Hans Imgram - Chronik eines Weltläufers

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Karl May hat seinen Ich-Helden fast die ganze Welt bereisen und Abenteuer bestehen lassen, doch er tat das meist ohne planvolles Zeitgefüge. Einige Reisen hat er nur angedeutet, ohne sie näher zu beschreiben, und manche frühen Abenteuer erst nachträglich in spätere Erzählungen eingeflochten.
Der Karl-May-Freund Hans Imgram hat es nun unternommen, in langjähriger Arbeit alle Episoden auf einer chronologischen Linie zu ordnen, Lücken zu ergänzen und daraus das spannende Reisetagebuch des Old Shatterhand alias Kara Ben Nemsi zusammenzustellen.

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Hier traf ich auf dem Markt Vater Pent, das Oberhaupt einer Samenfamilie, die er wie ein Patriarch beherrschte. Er nahm mich mit und ich fand bei seiner sehr gastlichen Familie freundliche Aufnahme und war sofort in den Sippenverband mit eingeschlossen.

März 1868:

Es war der kälteste Winter, den ich je erlebte. Und ein Nordlicht, wie ich es in dieser Pracht und Herrlichkeit noch niemals beobachtet hatte. Ich nahm an einer Bärenjagd teil und es gelang mir, einige Geldbeutel wiederzufinden, die Vater Pent gestohlen worden waren, worauf dieser sein Amulett, seinen Talisman, in das Feuer warf. Zuvor sagte er zu mir: „Nie hat man hier solche Waffen gesehen, wie die deinigen sind. Ein jeder Dieb wird sich vor dir fürchten. Auch bist du in fernen, wilden Ländern gewesen, wo du gelernt hast, die Spur eines Flüchtlings zu lesen, wie wir es nicht vermögen. Du selbst hast uns erzählt von den bösen Indianern, denen ihr gefolgt seid über Berg und Tal, um ihnen die Felle wieder abzunehmen, die sie euch gestohlen hatten.“

Ich blieb noch einige Zeit bei der gastlichen Lappenfamilie, doch irgendwann musste ich wieder fort. In Salmis hatte ich noch zwei Tage zu warten, bis ein Schiff nach Stockholm ablegte. Von dort aus gelangte ich nach Rostock und im März 1868 war ich wieder zu Hause.

12. VIERTE NORDAMERIKA-REISE (1868-1869)

Donnerstag, 26. März 1868:

Als ich mich in Hamburg nach einer Überfahrt in die USA erkundigte, erfuhr ich, dass schon morgen ein Dampfschiff nach New Orleans abgehen werde, und erhielt glücklicherweise noch einen Platz.

Montag, 20. April 1868:

In New Orleans war ich zuletzt im Jahre 1866, als ich den Sohn des Bankiers Ohlert aus New York suchte und dort Old Death kennenlernte. Diesmal wollte ich, bevor ich mich in die ‚dark and bloody grounds‘ begab, den Mississippi hinauf, etwa bis Vicksburg, und von da aus nach Westen. Also fuhr ich mit einem Mississippi-Steamer hinauf bis Baton Rouge, wo ich auf das Dampfboot nach Natchez warten musste. Am Landeplatz saßen zwei Bettler. Ihre Gesichter kamen mir bekannt vor. Dem einen fehlten beide Augen. Der andere hielt mir seinen Hut hin. Als ich ein Silberstück hineinwarf, wusste ich, wen ich vor mir hatte: Es waren Grinder und Slack. Die Mörder der beiden Goldgräber-Brüder hatten nach dem Blizzard auf Fort Hillock doch nicht ihre Strafe gefunden, aber ihre jetzige Lage war jedenfalls noch schlimmer als der Tod.1

Donnerstag, 28. Mai 1868:2

Ich hatte zuletzt mit Winnetou und einer Schar seiner Apatschen in der Sierra Blanca gejagt. Wir wollten dann zu den Navajos hinüber. Es kam aber nicht dazu, denn auf Wunsch Winnetous begleitete ich einen kalifornischen Geldtransport nach Fort Scott. Von Fort Scott solle ich nordwärts zu der westlich vom Missouri gelegenen Gravel-Prärie reiten, wo er wieder mit mir zusammentreffen werde, denn er wolle seinen alten, berühmten Freund Old Firehand besuchen, der sich jetzt in jener Gegend aufhalte. Ich ritt erst über den Kansas und dann über den Nebraska, durch das Gebiet der Sioux. Meiner Berechnung nach musste ich mich jetzt in der Nähe einer Ölniederlassung befinden, die New Venango hieß und in einer jener Schluchten lag, die gewöhnlich von einem Flüsschen durchzogen sind. Schon gab ich es auf, dieses Ziel heute noch zu erreichen, da bemerkte ich seitwärts zwei Reiter, die gerade auf mich zuhielten. Einer der beiden war noch ein Knabe von vielleicht dreizehn Jahren. Er hieß Harry und er erzählte mir, dass er von seinem Bruder komme, der in Omaha wohnte, und sein Begleiter, der Forster hieß, sei nicht nur der Vater seiner Schwägerin, sondern auch der Besitzer der Ölquelle in New Venango. Harry glaubte nicht, dass Winnetou, den er übrigens sehr gut zu kennen schien, mir mein Pferd geschenkt hatte. Nachdem ich im Store eingekauft und auch meinen Munitionsvorrat ergänzt hatte, war es dunkel geworden. Ich erlauschte unabsichtlich ein Gespräch zwischen Forster und Harry, der dem Jungen erklärte, dass er Öl in die Landschaft ablaufen lasse, um es knapper und damit teurer zu machen. Welch ein sträflicher Leichtsinn, denn in diesem Augenblick dröhnte ein Donnerschlag, als sei die Erde mitten unter uns auseinander geborsten. Ich sah da, wo der Bohrturm in Betrieb gewesen war, einen glühenden Feuerstrahl senkrecht in die Höhe steigen. Ich kannte diese furchtbare Erscheinung, denn ich hatte sie im Kanawhatal in ihrer ganzen Schrecklichkeit gesehen.3 Mich weiter um niemand kümmernd, riss ich Harry in meine Arme und saß im nächsten Augenblick mit ihm im Sattel. Und in rasendem Lauf trug uns Hatatitla stromabwärts durch das immer rascher vorwärtsschreitende Feuermeer. Dass wir diesem Inferno über den Fluss entrinnen konnten, grenzte schon an ein Wunder. Als Harry, der bewusstlos geworden war, wieder zu sich kam, nannte er mich einen Feigling, weil ich die anderen aus dem Tal nicht auch noch gerettet hätte. Er riss sich von mir los und in meiner Hand blieb ein Ring zurück. Ich sah ihn nicht mehr und konnte ihm deshalb auch nicht folgen. Ich beschloss, die Nacht hierzubleiben und den Anbruch des Morgens zu erwarten.

Freitag, 29. Mai 1868:

Das Tageslicht milderte den blendenden Schein der Flammen. Außer einem kleinen Häuschen oberhalb des Tales war alles verschwunden. Vor diesem Häuschen standen einige Menschen, bei denen ich Harry gewahrte. Als ich zu ihnen wollte, trat man mir mit Waffen entgegen, bezeichnete mich als Mordbrenner und schoss auf mich, doch ohne zu treffen. Deshalb blieb mir nichts anderes übrig, als diese Gegend zu verlassen.

Samstag, 30. Mai 1868:

Am nächsten Tag erreichte ich eine Mulde in der Gravel-Prärie, wo ich mich mit Winnetou treffen wollte.

Samstag, 6. Juni 1868:

Ich musste aber eine ganze Woche auf ihn warten. Es tummelten sich da mehrere Trupps von Sioux in der Gegend herum. Als Winnetou kam und ich ihm die Anwesenheit der Roten meldete, war er einverstanden, sogleich weiterzureiten. Ich freute mich sehr darauf, den berühmten Old Firehand endlich kennenzulernen. Der Weg zu ihm war nicht ungefährlich.

Sonntag, 7. Juni 1868:

Das merkten wir schon am nächsten Tag, als wir auf die Fährte von Indianern trafen. Wir vermuteten, dass der Haupttrupp hier in der Nähe lagerte, weshalb ich die Gegend nach den Indianern absuchen wollte, während Winnetou bei den Pferden blieb. Ich kam bald zu deren Lager, wo sich ungefähr hundert Mann befanden, sämtlich mit den Kriegsfarben bemalt. Mir gelang es, zwei Häuptlinge, von denen einer Parranoh vom Stamme der Poncas war, bei ihrem Gespräch zu belauschen, und ich erfuhr, dass sie Fort Niobrara überfallen wollten. Ich hatte genug gehört und zog mich geräuschlos zurück. Doch da warf sich ein riesiger schwarzer Schatten auf mich. Himmel, hatte der Kerl Kraft. Wir rangen stillschweigend miteinander, doch ich konnte mich noch so anstrengen, dieser Mensch schien unbezwingbar. Dabei verlor ich mein Messer und in einer Kampfpause zog ich mich etwas von ihm weg. Als ich mich wieder auf meinen Gegner stürzen wollte, war er verschwunden. Da ich vorher gerade noch seinen Bart berührt hatte, wusste ich, dass es kein Indianer, sondern ein Weißer war. Mein Bowiemesser war fort, mein Gegner hatte es wohl auf der Suche nach seinem eigenen gefunden und an sich genommen. Mit Winnetou ritt ich dann eine große Strecke weit, bis wir unser Nachtlager aufschlugen. Jetzt erzählte ich ihm, was ich erlebt hatte, und war ganz überrascht, als er sagte, dass er mit Parranoh, dem weißen Häuptling der Poncas, noch eine Abrechnung habe. Da er nicht mehr darüber erzählte, fragte ich auch nicht, denn wenn es an der Zeit war, würde er sein Schweigen schon brechen.

Montag, 8. Juni 1868:

Am nächsten Morgen ritten wir zum Fort Niobrara, um die Besatzung vor dem Überfall durch die Poncas zu warnen. Winnetou und ich waren schon einmal vor Jahren hier in diesem Fort gewesen,4 das ich jetzt allein aufsuchte. Der Fortkommandant war ein anderer als damals vor über drei Jahren. Er hatte Besuch, den ich sofort erkannte, obwohl ich ihn noch niemals in meinem Leben gesehen hatte: Es war Old Firehand und er hatte, zu meiner Überraschung, neben seinem eigenen auch mein Bowiemesser in seinem Gürtel stecken. Jetzt brauchte ich mich freilich nicht mehr zu wundern, dass es mir nicht gelungen war, den Mann zu überwältigen, der gestern im Dunkel der Nacht mit mir gekämpft hatte. Ich berichtete dem Kommandanten vom geplanten Überfall der Poncas, doch war er schon von Old Firehand darüber informiert worden. Nachdem ich sagte, dass auch Winnetou in der Gegend sei, hatte der Kommandant keine Bedenken mehr, mit seinen dreißig Mann Besatzung das Fort gegen hundert Indianer zu verteidigen. Und Old Firehand erriet nun, dass ich Old Shatterhand war, war jedoch ganz erstaunt, zu erfahren, dass ich zudem derjenige war, mit dem er gestern Abend gerungen hatte. Nachdem auch Winnetou herbeigeholt worden war, wurde Lagebesprechung gehalten. Obwohl die Indianer ihre Angriffe meist gegen Morgengrauen vornehmen, stand die ganze Besatzung schon von Mitternacht an hinter den Palisaden bereit.

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