„Ich will dir für deine Tapferkeit und deine Hilfe ein Geschenk überreichen, Ramgar. Du hast acht von meinen Männern das Leben gerettet. Sie wären ohne dich und den Mut deiner Leute im Meer ertrunken. Dafür sollst du das hier von mir erhalten.“
Das Gesicht des Römers blieb völlig unbewegt, als er meinem Vater den eingehüllten Gegenstand übergab. Ramgar nahm das Geschenk mit Dank entgegen und entfernte vorsichtig das Tuch. Sein erstauntes „Ah!“ klingt jedem von uns noch heute in den Ohren. Verzückt starrte mein Vater auf die scharfe, silbrige Klinge des Schwertes, das er ehrfürchtig aus der schwarzen Lederscheide gezogen hatte. Eine solche Waffe hatte Ramgar noch nie zuvor in Händen gehalten, geschweige denn besessen. Er war sichtlich beeindruckt und wusste kaum, wie er sich bei Nero Claudius Drusus dafür bedanken sollte. Aber das war auch nicht nötig, denn der hatte bereits klare Vorstellungen darüber, wie unsere Sippe den Römern ihren Dank ausdrücken konnte.
„Wir werden uns hier einige Tage lang aufhalten und benötigen Frischwasser und Fleisch. Deine Leute könnten uns dabei zur Hand gehen. Außerdem brauchen wir Mehl und was ihr von euren Wintervorräten sonst noch so entbehren könnt. Zudem sollst du mir alles über eure Nachbarn, die Chauken, mitteilen.“
„Was hast du vor, Drusus?“, fragte mein Vater neugierig.
„Ich will bis zu ihnen vorstoßen und noch etwas weiter östlich. Bandulf, der Mann vom Stamm der Ampsivarier, hat mir verraten, dass die Chauken sehr kriegerisch sind. Ich will herausfinden, ob ihr König Berengar Roms Verbündeter oder sein Feind werden will.“
Ramgar sagte zunächst nichts. Mein Vater ist nicht dumm. Er weiß, wann es angebracht ist, sich gegen etwas aufzulehnen, was man im Grunde nicht will. Er weiß aber auch, wann es klug ist, sich abwartend zu verhalten. Drusus und seine Soldaten hätten unser Dorf jederzeit niederbrennen können, ohne dass wir uns dagegen erfolgreich hätten zur Wehr setzen können. Wir wären in jedem Fall die Unterlegenen gewesen. Aber der Häuptling der Wolfssippe spürte auch, dass dieser stolze und unnachgiebige Römer Verbündete brauchte. Und so weit entfernt voneinander wir auch siedeln, so sind wir Friesen doch kein kleiner Stamm und Ramgars Wort hat großes Gewicht bei den anderen Häuptlingen. Wenn er schlecht von den Römern reden würde, könnte sich Nero Claudius Drusus noch so sehr anstrengen, er würde von keiner Sippe an der Küste freundlich aufgenommen werden.
„Wir Friesen sind uns fast immer einig und im Thing, unserer jährlichen Versammlung, bestimmen wir Häuptlinge gemeinsam unsere Pläne. Krieg mit den Chauken wollen wir nicht führen. Es sei denn, Berengar zwingt uns dazu. Wenn die Römer mit den Chauken Krieg führen wollen, werden wir stillhalten.“
Nero Claudius Drusus musterte meinen Vater nachdenklich. Dann wandte er sich um und war bereits im Begriff unser Haus zu verlassen, als er noch einmal das Wort an Ramgar richtete: „Einige unserer langen Ruderblätter sind gestern Nacht zerstört worden. Wo finden wir Holz, um sie zu reparieren?“
„Ich werde gleich morgen Früh meine Söhne Tore und Menold zu euch schicken. Etwas weiter ins Land hinein, nahe dem Moor gibt es ein Wäldchen. Dort können eure Leute genügend Bäume fällen.“
Drusus nickte freundlich und bevor ich mich noch darauf hätte einstellen können, richtete er plötzlich seinen durchdringenden Blick auf mich.
„Bist du einer von Ramgars Söhnen?“
Vor Aufregung wurde mein Kopf puterrot. Ich schluckte und konnte erst gar nicht richtig antworten.
„Jajaja!“, stotterte ich verlegen und kam mir richtig dumm dabei vor.
„Gut! Wie heißt du, Junge?“
„Tore!“
„Höre, Tore, ich habe meinen Neffen Titus aus Rom mitgebracht. Ich werde ihn dir morgen vorstellen. Er dürfte etwa so alt sein wie du. Ich habe mir gerade überlegt, dass es gut wäre, wenn du unsere Sprache lerntest. Titus soll dich, solange wir hier sind, darin unterrichten. Bist du einverstanden?“
Ich schaute meinen Vater an. Der strich sich wie so oft nachdenklich über den rötlich blonden Bart.
„Mein Vater Ramgar muss entscheiden, ob ich die Sprache der Römer erlernen darf oder nicht“, antwortete ich leise. Innerlich zitterte ich vor Aufregung. Was kam da auf mich zu?
„Es ist immer gut, wenn man die Sprache desjenigen beherrscht, der – aus welchen Gründen auch immer – zu uns ins Land gekommen ist. Das schafft Vertrauen!“
Zum ersten Mal huschte ein schwaches Grinsen über das bartlose schmale Gesicht des Römers.
„Dann soll es so sein, Tore. Morgen wirst du Titus kennen lernen.“
Nero Claudius Drusus verabschiedete sich von Ramgar und allen Anwesenden und schritt durch die Tür hinaus. Der Ampsivarier, der fortwährend hin und her übersetzt hatte, folgte ihm stumm wie ein dressierter Hund. Draußen vor der Tür hatten Drusus’ Männer geduldig auf ihren großen Anführer gewartet.
Unsere Leute blickten den abziehenden Römern nach, bis sie hinter einem kleinen Hügel verschwunden waren.
„Was hat er von dir gefordert, Ramgar?“, wollte Thoralf wissen.
„Einen Verbündeten!“
„Und was ist das für ein Schwert?“
Ramgar zog das Schwert aus der Scheide und hielt es hoch in die Luft. Der Stahl blitzte bedrohlich im Licht auf. Dann ließ er die Waffe auf einen oberschenkeldicken Holzscheit heruntersausen, der sich augenblicklich in zwei Teile spaltete.
„Ein Schwert wie dieses trennt Freund und Feind oder vereint Menschen. Es bleibt abzuwarten, wozu ich es benutzen soll. Die Römer werden uns in Ruhe lassen, aber ihre Gier nach Fremdem ist so groß, dass sie ihnen auch das Genick brechen könnte. Sie wollen zu den Chauken ziehen und noch weiter darüber hinaus.“
„Warum? Suchen sie neues Land, wo sie sich niederlassen können? Wurden sie gar von einem Feind vertrieben, der noch mächtiger ist als sie?“
„Ich weiß es nicht, Thoralf“, antwortete mein Vater. „Ich werde Drusus bei unserem nächsten Zusammentreffen danach fragen. Aber ich habe den Verdacht, dass es ihre Art ist, überall dorthin zu gehen, wo sie noch nicht gewesen sind.“
„Und zu glauben, dass ihnen das neue Land dann auch gehört!“, meldete sich Mälo. „Also, ich traue ihnen nicht!“
„Wir werden wachsam sein, aber wir werden sie nicht reizen!“, meinte Ramgar nachdenklich.
„Hast du gesehen, womit sie ihre Brust schützen?“
Mein Vater blickte Birger mit ernstem Gesicht an.
„Nichts ist mir an ihnen entgangen. Alrun hat Wahres gesprochen. Wie Schildkrötenpanzer. Trotzdem bleibt abzuwarten, was geschieht.“
„Aber sollten wir nicht die anderen Sippen benachrichtigen?“
„Das werde ich gleich morgen veranlassen und Odwin zu ihnen schicken. Doch zunächst einmal müssen wir so viel wie möglich über die Römer in Erfahrung bringen. Mein Sohn Tore wird das übernehmen. Nero Claudius Drusus hat ihn für morgen in sein Lager eingeladen.“
Ich war überrascht, was mein Vater da von mir erwartete. War das nicht die Aufgabe eines Mannes? Andererseits konnte ein junger Mensch wie ich die Fremden leichter zu allem befragen, ohne dass jemand mir misstrauisch begegnen würde. Aber zunächst würde ich die fremde Sprache so schnell wie möglich erlernen müssen. Aufgewühlt lief ich wie ein blödes Rind am Strand hin und her, als wüsste ich nicht, wohin mit mir. Was, so fragte ich mich immer wieder, kam da nur auf mich zu? Gutes oder Schlechtes? Die Götter mögen mir beistehen!
Die Männer gaben sich fürs Erste mit dem zufrieden, was Ramgar gesagt und vorgeschlagen hatte. Was hätten sie auch sonst tun sollen?
Später am Abend, als das Feuer prasselte und uns wärmte, kauerte sich Hakon noch einmal zu uns und erzählte von der Erschaffung der Menschen.
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