1,9So spricht Jhwh: Wegen der drei Verbrechen von Tyrus und wegen der vier nehme ich es nicht zurück: weil sie Bevölkerungen geschlossen an Edom ausgeliefert haben, ohne an den Bruderbund zu denken. 1,10So schicke ich Feuer gegen die Stadtmauer von Tyrus, damit es seine Paläste frisst.
1,11So spricht Jhwh: Wegen der drei Verbrechen von Edom und wegen der vier nehme ich es nicht zurück: weil es seinen Bruder mit dem Schwert verfolgt und seinen Bündnispartner zugrunde gerichtet hat. aSein Zorn zerriss bfortwährend, / und seine Wut wacht immerfort. 1,12So schicke ich Feuer gegen Teman, / damit es die Paläste von Bozra frisst.
1,13So spricht Jhwh: Wegen der drei Verbrechen der Ammoniter und wegen der vier nehme ich es nicht zurück: weil sie die Schwangeren von Gilead aufgeschlitzt haben, um ihr Gebiet zu erweitern. 1,14So lege ich Feuer an die Stadtmauer von Rabba, / damit es seine Paläste frisst, im Lärm am Tag des Krieges, / im Brausen am Tag des Sturms. 1,15Da geht ihr König in die Verbannung, er zusammen mit seinen Würdenträgern – spricht Jhwh.
2,1So spricht Jhwh: Wegen der drei Verbrechen von Moab und wegen der vier nehme ich es nicht zurück: weil es die Gebeine des Königs von Edom zu Kalk verbrannt hat. 2,2So schicke ich Feuer gegen Moab, / damit es die Paläste von Kerijot frisst. Da stirbt beim Kampfgetöse Moab, / beim Lärm, beim Schall des Signalhorns. 2,3Ich vernichte den Regenten aus seiner Mitte, und all seine Würdenträger töte ich mit ihm – spricht Jhwh.
2,4So spricht Jhwh: Wegen der drei Verbrechen von Juda und wegen der vier nehme ich es nicht zurück: weil sie die Weisung Jhwhs verschmäht / und seine Gebote nicht gehalten haben. Ihre Lügen ließen sie irregehen, / hinter denen ihre Vorfahren hergelaufen waren. 2,5So schicke ich Feuer gegen Juda, / damit es die Paläste von Jerusalem frisst.
2,6So spricht Jhwh: Wegen der drei Verbrechen von Israel und wegen der vier nehme ich es nicht zurück: weil sie den Gerechten um Geld verkauft haben aund den Armen wegen eines Paares Sandalen. 2,7Sie treten auf dem Staub der Erde nach dem Kopf der Geringen, aden Weg der Elenden weisen sie ab. Ein Mann und sein Vater b– sie gehen zum selben Mädchen, um meinen heiligen Namen zu entweihen. 2,8Auf gepfändeten Kleidern strecken sie sich aus / vor jedem Altar, und Wein aus Abgaben trinken sie / im Haus ihres Gottes. 2,9Ich war es: bIch habe die Amoriter vor ihnen her ausgelöscht, deren Größe wie die Größe von Zedern war, / und die mächtig wie die Eichen waren; so habe ich ihre Frucht oben und ihre Wurzeln unten ausgelöscht. 2,10Ich war es: bIch habe euch aus dem Land Ägypten heraufgeführt und ließ euch in der Wüste vierzig Jahre umhergehen, um das Land der Amoriter in Besitz zu nehmen. 2,11Ich habe aus euren Kindern Propheten auftreten lassen und aus euren jungen Leuten Gottgeweihte. Ist es nicht wirklich so, ihr Israelskinder? – Spruch Jhwhs. 2,12Aber ihr gabt den Gottgeweihten Wein zu trinken, und den Propheten befahlt ihr: „Ihr dürft nicht prophezeien!“ 2,13Seht, ich selbst lasse es wanken aunter euch, wie der Wagen wankt a, der voll ist mit Garben. 2,14Da schwindet dem Schnellen die Zuflucht, und dem Starken versagt seine Kraft. Der Held rettet sein Leben nicht, 2,15der Bogenschütze hält nicht stand. Der Leichtfüßige rettet sich nicht. aAuch wer ein Pferd reitet, rettet sein Leben nicht. 2,16Der ein starkes Herz hat unter den Helden, flieht nackt an jenem Tag – Spruch Jhwhs.
Anmerkungen zu Text und Übersetzung
„Der Text der Fremdvölkersprüche innerhalb des Völkergedichtes ist recht gut erhalten.“ 1Diese Feststellung gilt noch nach fast einem halben Jahrhundert, und sie trifft auch auf die Juda- und die Israelstrophe zu. Deshalb kann es bei wenigen Bemerkungen zum Text sein Bewenden haben.
4a Das Verb steht in der weqatal -Form, die futurische Bedeutung hat. Luther gibt das mit „ich will Feuer schicken“ wieder. Ganz korrekt müsste es heißen: „Ich werde Feuer schicken.“ Im Deutschen wird jedoch häufig das Präsens für das Futur gesetzt; dabei kann die Zeitstufe durch ein Adverb der Zeit benannt werden („ich komme morgen“), kann sich aber auch aus dem Kontext ergeben („fahrt ihr wieder in euer Ferienhaus?“ kann sich auf einen Urlaub beziehen, der noch viele Monate in der Zukunft liegt). Die meisten deutschen Amos-Übersetzungen folgen diesem Sprachgebrauch (Zürcher Bibel; Einheitsübersetzung; Bibel in gerechter Sprache; Rudolph, Amos 124 u. ö.; Jeremias, Amos 5 u. ö.). In den übrigen indoeuropäischen Sprachen muss hier natürlich das Futur stehen (Septuaginta: ἐξαποστελῶ [ exapostelō ]; Vulgata: mittam ; KJV, NRSV: „I will send“).
5.8a Das Partizip יושׁב ( jôšēb ) kann kollektiv für den Bewohner eines bestimmten Gebietes stehen („die Bewohner des Landes“, Gen 50,11; Num 14,14; „die Bewohner von Jerusalem“, Jes 5,3 u.a.). Am 1,5.8 könnten entsprechend die Vernichtung der „Bewohnerschaft aus Biqat-Awen bzw. Aschdod“ androhen (Luther 1984: „die Einwohner aus Bikat-Awen bzw. Aschdod“, NRSV: „the inhabitants from …“). Das Partizip יושׁב ( jôšēb ) kann aber auch denjenigen bezeichnen, der auf einem Thron sitzt. Zwar ist ein absoluter Gebrauch ohne jede Näherbestimmung („der Thronende“), wie er in Am 1,5.8 vorliegen müsste, sonst nicht belegt; die Zusammenstellung mit anderen Nomina sagt immer eindeutig, wer da thront („der König von Aram, thronend in Damaskus“, 1 Kön 15,18; „König von Juda, sitzend auf dem Thron Davids“, Jer 22,2; aber auch Jhwh, „der Kerubenthroner“, 2 Kön 19,15 u. ö.). Allerdings lässt sich auch in Am 1,5.8 eine solche Zusammenstellung erkennen, und zwar in der Parallele des יושׁב ( jôšēb ) mit dem „Zepterträger“. Aus diesem Grund ziehe ich die Wiedergabe mit „Herrscher“ vor (BigS: „den Thronsitzer“, ZB 2007: „den, der dort thront“; Luther 2017 hat in V. 5 „den, der auf dem Thron sitzt“ und in V. 8 – wenig konsequent – „die Einwohner aus Aschdod“).
11a Das erste textliche Problem in V. 11 ist die Wiedergabe von V. 11bα. Subjekt des Verbs שׁחת ( šiḥēt ) ist Edom: „(es) hat zugrunde gerichtet”. Schwierig ist die Bedeutung des Objekts רחמיו ( raḥamāw ). Der Plural רחמים ( raḥamîm ) heißt „liebevolles Empfinden, Erbarmen“ (KBL) oder „Mitleid, Rührung, Erbarmen“ (Ges 18). Doch wie soll man die Zusammenstellung שׁחת רחמיו ( šiḥēt raḥamāw ) verstehen? Man hilft sich in der Regel damit, dass man für שׁחת ( šiḥēt ) eine Sonderbedeutung annimmt (Luther 2017: „alles Erbarmen von sich getan“, NRSV: „cast off all pity“, Zürcher 2007: „sein Erbarmen unterdrückt“). Aber all das heißt שׁחת ( šiḥēt ) nicht, sondern „verderben, zugrunde richten, vernichten“ (KBL und Ges 18). Eine Lösung könnte darin liegen, רחמים ( raḥamîm ) eine Sonderbedeutung zuzuschreiben, die im Aramäischen belegt ist. So fordern die Juden von Elephantine den Statthalter in Jerusalem in einer formelhaften Wendung auf: חזי בעלי טבתך ורחמיך ( ḥzj bʿlj ṭbtk wrḥmjk ) (AP 30,23f. par. 31,23 = TAD A.4.7 Z. 23f.). Dies heißt: „Look upon your well-wishers and friends“ (AP) oder „Regard your obligees and your friends“ (TAD) oder „Blicke auf deine Anhänger und Freunde“ (Weippert, Textbuch 483). Da im Parallelismus von Am 1,11bα dem רחמיו ( raḥamāw ) der zweiten Vershälfte das אחיו ( ʾāḥiw , „seine Brüder“) der ersten Hälfte entspricht, kann man den Vers so übersetzen: „for he persued his brother by the sword / and utterly destroyed his allies/friends“ 2.
11b Auch der direkt anschließende Versteil 1,11bβ ist textlich unsicher. Das Problem besteht darin, dass das Subjekt des Satzes nicht klar ist. Es könnte immer noch Edom sein, wie es Septuaginta und Vulgata verstehen. Aber was sollte das heißen, dass Edom „seinen Zorn zerriss“? Will man nicht das Verb ändern, legt es sich nahe, den Zorn und die Wut als Subjekt aufzufassen. Da in Ijob 16,9 sogar dieselbe Zusammenstellung von „Zorn“ als Subjekt und „zerreißen“ als absolut gebrauchtes Verb vorkommt („Sein Zorn zerriss“), legt sich dieses Verständnis auch für unsere Stelle nahe. 3
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