Hans Imgram - Chronik eines Weltläufers

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Karl May hat seinen Ich-Helden fast die ganze Welt bereisen und Abenteuer bestehen lassen, doch er tat das meist ohne planvolles Zeitgefüge. Einige Reisen hat er nur angedeutet, ohne sie näher zu beschreiben, und manche frühen Abenteuer erst nachträglich in spätere Erzählungen eingeflochten.
Der Karl-May-Freund Hans Imgram hat es nun unternommen, in langjähriger Arbeit alle Episoden auf einer chronologischen Linie zu ordnen, Lücken zu ergänzen und daraus das spannende Reisetagebuch des Old Shatterhand alias Kara Ben Nemsi zusammenzustellen.

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Bei einer Gazellenjagd lernte ich den Obersten der Leibgarde des Herrschers von Tunis kennen, der als ‚Krüger Bei‘ bekannt und ein ehemaliger Bierbrauer aus Brandenburg war. Als ich ihn auf Deutsch ansprach, war er erst verblüfft, dann aber hocherfreut, dass er in mir einen Deutschen vor sich hatte. Und dann tauchte noch eine weitere Überraschung auf: Lord David Percy, der eigentümliche Sohn des Earl von Forfax, mein ehemaliger Reisegefährte in Indien.3 Beide wollten nach Seraïa Bent, um von Scheik Ali en Nurabi einige prächtige Pferde zu kaufen. Von den Reitern des Stammes wurden wir mit einer Fantasia begrüßt und vom Scheik zum Essen eingeladen. Wir machten ihm die geschossenen Gazellen zum Geschenk. Seine beiden Söhne waren mit einigen jungen Leuten unterwegs, um einen Überfall durch die Beni Hamema auf eine Karawane zu verhindern. Dann besichtigten wir die Pferde des Stammes. In der Herde befanden sich eine prachtvolle milchweiße Stute und ein noch kostbareres Bischarîn-Hedschîn. Während der Besichtigung kamen die beiden Söhne des Scheiks mit einem Gefangenen: Sâdis, der Krumir, der einen aus dem Stamm getötet und zwei andere verwundet hatte. Kaum waren wir im Lager, da stellte sich der Krumir hinter die Tochter des Scheiks und rief: „Ich bin der Beschützte!“ Die Versammlung der Ältesten beriet über das weitere Schicksal des Krumir. Achmed bat mich, ‚Schmiere‘ zu stehen, damit er sich heimlich mit der Tochter des Scheiks treffen konnte. Als ich das Liebespaar bewachte, sah ich eine verdächtige Gestalt. Es war der Krumir. Doch ich wurde von einigen anderen Personen niedergeschlagen, die mich fesselten und knebelten. Als ich aus der Bewusstlosigkeit erwachte, konnte ich aus ihrem Gespräch ihr weiteres Vorhaben hören. Sie wollten die Tochter des Scheiks entführen, das Bischarîn-Hedschîn und die weiße Stute stehlen. Trotz der Fesseln konnte ich einen meiner beiden Revolver erreichen und sechs Schüsse abgeben, sodass das ganze Duar geweckt wurde. Achmed hatte inzwischen einen der Hamema-Beduinen erschossen und einen zweiten verwundet, als sie auch meinen Hengst stehlen wollten. Es wurde beschlossen, dass ich mit Achmed, Lord Percy, dem Scheik und sechzig Beduinen die Verfolgung aufnehmen sollte, während hundertfünfzig Stammesangehörige unter der Leitung des Scheiksohnes der erwarteten Karawane entgegenreiten würden.

Mittwoch, 14. August 1867:

Krüger Bei, der Anführer der tunesischen Heerscharen konnte sich unserer Unternehmung nicht anschließen. Er kehrte mit seinen Begleitern nach el Bordsch zurück, wobei er eine große Strecke mit den Uëlad Sedira reiten konnte, die der Kâfila entgegengingen. Er nannte mich seinen Freund und mahnte, ich solle nicht vergessen, ihn in Tunis zu besuchen. Dann brachen wir auf, die einen nach Norden und wir anderen nach Süden. Wir ritten in Richtung des Bah Abida, den der Krumir übersteigen wollte. Später entdeckten wir, dass die Räuber sich getrennt hatten. Es waren vier verschiedene Spuren entstanden und es dauerte lange, bis ich endlich die gesuchten Hufeindrücke fand, die ich dem Krumir zuordnen konnte. Er schien mit der Tochter des Scheiks allein weiterzureiten. Nun aber ging es mit verdoppelter Eile auf der neu entdeckten Fährte weiter. Wir erreichten den Bah Abida nach dem Nachmittagsgebet und waren bei Sonnenuntergang auf seinem Gipfel.

Donnerstag, 15. August 1867:

Obwohl die Verfolgten der Spur nach nur zwei Stunden vor uns waren, mussten wir nach einigen Stunden feststellen, dass wir ihnen nicht näher gekommen waren, weil sie bessere Pferde besaßen. Deshalb trennten wir uns von unserem Trupp und wir vier, Achmed, Lord Percy, der Scheik und ich, ließen unsere Tiere doppelt ausgreifen. Nach stundenlangem Ritt sah ich weiße und farbige Punkte, die sich bewegten. Durch mein Fernrohr erkannte ich ein Kamel mit einer Atuscha und sieben Reiter, der eine von ihnen auf einer Milchstute. Als wir ihnen näher gekommen waren, blickte sich der Krumir um und erkannte, dass wir ihn einholen würden. Er ließ nur einen kurzen Augenblick halten, dann stob der Trupp auseinander, der Krumir geradeaus, das Hedschîn nach rechts und die anderen Reiter nach links. Ich eilte dem Krumir nach und hatte ihn beinahe erreicht, als er nach links abbog auf ein Beduinenlager zu. Der Krumir war gerettet, denn es waren Bekannte von ihm, die mich mit hundert Gewehren in Schach hielten. Da schwang ich mich vom Pferd und sprang auf zwei Frauen zu, die aus einem Zelt getreten waren. „Ich bin unter dem Schutz der Frauen!“, rief ich laut und huschte in das Zelt hinein. Die jüngere hieß Dschumeila und war die Nichte des Scheiks. Die Versammlung der Ältesten sah neben dem Krumir und mir auch den Scheik und den Engländer, die auch gefangen waren, als freie Menschen an, die das Lager jederzeit verlassen könnten, sprachen aber die geraubte Tochter des Scheiks dem Krumir zu. Mir gestand Scheik Mohammed er Rahman, dass ein Löwe schon einige Männer der Mescheer getötet und Kamele, Rinder und Schafe gerissen habe. Nun sei auch noch ein schwarzer Panther hinzugekommen. Da erbot ich mich, zusammen mit Lord Percy diese Raubtiere zu schießen. Ich ordnete an, wie die Herden der Pferde, Kamele, Rinder und Schafe in der Nacht zu stehen hätten, und machte mich zusammen mit Lord Percy ungefähr anderthalb Stunden vor Mitternacht auf, um unsere getrennten Positionen einzunehmen. Es verging eine lange Zeit, dann ein scharfes Prasseln und Krachen von Knochen, ein Schuss und noch einer, dann war es wieder still. Auf meinen Zuruf antwortete Lord Percy, dass er nicht wisse, ob er den Löwen richtig getroffen habe. Und dann waren plötzlich zwei Panther neben mir. Dem einen schoss ich ins rechte Auge, der Panther war tot. Für den anderen brauchte ich zwei Schüsse. Wir sahen die Blutspur des angeschossenen Löwen und wollten morgen seinen Weg verfolgen. Von den beiden Pantherfellen schenkte ich eines dem Scheik, das andere seiner Nichte Dschumeila.

Freitag, 16. August 1867:

Am nächsten Morgen brachen wir mit zweihundert Beduinen auf, um das Lager des Löwen zu finden, dessen Blutspur wir nachgingen. In einem Gebüsch fanden wir den toten Löwen, die Löwin mit ihren Jungen war weitergezogen zu einem Talkessel, wo wir sie stellten. Zwei meiner Schüsse trafen sie tödlich. Als wir wieder im Duar ankamen, war der Krumir fort und hatte Mochallah mitgenommen, in südlicher Richtung nach dem Dschebel Tiuasch zu. Und auch seine Kumpane, die Hamema-Beduinen, waren verschwunden. Wir nahmen die Verfolgung auf, doch es gelang uns nicht, die Räuber noch am ersten Tag zu erreichen.

Samstag, 17. August 1867:

Wir näherten uns jenen wenig besuchten Ländereien, in denen die Grenze zwischen Algerien und Tunesien strittig ist. So erreichten wir um die Mittagszeit die Berge von Schania, von denen man in das Gebiet der Schotts herabblicken kann. Auch heute holten wir den Krumir nicht ein.

Sonntag, 18. August 1867:

Wir kamen an eine Stelle, an der der Krumir mit seiner Gefangenen die Nacht zugebracht hatte. Gegen Mittag, blitzte es am fernen Himmelsrand hell und kristallisch auf; das war der Schott Rharsa. Wir sahen zwei Pferde, einen Falben und einen Schimmel: Mochallah und der Krumir. Auch er musste uns erkennen, denn er flog mit beiden Pferden davon. Wir näherten uns dem glänzenden Spiegel des Schotts immer mehr. Ich holte den Krumir mit meinem Lasso aus dem Sattel, doch er schwang sich hinter Mochallah auf deren Pferd und lenkte es auf die hell erklingende Salzdecke hinaus, ich hinter ihm her. Und Achmed folgte mir. Der Boden dröhnte, wankte, knirschte und prasselte. Der Tod flog mit uns, vor, neben, unter uns. Als der Krumir merkte, dass sein Pferd an Kraft verlor, weil es die doppelte Last zu tragen hatte, wollte er Mochallah herunterstoßen, doch die klammerte sich an ihm fest. Er aber schlug sie herunter, das flüssige Salz gab nach, sie sank. Doch in diesem Augenblick schoss mein Pferd an ihr vorüber, ich beugte mich tief hinab und fasste sie am Oberarm und zog sie hoch. Da endlich bemerkte ich einen dunklen Streifen, das war fester Boden, doch wir mussten springen, um auf ihm zu landen. Der Krumir war noch vor uns. Mein Rappe flog wie ein Vogel über den breiten, tief sumpfigen Rand hinweg, der die Salzkruste vom festen Boden trennte, und gleich hinter mir landete auch Achmed glücklich. Der Krumir aber lag regungslos im Sand. Seine ermüdete Stute war zu kurz gesprungen, und der aus dem Sattel geschleuderte Krumir hatte, mit dem Kopf zuerst aufschlagend, den Hals gebrochen. Wir banden den Toten auf sein Pferd, während Achmed Mochallah mit auf das seine nahm. Dann ritten wir unseren Gefährten entgegen. Später versenkten wir den Leib des Krumir unter die Salzkruste des Schotts Rharsa.

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