Über die Willenserklärung – Der Rechtsbindungswille in Zeiten des technologischen Wandels
David Saive
I. Das Internet der Verträge oder Trierer Weinversteigerung 4.0
Der Vertragsschluss im Internet ist im heutigen Leben zur absoluten Regel geworden. Die allermeisten Geschäfte des Alltags kommen über das Internet zustande. Auch im unternehmerischen Geschäftsverkehr ersetzt das Internet immer mehr den persönlichen oder fernmündlichen Geschäftskontakt.
Mit der zunehmenden Kommerzialisierung der internetbasierten Kommunikation gehen nicht unerhebliche Schwierigkeiten einher. Der Vertragsschluss ist ubiquitär. Die Nutzer des Internets müssen darauf zumindest hingewiesen werden. Das Recht darf seine ordnende Funktion nicht im Digitalen aufgeben. Ob es dafür gleich eines Updates 1 des BGB bedarf, mag bezweifelt werden. Es kommt vielmehr auf einen zeitgemäßen Umgang mit dem positivierten Recht an. Die Jurisprudenz war schon immer und ist auch heute, wie in der Zukunft darauf angewiesen, auf den technologischen Fortschritt zu reagieren. Nicht zuletzt, um Akzeptanz in das Recht und den Rechtsstaat zu erhalten und bestenfalls zu steigern. Natürlich darf die Rechtswissenschaft dabei nicht zum Getriebenen des technologischen Fortschritts verkommen. Code is law 2 darf in demokratischen Gesellschaften nicht gelten! Die Rechtsanwender:innen müssen eine aktive, eine antizipierende Rolle einnehmen.
Es ist daher umso begrüßenswerter, das bereits jetzt Themen der Künstlichen Intelligenz Gegenstand der rechtswissenschaftlichen Auseinandersetzung sind.3 Zum ersten Mal, so scheint es, ist das Recht schneller als die tatsächlichen Entwicklungen. Besonders hervorzuheben ist, dass der Ruf nach neuen Gesetzen diesmal weniger laut erklingt, als es in anderen Bereichen des Rechts der Fall war. Es wird sich dabei vielmehr auf die Grundlagen des Zivilrechts und seiner rechtshistorischen Wurzeln besonnen.4
Prof. Dr. Prof. h.c. Jürgen Taeger kann mit Fug und Recht zu einem der Vorreiter der Rechtswissenschaft im Digitalen bezeichnet werden. Schon in seiner Habilitationsschrift im Jahre 1995 stellte er fest, dass mit der Informationstechnologie ganz andere und vermutlich auch weit größere Risiken einhergehen werden, als die Erfindung des Dampfkessels als Wegbereiter der industriellen Revolution nach sich zog.5 Diesen Risiken gilt es nun zu begegnen. Dafür ist es jedoch notwendig, sich von herkömmlichen Denkweisen und Mustern zu lösen. Auf „disruptive“ Technologien muss gleichermaßen reagiert werden.
Das darf jedoch nicht bedeuten, das Handwerkszeug der Rechtswissenschaft „über Bord“ zu werfen. Wortlaut, Systematik, Historie und Sinn und Zweck bilden nach wie vor das Grundgerüst der Auslegung des Gesetzes. Vielmehr müssen vermeintlich in Stein gemeißelte, vom Gesetzestext unmittelbar abgeleitete Rechtssätze hinterfragt werden. Das ist die vornehmste Aufgabe der Rechtswissenschaft. Sie kann ohne den Druck konkreter Einzelfallgerechtigkeit abstrakte Lösungen entwickeln.
Dieser Beitrag will sich genau dessen annehmen. Bisher ging man davon aus, dass der Rechtsbindungswille nur unter bestimmten Voraussetzungen angenommen werden darf. Die Rechtsprechung hat hierzu eine beeindruckende Kasuistik entwickelt.6 Es soll kritisch hinterfragt werden, ob die im Rahmen des nunmehr schon über hundert Jahre alten Übungsfalls der „Trierer Weinversteigerung“7 entwickelten Grundsätze noch immer zeitgemäß und auf neue Technologien, insbesondere der Blockchain, anwendbar sind. Dort hieß es schon 1899 zu den Tatbeständen einer Willenserklärung:
„Willenserklärung einer Person ist dasjenige (in einigen Fällen ihr gesetzlich vorgezeichnete) Verhalten, welches nach der Erfahrung unter Würdigung aller Umstände regelmäßig – ohne Rücksicht auf Richtigkeit im einzelnen Falle – den Schluß auf einen bestimmten Willen gestattet, und bei welchem sie sich dieser Schlüssigkeit bewußt war oder bewußt sein mußte.“8
Die Rechtsprechung hat diese Formel im Grunde unverändert übernommen:
„Trotz fehlenden Erklärungsbewußtseins (Rechtsbindungswillens, Geschäftswillens) liegt eine Willenserklärung vor, wenn der Erklärende bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen und vermeiden können, daß seine Äußerung nach Treu und Glauben und der Verkehrssitte als Willenserklärung aufgefaßt werden durfte, und wenn der Empfänger sie auch tatsächlich so verstanden hat.“9
II. Der Rechtsbindungswille
Die Erklärung einer Person hat nur dann rechtsgeschäftlichen Charakter, wenn der Erklärende den Willen hat, dass seiner Erklärung eine rechtliche Geltung zukommen soll.10 Der Rechtsbindungswille wird daher auch als Rechtsfolgewille bezeichnet.11 Will der Erklärende ein Angebot i.S.d. § 145 BGB abgeben, muss die Absicht bestehen, dass mit Annahme des Angebots ein rechtlich bindender Vertrag zustande kommt.12 Bork beschreibt die Willenserklärung gar als „Manifestation des Rechtsfolgenwillens“13 und macht damit deutlich, wie wichtig der Wille, eine Rechtsfolge herbeizuführen, für das zivilrechtliche System ist.
III. Die Ermittlung des Rechtsbindungswillens
Bei dem Rechtsbindungswillen handelt es sich um ein inneres, da subjektives Tatbestandsmerkmal. Nur selten wird der Erklärende seinen Rechtsbindungswillen ausdrücklich äußern.14 Daher ist zur Ermittlung des Rechtsbindungswillens die Auslegung des Erklärten nach § 133 BGB erforderlich.15 Die Erklärung muss insbesondere zur reinen Gefälligkeit, einem sog. Gentlemen’s Agreement und zur invitatio ad offerendum abgegrenzt werden. Da sich abstrakte Leitlinien dabei kaum entwickeln lassen, wurden in der Literatur Fallbeispiele und Hilfskriterien entwickelt.16
Für den Rechtsbindungswillen sollen in Abgrenzung zu bloßen Gefälligkeiten insbesondere die wirtschaftliche Bedeutung einer Angelegenheit bzw. der Wert einer Sache und die Entgeltlichkeit einer Leistung sprechen. Auf der anderen Seite kann jedoch ein zu hohes Risiko gerade gegen einen Rechtsbindungswillen der Beteiligten sprechen.17
Bei der Feststellung, ob einem Gentlemen’s Agreement ein Rechtsbindungswille der Beteiligten zugrunde liegt, kann die Bezeichnung der Vereinbarung als solche schon Auskunft geben.18 Allerdings kommt es auch dort auf weitere Anhaltspunkte an, die für oder gegen einen Rechtsbindungswillen sprechen.
Zur Abgrenzung der invitatio ad offerendum vom Angebot nach § 145 BGB kommt es darauf an, ob der potenzielle Vertragspartner nur über das eigene Waren- oder Leistungsangebot informiert werden soll, um eine Vertragsbereitschaft zu signalisieren und die Grenzen abzustecken, innerhalb deren der Gegner mit einem Zustandekommen des Vertrags rechnen kann19 oder der Vertragsschluss schon von vornherein gewollt ist.
IV. Untersuchung der „digitalen“ Fallgruppen
Insbesondere hinsichtlich der Abgrenzung zur bloßen invitatio ad offerendum haben sich im Digitalen ebenfalls eine beachtliche Anzahl von Fallgruppen herausgebildet.
1. Vertragsschluss im Internet
Im Zentrum der rechtswissenschaftlichen Auseinandersetzung stand vor allem der Vertragsschluss im Internet.
Das Warenangebot auf einer Webseite sei ohne Weiteres als invitatio ad offerendum zu bewerten, da der Anbietende – genau wie bei der analogen Bewerbung in einem Katalog – sich sowohl die Käufer, als auch die eigene Lieferbereitschaft noch offenhalten möchte und aus Gründen der Lagerkapazität auch muss.20
Wird auf diese invitatio hin ein Angebot abgegeben, muss gem. § 312i Abs. 1 Nr. 3 BGB eine Bestellbestätigung auf elektronischem Weg an den Kunden versandt werden. Diese muss wiederum auf einen möglicherweise enthaltenen Rechtsbindungswillen geprüft werden. Grundsätzlich handelt es sich bei der Bestellbestätigung nach § 312i Abs. 1 Nr. BGB nur um eine bloße Wissenserklärung.21 Sie kann jedoch, je nach konkreter Formulierung, im Einzelfall sehr wohl eine Annahmeerklärung mit entsprechendem Rechtsbindungswillen darstellen.22 Die richterliche Bewertung ist dabei keineswegs einheitlich erfolgt. Insbesondere die verwandte Formulierung, dass „mit der Bearbeitung der Bestellung“ begonnen werde, wurde unterschiedlich bewertet.23 Legt man den objektiven Empfängerhorizont zugrunde, lassen sich beide Ansichten durchaus hören. Eine Bearbeitung meint gerade nicht die Annahme des Vertragsangebots, sondern setzt zumindest noch eine gewisse Prüfung der Modalitäten voraus. Auf der anderen Seite ist die Bearbeitung der Bestellung jedoch auch so zu verstehen, dass bereits Vorbereitungen für die Durchführung eines Vertrags vorgenommen werden.24
Читать дальше