich noch einige Gräben, Baumgruppen und hohe Felshaufen, die wir als Defensivstellungen nutzen können, falls es wieder einmal jemand auf unser Zuhause abgesehen hat.
Insgesamt sind das schon ganz anständige Voraussetzungen für jemanden, der sich auf eine Katastrophe vorbereitet hat und seinen Besitz vor Eindringlingen oder umherziehenden Infizierten schützen will. Es erweist sich allerdings als deutlich weniger ideal, wenn man vom Hamstern zurückkehrt und jemanden hinter dem Zaun Wache stehen sieht, den man überhaupt nicht kennt, während auch sonst kein vertrautes Gesicht in der Nähe ist. Und genau das, ist das Hindernis und potenzielle Problem, vor dem wir jetzt stehen.
»Simone, ich kann weder Arthur, Greg noch einen der anderen auf dem Grundstück entdecken. Hannah, was sagt dein Fernglas?«
»Nichts, Dad. Ich sehe nur diesen einen Mann, und soweit ich sagen kann, rührt sich im Haus auch niemand.«
Ich beschließe, dass wir erst einmal die Köpfe zusammenstecken und in Ruhe unsere Optionen gegeneinander abwägen. »So haben wir uns das offensichtlich nicht vorgestellt, aber wir brauchen ja trotzdem nicht gleich vom Schlimmsten auszugehen. Der Fremde geht eher spazieren, als dass er irgendetwas bewachen würde, mir kommt er sogar ein bisschen geistesabwesend vor. An dieser Seite des Hauses deutet nichts auf irgendeinen Streit oder eine Auseinandersetzung hin, zumal dies der direkteste Zugang ist, also schlage ich Folgendes vor. Jeweils einer von uns geht am Wald entlang um das Gelände herum und sucht nach Toten oder Anzeichen dafür, dass es eine Schießerei gegeben hat. Dieser Mann hier ist seinen Bewegungen und seinem Aussehen nach zu urteilen definitiv gesund, weshalb wir uns sicher sein können, dass das Gut nicht von Infizierten überlaufen wurde. Wäre dies ein feindlicher Übergriff, würden wir sofort erkennen können, dass sich unsere Mitbewohner mit Waffengewalt zur Wehr gesetzt hätten. Darum suchen wir wie gesagt nach Spuren eines Kampfes. Klingt das logisch für euch?« Ich warte. »Ihr nickt einhellig, also wer geht freiwillig?«
Alle außer Benjamin bieten sich sofort an.
»Simone und Olivia, ihr beide solltet es tun. Simone, nimm William mit. Das wird eine gute Übung für ihn sein, um mehr über das Schleichen und Beobachten zu lernen. Olivia, du schlägst die Gegenrichtung ein, und wenn ihr zwei euch auf der gegenüberliegenden Seite trefft, geht ihr trotzdem weiter für den Fall, dass der jeweils andere auf dem Hinweg etwas übersehen hat. Hannah, du bleibst bei mir. Falls uns jemand vom Grundstück aus Ärger bereiten will, bin ich in der Lage, jedem Angriff standzuhalten. Du wirst Amelia und Benjamin nach Osten zu unserer ersten Notfallstellung bringen, dort treffen wir uns hinterher alle wieder … und Hannah: Sollte mir etwas zustoßen, passt du bitte auf deinen Bruder und deine Schwester auf. Nimm sie jetzt beide mit. Habt ihr das alle verstanden?«
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