Hans Imgram - Chronik eines Weltläufers

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Karl May hat seinen Ich-Helden fast die ganze Welt bereisen und Abenteuer bestehen lassen, doch er tat das meist ohne planvolles Zeitgefüge. Einige Reisen hat er nur angedeutet, ohne sie näher zu beschreiben, und manche frühen Abenteuer erst nachträglich in spätere Erzählungen eingeflochten.
Der Karl-May-Freund Hans Imgram hat es nun unternommen, in langjähriger Arbeit alle Episoden auf einer chronologischen Linie zu ordnen, Lücken zu ergänzen und daraus das spannende Reisetagebuch des Old Shatterhand alias Kara Ben Nemsi zusammenzustellen.

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Montag, 5. Oktober 1868:

Als ich wieder zu mir kam, graute bereits der Morgen. Ich war gefesselt. Da vernahm ich eine Stimme, die ich kannte: Es war die Stimme von Santer, dem Mörder von Intschu tschuna und Nscho-tschi, dem Vater und der Schwester Winnetous. Winnetou, den man krummgeschlossen hatte, und ich befanden uns in einer sehr misslichen Lage, denn von Santer hatten wir beide keine Gnade zu erwarten, zumal dieser ja wusste, dass Winnetou immer hinter ihm her sein würde, um seinen Vater und seine Schwester zu rächen. Uns konnte nur eine List helfen, wir mussten Santers Habgier nach Gold und Reichtum wecken, um ihm vielleicht dadurch zu entkommen. Santer war der Pedlar, den wir gesucht hatten, und die drei hilfsbedürftigen Fußgänger waren seine Gehilfen, während Rollins angeblich nicht zu ihm gehörte und gestern Abend entkommen war. Als wir beide dann allein zusammenlagen, sprachen wir heimlich über den Goldschatz, den Winnetou angeblich nur eine Tagesreise von hier versteckt hatte, denn wir ahnten, dass Santer unser Gespräch belauschen würde. Seine Gier nach Reichtum und Gold schien momentan größer zu sein als die, uns zu töten, denn wir würden ihm ja sowieso wieder in die Hände fallen. Dann wurden die drei Helfer von Santer losgeschickt, die Umgegend nach Rollins abzusuchen und ihn zu fangen. Und sie brachten ihn tatsächlich nach einiger Zeit herbei. Santer und Rollins spielten ihre Rollen so, als ob sie gute Bekannte seien, die sich nach langer Zeit wieder einmal sahen. Sie taten schließlich so, als ob Rollins es durch seine Fürsprache fertig brächte, dass wir später mit allem, was wir besaßen, freigelassen werden sollten. Santer ritt mit den anderen fort und Rollins sollte uns am Abend befreien, sodass wir in der Nacht Santer nicht mehr folgen konnten. Als uns Rollins dann die Fesseln abnahm, ritten wir mit ihm in der Dunkelheit in Richtung der ‚Festung‘.

Dienstag, 6. Oktober 1868:

Am Morgen wurde eine kurze Rast gemacht und gegen Mittag wieder. Dann schnappten wir uns Rollins und banden ihn an einen Baum. Später, nach der Überwältigung Santers, wollten wir ihn hier abholen. Wir ritten etwas seitwärts zurück, denn wir wollten nun Santer abfangen, der uns bestimmt auf unserer Spur folgte. Es war noch anderthalb Stunden Tag, und bis dahin musste er uns eingeholt haben. Als wir etwas später in der Ferne einen Reiter sahen, der in die Richtung ritt, aus der wir Santer erwarteten, ahnten wir nichts Gutes. Ich ritt zurück und stellte fest, dass jemand Rollins befreit hatte und dass dieser Jemand, der Fußspur nach, kein anderer als Sam Hawkens gewesen sein konnte. Ich jagte zu Winnetou zurück und wir ritten nun auf unserer alten Fährte so weit, bis wir auf eine Spur von vier Reitern trafen, die mit einem anderen Reiter zusammengetroffen waren und eine andere Richtung eingeschlagen hatten. In der hereinbrechenden Dunkelheit mussten wir die Verfolgung aufgeben und ritten stattdessen zur ‚Festung‘, wo wir ankamen, als der Mond aufging. Da sich der Zustand von Old Firehand etwas verschlechtert hatte, bat mich Winnetou, hierzubleiben und nicht mit ihm Santer zu jagen, denn ich würde hier jetzt notwendiger gebraucht.

Mittwoch, 7. Oktober 1868:

Noch schien der Morgenstern hell, da ritten wir miteinander hinaus in den Wald, und gerade als es tagte, hielten wir an der Stelle, wo wir vor der neuen Fährte Santers umgekehrt waren. Ein Druck seiner Hände für mich, ein lauter, gellender Zuruf an seinen Rappen, und er jagte davon, dass sein langes, herrliches Haar wie eine Mähne hinter ihm herwehte.

Mittwoch, 28. Oktober 1868:

Ich war in das Lager von Old Firehand zurückgekehrt. Einige Tage später erfuhren wir von den Soldaten, die die Verbindung zwischen Fort Randall und der ‚Festung‘ aufrecht hielten, dass einige Jäger und Fallensteller einer Pelzhandelsgesellschaft im Fort angekommen waren und sich dort einige Zeit von den Strapazen der Jagd erholen wollten. Sie wären vermutlich bereit, Old Firehands Bestand aufzukaufen. Daraufhin ritt Sam Hawkens mit Dick Stone und Will Parker hinüber ins Fort, um die Abholung der Felle zu organisieren. Als alles zu Old Firehands Zufriedenheit erledigt war, konnte man an eine Abreise nach Osten denken, zumal sich sein Zustand rasch gebessert hatte. Gemeinsam ritten wir nach Fort Randall, wo wir uns vom ‚Kleeblatt‘ verabschiedeten, das nach Westen zu den Black Hills wollte.

Im Fort ging ich zum Store, um meine Munition zu ergänzen, und fand hier eine Gesellschaft von Männern, die um einen ‚Old Shatterhand‘ saßen und mit Begierde seinen Flunkereien lauschten. Ich fragte ihn, ob er wirklich Old Shatterhand sei, und als er die Frage bejahte, erklärte ich, dass ich der einzige Mann sei, der das Recht besitzt, diesen Namen zu führen. Da er mich hierauf einen Lügner nannte, führte ich den Beweis, dass ich die Wahrheit gesagt hatte: Ich gab ihm die Faust an den Kopf. Wie ich erfuhr, war er ein aus Iowa gebürtiger Fallensteller namens Stoke.5

Ich begleitete Old Firehand und Harry bis nach Omaha, wo sich Firehand bei seinem älteren Sohn erholen wollte. Eigentlich war es meine Absicht, in die Heimat zurückzukehren: doch wohin mit meinem Hatatitla? Da es hier oben bald Winter wurde, gedachte ich mir ein entsprechendes Quartier zu suchen. Mir fiel der Bärenjäger Baumann ein, dem ich ja versprochen hatte, irgendwann bei einer meiner Nordamerika-Reisen einmal wieder vorbeizukommen. Deshalb lenkte ich Hatatitla nach Westen zu.

Ende Februar 1869:

Der Winter brach kurzfristig herein. Ich hatte es gerade noch rechtzeitig zum Haus des Bärenjägers geschafft, das an einem Nebenflüsschen des South Fork of Cheyenne ganz im Osten Wyomings lag. Martin Baumann war seit Kurzem verheiratet. Seine Frau Anna Maria stammte aus einer deutschen Einwandererfamilie, die sich hier in der Nähe niedergelassen hatte. Auch Wohkadeh, der junge Mandan-Indianer, hatte sich inzwischen eine Frau genommen und wohnte jetzt bei den Upsarokas. Hobble-Frank, der sich viel bei den Baumanns sehen ließ, war noch unterwegs. Es würde sicher Frühjahr werden, bis er hier wieder auftauchte.

Montag, 8. März 1869:

Als es Frühjahr wurde, hielt ich es nicht mehr aus. Ich versprach den Baumanns, bald wieder vorbeizukommen; vielleicht wäre bis dahin ja auch der Hobble-Frank eingetroffen. Meinen Hatatitla ließ ich bei ihnen zurück, weil ich ihn etwas schonen wollte, und nahm mir ein anderes Pferd. Unterwegs stieß ich auf einen Trupp Fallensteller, bei denen ich eine Nacht lagerte. Sie wollten in das obere Missouri-Gebiet, kannten aber die Gegend nicht. Ich ließ mich breitschlagen und sagte ihnen als Führer zu, nannte ihnen aber meinen Jagdnamen nicht. Wir hatten erst einige Tage unser Lager im Dakota-Territorium aufgeschlagen, als wir plötzlich im Morgengrauen von Ogellallah-Indianern überfallen wurden, wobei alle Fallensteller niedergemacht und skalpiert wurden. Ich hatte versucht, meinen Kameraden beizustehen, und viele der Angreifer abgewehrt, wobei mancher verwundet wurde oder gar sein Leben lassen musste. Als die Ogellallah erkannten, wer ich war, versuchten sie meiner habhaft zu werden. Gegen so viele Gegner war ich machtlos. Man nahm mich gefangen und schleppte mich ins Dorf der Ogellallah. Dort stellte man mich vor die Wahl, entweder die Tochter des Häuptlings Ma-ti-ru zu heiraten oder am Marterpfahl zu sterben. Natürlich ließ ich mich nicht auf eine solche Zwangsheirat ein. Auch die Tochter des Häuptlings, mit der ich mich heimlich aussprechen konnte, wollte mich nicht zum Mann, denn es gab bereits einen jungen Krieger, den sie gerne geheiratet hätte. Um mir und damit auch sich selbst zu helfen, lockerte sie meine Handfesseln so, dass es nicht auffiel, ich mich aber jederzeit freimachen konnte. In der Nacht darauf, als alles außer den beiden Wächtern vor meinem Zelt schlief, machte ich meine Hände frei, löste die Bande von meinen Füßen, lockerte die hintere Zeltwand und schlich mich unbemerkt zum Zelt des Häuptlings, wo ich meine Waffen wusste. Ich kam unbemerkt in sein Zelt und konnte ihn, während er noch schlief, bewusstlos schlagen. Die beiden Frauen, Mutter und Tochter, musste ich natürlich fesseln und ihnen, der Tochter aber nur zum Schein, einen Knebel in den Mund schieben. Dann fesselte ich auch den Häuptling, suchte meine Waffen und sonstige Sachen zusammen, die man mir abgenommen hatte, und schlich mich unbemerkt wieder aus dem Zelt. An dem Tag, als wir hier ankamen, hatte ich genau gesehen, wohin das Pferd des Häuptlings geschafft wurde, und ich hoffte, es dort noch zu finden. Tatsächlich entdeckte ich es etwas abseits der Herde und konnte auf ihm entfliehen.6

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