Und sie rief Hephaistos, den kunstberühmten, und sagte die Rede:
›Hephaistos! Komm doch heraus! Thetis verlangt etwas von dir!‹«
Die Antwort des Hephaistos, der sich überschwänglich freut, sei übergangen und weiter geht es im Text:
»Sprach es, und vom Amboshalter stand auf die schnaufende Ungestalt,
hinkend, und unten regten sich die dünnen Schenkel.
Die Blasebälge stellt er weg vom Feuer, und alles Gerät,
mit dem er gearbeitet, sammelte er in einem silbernen Kasten.
Und mit einem Schwamm wischte er sich ab das Gesicht und die beiden Arme
und den Nacken, den starken, und die behaarte Brust,
tauchte in den Rock und ergriff den Stab, den dicken, und ging hinaus,
hinkend, und ihn stützend, den Herrn, liefen Dienerinnen,
goldene, die lebenden Jungfrauen glichen.
Die haben drinnen Verstand im Innern und drinnen auch Stimme
und Kraft, und wissen von den unsterblichen Göttern her die Werke.
Die keuchten, den Herrn unterstützend, daher, der aber schleppte
sich hin, wo Thetis war, und setzte sich auf einen schimmernden Stuhl (thronos),
wuchs ihr ein in die Hand, sprach das Wort und benannte es heraus:
›Warum, langgewandete Thetis, kommst du zu unserem Haus,
Ehrwürdige und Liebe? Früher kamst du nicht so häufig! Sage, was hast Du
im Sinn?‹« (Hom. Il. 18,369–392. 410–426)
Wir können uns das Haus des Hephaistos so vorstellen, dass es mehrere Räume hatte, darunter ein Megaron, einen großen Saal, der mit Prachtobjekten (Dreifüßen) geschmückt war. 39Wahrscheinlich ist dieser Saal auch jener, in den Charis die Thetis hereinführt und auf einem Thron Platz nehmen lässt. 40Möglicherweise ist auch an Höfe gedacht, denn Hephaistos verlässt seine Werkstatt und geht unterstützt von seinen goldenen Roboterfrauen in das Haus. 41
Es ist in der Forschung umstritten, ob die in den homerischen Epen geschilderte und beschriebene Lebenswelt eine des 8. Jh.s v. Chr., also der Lebenszeit Homers, ist, oder ob einige Dinge auch in ältere Zeit, in die ägäische Bronzezeit des 2. Jahrtausends v. Chr., zurückverweisen. 42Auch für die bei Homer beschriebene Architektur und Ausstattung des Palasts des Hephaistos lassen sich archäologische Befunde als Vergleichsbeispiele anführen, die sowohl aus der Lebenszeit Homers als auch aus

Abb. 9: Zeichnerische Rekonstruktion des Megarons des sogenannten Nestorpalasts in Pylos, 2. Hälfte des 2. Jahrtausends v. Chr.
älterer Zeit stammen. Noch aus der ägäischen Bronzezeit stammt der sogenannte Nestorpalast in Pylos (auf der Halbinsel Peloponnes). 43Er wird in die zweiten Hälfte des 2. Jahrtausends v. Chr. datiert und besitzt ein Megaron mit Thron, einen Hof und mehrere angrenzende Wirtschaftsräume (
Abb. 9). 44Ein solches Gebäude könnte in der Beschreibung Homers gemeint sein. Näher an die Lebenszeit Homers kommen wir mit dem Heroon von Lefkandi auf der Insel Euböa. 45Dieses langgestreckte Bauwerk mit halbrundem Abschluss stammt aus dem späten 10. Jh. v. Chr. Es ist ein Grabbau, welcher der zeitgenössischen Hausarchitektur der Aristokratie nachempfunden ist. Das Heroon weist in seiner Ausstattung zahlreiche Bezüge zu homerischen Bestattungssitten und Ausstattungsluxus auf. Architekturtypologisch ist wichtig, dass es auch hier mehrere Räume gibt, von denen einer ein besonders großer Saal ist. Aus dem 8. Jh. v. Chr. stammt ein Hofgebäude in dem Ort Zagora auf der Insel Andros, das um einen Innenhof (H 21) angelegt ist, und in einem der größeren Räume (H 19) ebenfalls eine rechteckige Herdstelle aufweist. 46Auch solche Häuser der lokalen Oberschicht könnten die bei Homer vorgestellte Architektur reflektieren.
Dass die Hausarchitektur der Götter im Olymp in Beziehung zu der tatsächlichen Hausarchitektur der griechischen Aristokraten steht, wird in der Odyssee sogar deutlich ausgedrückt. Dort wird der Palast des Helden Menelaos in Sparta beschrieben und mit dem Palast des Zeus auf dem Olymp verglichen:
»Schau, Nestor-Sohn, du mein Herzen Geliebter!
Das Funkeln von dem Erz rings in den hallenden Häusern,
und von dem Gold und Bernstein und Silber und Elfenbein!
So mag der Hof des Zeus, des Olympiers, sein im Inneren,
wie dieses unendlich Viele hier. Heilige Scheu faßt mich, wenn ich es sehe.« (Hom. Ody. 4,71–74) 47
Durch Ilias und Odyssee bekommen wir eine gute Vorstellung davon, dass die Götter als im Olymp wohnend gedacht sind. Die Vorstellung von den Palästen der Götter ist dabei konkret an Verhältnissen der zeitgenössischen Lebenswelt – sicher ins Übertriebene gesteigert – orientiert.
2.2 Der Olymp nach Homer: Berg, Himmel, Jenseits
Damit wenden wir uns nun den nachhomerischen Zeugnissen zu. Beginnen wir mit dem griechischen Dichter Hesiod, der im frühen 7. Jh. v. Chr. schrieb. Bei ihm finden wir weitgehend dieselbe Vorstellung vom Olymp wie bei Homer. Hesiod sieht den Olymp gleichermaßen als konkreten nordgriechischen Berg wie auch in einer überweltlich himmlischen Sphäre. 48Ein wichtiger Aspekt, der bei Hesiod neu dazukommt, ist, dass die Musen, die Göttinnen der Künste, in der am Olymp gelegenen Landschaft Pieria geboren wurden und am Olymp leben:
»Gut, dann will von den Musen ich anfangen, die ihrem Vater
Zeus im Olymp den machtvollen Sinn mit Gesängen erfreuen,
wenn sie, die Stimmen harmonisch vereint, von Gegenwart, Zukunft
und von Vergangenheit künden; die lieblichen Töne entfließen
unermüdlich dem Mund. Da lacht der Palast des gewaltig
donnernden Vaters Zeus, wenn die Göttinnen lilienklare
Stimmen weithin verströmen; es hallt der Olymp mit verschneitem
Haupt und die Häuser der Ewigen. Unter den herrlichsten Klängen
Preisen im Sang sie zuerst vom Urbeginn an die gerühmte
Sippe der Götter, die Gaia dem weiten Uranos schenkte,
und die aus ihnen entsprossenen, die Götter, die Gutes uns spenden;
dann aber preisen sie Zeus, den Vater der Götter und Menschen,
(wenn sie beginnen den Sang, die Göttinnen, oder ihn enden,)
Wie er der höchste der Ewigen sei und an Stärke der größte.
Schließlich singen vom Stamm der Menschen und starken Giganten
Rühmend die Mädchen, den Sinn des Zeus im Olymp zu erfreuen,
Töchter des agisschüttelnden Zeus, die olympischen Musen.
Diese gebar Mnemosyne, die Herrin am Hang des Eleuther,
ihm sich vereinend, dem Vater Kronion im Lande Pierien,
als ein Vergessen des Bösen, als Trost bei Not und bei Sorge.
Neun volle Nächte wohnte ihr bei der allweise Herrscher
Zeus, und fern von den Göttern bestieg er ihr heiliges Lager.
Als nun das Jahr verstrich, bei schwindenden Monden die Zeiten
Flohen und viele Tage vollendet waren im Kreislauf,
hat neun Mädchen von gleichem Sinn sie geboren, die einzig
Singen im Busen bewegt – sie tragen ein Herz ohne Sorgen –,
hoch auf verschneitem Olymp in der Nähe des obersten Gipfels.
Schimmernde Tanzplätze haben sie dort und schöne Paläste,
nahe bei ihnen bewohnen auch Himeros und die Chariten
Häuser im Glanz; dem Mund entströmen liebliche Lieder,
tanzend rühmen sie laut Gesetzte und sorgende Obacht
aller Götter, sie lassen gar liebliche Lieder entströmen.
Prunkend in heiligem Tanz und mit herrlichen Stimmen, so eilten
sie zum Olymp hinauf; rings jauchzte die bräunliche Erde
über den Sang, es erhob sich ein zartes Geräusch von den Füßen,
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