„Ich kannte Sie ja noch nicht“, sagte sie — „und hatte Sie mir ganz anders vorgestellt.“
„Darf Elisabeth denn nicht ‚du‘ zu dir sagen, Papa?“ fragte Richard — der froh war, daß man endlich von etwas anderem sprach.
„Aber natürlich darf sie.“
„Ich wünsche es mir sehr“, sagte Elisabeth, erhob sich und trat an den alten Baron heran. — Der stand auf, legte den Arm um sie und küßte sie auf die Stirn. Dann hob er die Hand, hielt sie über ihren Kopf und sprach halblaut einen hebräischen Segen.
Als Elisabeth wieder auf ihrem Platze saß, erhob sich der alte Baron.
„Großer Gott!“ entfuhr es Resi — „wir haben ihn ja nicht hochleben lassen.“
Alle sprangen auf und riefen:
„Adolf, du!“
Und Adolf klopfte ans Glas und sagte:
„Lieber Vater. Als dein ältester Sohn habe ich die ehrenvolle Aufgabe, dich im Namen der Familie hochleben zu lassen. Unser Vater, er lebe hoch!“
„Hoch!“ riefen alle — und stießen mit dem Alten an.
Als sie wieder auf ihren Plätzen saßen, sagte Resi spöttisch:
„Ich bin ganz gerührt von Adolfs gehalt- und gefühlvoller Rede. Wirklich, Adolf, wenn du im Auswärtigen Amt geblieben wärst — ich glaube, aus dir wäre etwas geworden!“
Jetzt hatte Resi die Lacher auf ihrer Seite. Auch der alte Baron stimmte in die Heiterkeit mit ein. Dann klopfte auch er an das Glas und sagte — ohne sich zu erheben:
„Meine lieben Kinder! Ich danke euch, daß ihr gekommen seid — und freue mich, besonders dich, Elisabeth, als Tochter bei mir zu sehen. Ich habe das Gefühl, als könnten wir gute Freunde werden. Aber auch dir, Resi, verüble ich deine Worte nicht. Du hast den Mut, auszusprechen, was du denkst und was die andern denken. Ich bin in meinem Leben stets für Offenheit gewesen. Gerade an einem Tage wie diesem, wo wir zum ersten und vielleicht zum letzten Male so unter uns sind, wollen wir statt der üblichen Geburtstagsphrasen ehrlich miteinander sein. — Ihr macht euch Sorge, meine Sammlung könnte nach meinem Tode durch Teilung und Streitigkeiten unter euch entwertet werden. Diese Besorgnis ist von eurer Seite aus nicht unberechtigt. Sie sollte sich aber über die Sammlung hinaus auch auf alle die andern Kunstwerke erstrecken, die ich — und vor mir mein Vater, Großvater und Urgroßvater, gesammelt haben. Es ist die Sorge der Lebenden! Aber nicht der Toten!“ Diese beiden Sätze betonte er — und da die sechs ihn offenbar nicht verstanden, so fuhr er fort: „Dem Toten kann es an und für sich ja gleichgültig sein, wie sich seine Kinder mit dem Erbe auseinandersetzen — zumal, wenn sie imstande sind, auch ohne dies Erbe das Leben fortzusetzen, das sie bis dahin geführt haben. Noch ein Auto, noch eine Reise, ein paar Gesellschaften und ein Dutzend Kleider mehr im Jahr — lohnt es sich für mich, deshalb auch nur eine letztwillige Verfügung zu treffen? Es lohnt sich nicht! — Ihr verfahrt, als wäret ihr namenlose und traditionslose Neureiche. Deren einzige Macht ist das Geld! Aber ich und eure Mutter vermachen euch Wertvolleres! Einen Namen, dessen Wert nicht darin liegt, daß er Jahrhunderte alt ist, sondern, daß in jeder Generation die Träger dieses Namens Persönlichkeiten waren, die den Ruf der Jahrhunderte von neuem bestätigten. Ob da einer von ihnen ein bißchen Geld mehr oder weniger hatte, das hat in all den Jahrhunderten nie eine Rolle gespielt. Und nie ist es geschehen, daß einer eurer Ahnen seine Tür jemandem geöffnet oder ihn gar aufgefordert hat, an seinem Tische Platz zu nehmen, nur weil er ein reicher Mann war, von dem er Vorteile erwarten durfte. Ein Name wie der unsere verpflichtet. Von ihm kann man mit dem Dichter sagen: ‚Was du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen‘. — Mit anderen Worten: zeige dich des Namens wert, wachse in ihn hinein, indem du etwas leistest, was ihm Ehre macht! Sei als Mensch so bedeutend, wie es der Name ist, den du trägst. Wenn nicht auf dem Gebiete, auf dem deine Väter Großes leisteten, dann auf einem anderen Gebiet. — Ihr, Jungens, seid nicht Repräsentanten, sondern nur Nutznießer eures Namens. — Auch der beste Namen nutzt sich ab, wenn keine Leistung ihn bestätigt. Noch laufen Snobbisten und gesellschaftliche Streber diesem Namen nach. Ihr würdet sie auslachen, wenn ihr ihrem Gelde noch etwas anderes außer eurem Namen entgegenzusetzen hättet — und wenn es nur eine Persönlichkeit wäre! — Ihr wünscht, daß ich mein Haus bestelle und dafür sorge, daß über alles so zweckmäßig wie möglich schon zu meinen Lebzeiten Bestimmungen getroffen werden. Ich erwidere darauf: Das Wertvollste, was ich euch vermachen konnte, den Namen, habt ihr bereits. Aber ihr wißt nichts damit anzufangen. Ihr tragt ihn, wie man ein Plakat trägt. Ich aber sage euch: am gleichen Tage, wo einer von euch — gleichviel auf welchem Gebiet — eine Leistung vollbringt, die durch sich wirkt und unserem Namen Ehre macht, kommt wieder! — Der Frau des Tüchtigsten werde ich den Familienschmuck überantworten und meine Sammlungen, durch die sie zu einer der reichsten Frauen Europas wird.“
Die drei jungen Barone saßen nach dieser Rede mit gesenkten Köpfen da und wagten nicht aufzusehen. — Um so erregter waren die drei Frauen, die aufgesprungen waren und dem alten Baron laut Beifall klatschten.
„Ich halte die Wette“, rief Resi und streckte dem Alten die Hand hin.
„Was für eine Wette?“ fragte er erstaunt.
„Daß ich mit Richard das Rennen mache.“
„So? Das wird sich ja zeigen!“ widersprach Adele, während Elisabeth sagte:
„Jedenfalls haben wir jetzt eine Aufgabe zu erfüllen.“
Als die sechs in das Hotel Frankfurter Hof zurückfuhren, waren sie in einer Stimmung, die sie noch nie an sich beobachtet hatten. Es wäre — zum mindesten von den drei Brüdern v. Rosen-Geldberg — zuviel gesagt, wenn man behaupten wollte, daß sie im Innersten aufgewühlt waren. Dazu war ihr Innerstes wohl zu leer. Aber sie waren aus ihrer Lethargie erwacht und fühlten, daß sie in ihrem Leben, das bisher wie eine ununterbrochene Folge von Schaustellungen und Vergnügungen an ihnen vorübergezogen war, zum erstenmal mehr als die Rolle des Zuschauers spielen sollten. — Die weit temperamentvolleren drei Frauen aber waren geladen mit Aktivität und saßen ihren Männern mit Gefühlen gegenüber, als wenn sie ein Attentat auf sie planten.
„Was hast du vor mit mir?“ fragte Adolf ängstlich — und Frau Adele erwiderte:
„Gerade darüber zerbreche ich mir den Kopf.“
„Ich werde heute nacht kein Auge schließen“, sagte Resi.
„Glaubst du, ich?“ fragte Elisabeth — worauf Adele den Vorschlag machte, statt schlafen zu gehen, in ihrem Salon noch eine Flasche White Horse zu trinken. —
Im Hotelsalon fielen die drei Brüder etwas ermüdet in die Sessel, die um einen kleinen Tisch herumstanden, während ihre Frauen mit erhitzten Köpfen im Zimmer herumliefen.
„Ich hatte schon längst das Gefühl, es müsse etwas mit euch geschehen“, sagte Resi, die jetzt vor den drei Brüdern stand.
„Warum hast du denn nie etwas gesagt?“ fragte Richard.
„Haben wir uns in dem letzten Jahr denn überhaupt auch nur ein einziges Mal unter vier Augen gesprochen?“
„Ist das meine Schuld?“
„Hier steht nicht zur Diskussion, wer schuldig ist, sondern wer die Millionenwerte eures Vaters erbt.“
„Ich zerbreche mir gar nicht erst den Kopf“, sagte Adele — „denn mit Adolf ist doch nichts anzufangen.“
„Glaubst du, mir wird gelingen, aus Ernst einen Johore zu machen?“
„Was für einen Johore?“ fragte Adele.
„Oder wie heißt der japanische Tenor, nach dem sie vor ein paar Jahren alle ganz verrückt in Europa waren? — Es kann auch ein indischer Dichter gewesen sein.“
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